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»Ja«, erwiderte Grimbert mit fester Stimme. »König Siegmund ist nicht im Kampf gegen die Friesen gefallen. Wir, Reinhold und ich, täuschten seinen Tod nur vor. Siegmund selbst befahl es uns. Einem lebenden König der Niederlande hätte König Hariolf die Untaten niemals verziehen. Nur mit einem toten Siegmund hatte unser Land Aussicht auf Frieden.«

»Weiß meine Mutter...«

»Nein, niemand sollte es wissen. Mag sein, daß sie es ahnt. Vielleicht hat sie deshalb keinen neuen Gemahl erwählt.«

»Wo ist mein Vater?«

»Das weiß ich nicht. Seit damals, als er das Runenschwert zerbrach, habe ich nichts von ihm gehört. Er wollte als einfacher Wanderer durch die Lande ziehen, bis er ein Zeichen der Vergebung erhält.«

»Vergebung - von wem?«

»Von Gott vielleicht. Oder von Wodan.« Grimbert seufzte schwer, als wisse er es selbst nicht.

»An wen glaubt Ihr, Grimbert? An Gott und Jesus Christus? Oder an Wodan, den Göttervater?«

»Das geht nur mich etwas an«, brummte Siegfrieds Oheim.

Für eine Weile herrschte Schweigen. Man hörte nur das Plätschern der Wellen, das Ächzen und Knarren der Spanten und Planken. Gewiß war die Nachricht über König Siegmund eine unglaubliche Eröffnung. Aber in den letzten Tagen war soviel Unglaubliches geschehen, daß Siegfried nicht an Grimberts Worten zweifelte. Es gab auch keinen Grund dazu. Reinhold hatte sich als Verräter erwiesen, Grimbert hingegen als Freund, zumindest als Verbündeter. Aber wirkliche Freude, daß sein Vater noch lebte, wollte in Siegfried nicht aufkommen. Schuld daran war vielleicht seine Lage, die ihm, Grimberts Worten zum Trotz, wenig hoffnungsvoll erschien. Vielleicht war es auch das Gefühl, den Vater verraten zu haben, als Siegfried seinem Zuchtmeister zu dem Runenschwert verhalf.

»Will Reinhold das Runenschwert für seine Zwecke benutzen?« fragte der junge Xantener, auch um das düstere Schweigen zu durchbrechen.

»Ja. Erst diente es ihm, indem du es gegen Harko führtest. Jetzt wird es in Reinholds Händen noch mehr Friesen töten - und nicht nur Friesen.«

»Warum hat er es nicht selbst geholt? Er wußte doch die ganze Zeit über, wo es war.«

»Anfangs mußte er befürchten, von mir dabei ertappt zu werden. Später, als ich mich zurückzog, um meine Kenntnis der Runen zu vertiefen, bewachten Wodans Tiere das Schwert. Es war ungefährlicher für Reinhold, dich auszuschicken. Außerdem brauchte er dich als Sündenbock, um mit Harkos Tod einen Krieg auszulösen.«

»Wodans Tiere«, flüsterte Siegfried. Er dachte an die lautlose Stimme, die er in der Wolfsburg und in der Schlangenhöhle gehört hatte. In wenigen Worten berichtete er Grimbert von seinen Abenteuern.

Grimbert starrte den Prinzen finster an. »Du hast Wodans Warnungen mißachtet und die Wächter getötet, die er geschickt hatte, das Runenschwert zu behüten. Weißt du denn nicht, daß Wodan nur ein Auge hat? Das andere opferte er, um die Weisheit der Runen zu erlangen.«

»Welches Auge ist ihm geblieben?« Siegfried dachte an den großen Wolf und an die Wasserschlange. »Das linke?«

»Ja, das linke.«

»Dann habe ich tatsächlich Wodans Wächter getötet! Aber wer sandte den großen roten Falken?«

»Ich sandte ihn!« Mit einem lauten Quietschen wurde die Luke geöffnet, und diffuses Nachtlicht waberte in den Frachtraum. Helleres Licht folgte, als Reinhold mit einer Laterne in der Hand nach unten stieg. Er verschloß die Luke wieder über sich. Der Graf von Glander trug das Wehrgehänge, das er Siegfried geschenkt hatte. In der Scheide steckte das Runenschwert. »Ich schickte den Falken aus, dir zu helfen, mein Sohn. Schließlich wollte ich dich wohlbehalten zurückhaben.«

»Mich oder das Runenschwert?«

»Damals war mir sehr an dir gelegen. Jetzt allerdings ist mir das Schwert der Götter wichtiger.«

»Ich hatte solch einen Falken noch nie gesehen«, rief Siegfried ungläubig aus.

»Ich auch nicht«, erwiderte Reinhold kühl. »Bis ich eines Nachts wieder vom Feuergott träumte. Als ich erwachte, saß der Falke auf meinem Fenstersims. Ohne daß es mir jemand sagen mußte, wußte ich, daß er kommen würde, wann immer ich ihn rief.«

»Ihr seid also wirklich ein Diener des Feuergottes!« Grimbert spie vor Reinhold aus. »Ein Gott, der die anderen Götter verrät. Und ein Niederländer, der sein Reich, sein Volk und seine Königin verrät.«

»Nicht ich bin der Verräter«, entgegnete Reinhold. »All jene sind es, die dem Christengott dienen oder helfen, seine Macht zu stützen. Es führt zu nichts Gutem. Wer sich auf einen schwachen Gott verläßt, der ist verlassen!«

Er sprach mit wachsendem Grimm. Seine Augen flackerten unstet, die Stimme vibrierte.

»Wie kommt Ihr darauf, der Christengott sei schwach?« fragte Siegfried.

»Ich habe es selbst erfahren.« Reinhold klang jetzt düster. »Früher tauften wir unsere Kinder im Namen der alten Götter, um ihren Schutz zu erflehen. Aber was hat der Christengott mit meinem Sohn gemacht, obwohl der Bischof selbst ihn taufte?«

»Deshalb Euer ganzer Haß?« fragte Grimbert ungläubig. »Weil Euer Sohn im Kindbett starb?«

»Vergeßt nicht, daß seine Mutter ihm folgte, Grimbert«, rief Reinhold. »Ich jedenfalls verstand, als mir kurz darauf der Feuergott erschien und mich aufforderte, die Macht des Christengottes auf die Probe zu stellen. Sie war nichts gegen das Feuer, das sein Haus vernichtete. Nichts gegen den Stahl, der seinen Diener fraß!«

»Das Bild fügt sich zusammen«, sagte Grimbert ohne jede Freude über diese Erkenntnis. »Reinhold der Verräter ist zugleich der Brandstifter und der Priestermörder!«

»Und der Rächer!« schrie der Graf von Glander. »An der Spitze der niederländischen Recken werde ich die Friesen schlagen. Der Feuergott wird über die beiden Länder herrschen. Und dann werde ich den Christengott bekämpfen, bis die Welt aus seinen Klauen befreit ist!«

»So einfach wird das nicht gehen«, preßte Siegfried wütend hervor. »Meine Mutter, die Königin, wird das nicht zulassen.«

»Die Königin wird nicht mehr lange Königin sein«, lachte Reinhold. »Ich werde ihr berichten, die Friesen hätten ihren geliebten Sohn entführt. Und sobald es in meine Pläne paßt, werde ich ihr auch deine Leiche präsentieren. Nach dem vorgeblichen Tod ihres Mannes wird ihr dieser neuerliche Verlust das Herz brechen. Sie wird mir vollkommen freie Hand lassen und gar nicht merken, daß ich der eigentliche Herrscher der Niederlande bin.«

»Und welchen Platz habe ich in Euren finsteren Plänen?« erkundigte sich Grimbert.

»Vielleicht kann ich Euch noch für die eine oder andere Intrige gebrauchen. Bis ich darüber entschieden habe, genießt Ihr meine Gastfreundschaft.«

Kapitel 12

Was Reinhold von Glander unter Gastfreundschaft verstand, konnten Siegfried und Grimbert bald feststellen. Nicht die Schwertburg war das Ziel des Schiffes, sondern der karge Felsen im Rhein, ein kurzes Stück weiter flußabwärts. Die Rheinfeste. Und der Kerker, in den der Verräter seine beiden Gefangenen warf. Er selbst kehrte noch in der Nacht nach Xanten zurück, um der Königin Siegfrieds Entführung durch die Friesen zu melden.

Der Prinz und sein Oheim blieben zurück, gefangen hinter dicken Mauern, umspült von den mächtigen Fluten des Rheins und bewacht von Reinholds treuen Schergen. Siegfried hatte viele Fragen und Grimbert viel Zeit, sie zu beantworten.

Grimbert berichtete von seinem Leben als Wanderer. Von seinem Bestreben, seine Kenntnis der Runen zu vervollkommnen, um es mit den finsteren Mächten aufnehmen zu können, deren Bedrohung er spürte, seit König Siegmund unter den bösen Einfluß des Runenschwertes geraten war. Und er erzählte von dem Feldzug gegen die Friesen, der eine so schlimme Wendung genommen hatte.

»Natürlich war es Reinhold, der die Runen auf der Klinge verändert hatte«, erklärte Grimbert. »Er als runenkundiger Schmied hatte die Fähigkeiten dazu. Damals kam ich leider nicht darauf, weil ich den wackeren Recken für einen treuen Freund hielt. Doch schon in jenen Tagen verfolgte er seine düsteren Rachepläne und war er ein Werkzeug des Feuergottes. Er benutzte König Siegmund, um den Krieg gegen die Friesen so erbarmungslos werden zu lassen, daß unsere Völker sich zerfleischten und Reinhold die Macht übernehmen konnte. Damals scheiterte der Plan an Siegmunds Einsicht und Stärke, jetzt liegt alles an uns.«