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»Ich habe dir mein Wort gegeben«, erwiderte Stasj. Er sah mich eindringlich an und ergänzte: »Du bist ein sehr verständiger Junge, Tikkirej. Wenn ich nicht an dich glauben würde, dann hätte ich beschlossen, dass du ein sehr gut ausgebildeter Agent wärst.«

»Gibt es etwa Kinderagenten?«, wollte ich wissen.

»Und ob!«, erwiderte Stasj. »Ich selbst arbeite seit meinem zehnten Lebensjahr.«

»Ich bin aber kein Agent«, stellte ich für alle Fälle fest. »Ich bin Tikkirej vom Karijer.«

»Ich habe doch gesagt, dass ich dir glaube«, antwortete Stasj sanft.

Endlich hielt der Fahrstuhl und wir stiegen aus in einen großen und leeren Saal. In seinem Zentrum befand sich ein Wasserbecken mit Springbrunnen, das mit orangefarbenen Gräsern zugewachsen war. Die Springbrunnenfigur erwies sich als Mädchen mit einem Krug in den Händen, aus dem sich das Wasser ergoss. Die Bronzestatue war alt, voller Grünspan, mit Moos und Gräsern bedeckt.

Ich setzte mich auf den Rand des Bassins und planschte mit meinen Händen im Wasser. Fische gab es nicht, obwohl mir das sehr gefallen hätte. Das Wasser an sich war trübe, als ob die Filter im Springbrunnen schlecht funktionieren würden.

Stasj wies mit einer Geste auf die bequemen Sessel an der Wand unter den falschen Fenstern. Die Fenster zeigten den Blick auf die Stadt vom Dach eines Hochhauses aus, ich war aber trotzdem davon überzeugt, dass wir uns unter der Erde befanden.

»Wartet hier, Kinder.«

»Lange?«, fragte ich.

»Wenn ich es wüsste, hätte ich konkretisiert, wie lange zu warten ist«, klärte uns Stasj auf. »Und geht nirgendwohin!«

In der gegenüberliegenden Wand des Saals befand sich eine weitere Fahrstuhltür. Stasj holte den Fahrstuhl und verschwand.

»Hier hätte man zumindest eine Bar einrichten können«, meinte Lion beleidigt. »Dann hätten wir uns mit einem Highball Mut antrinken können.«

»Womit?«, äußerte ich mein Unverständnis.

»Highball. Tja, das ist ein Getränk. Aus Gin Tonic oder Wodka mit Martini.«

»Aha. Das hättest du wohl gern.«

»Übrigens, ich mag Wodka mit Martini«, sagte Lion.

Er machte es sich im Sessel bequem und legte seine Beine auf die Lehne. Er schaute auf das falsche Fenster, schnaufte verächtlich, fand den Schalter und löschte das Bild.

»Das kommt aus den Träumen«, erriet ich.

»Stimmt! Und in der Armee haben wir Wodka bekommen. An Feiertagen Whisky.«

»Na, dann kannst du ja auch im Traum deinen Highball bestellen. Auf dem Avalon ist es nicht üblich, dass Jugendliche Alkohol trinken.«

»Dasmachtnichts.Wennichnichtsofort auseinandergenommen werde, gehe ich in die Bar und betrinke mich«, meinte Lion.

Endlich fiel bei mir der Groschen, dass er sich nur lustig machte.

Sich einen Spaß mit mir erlaubte.

Weil er selbst Angst hatte, mehr Angst als ich.

»Und warum hast du gegen das Imperium gekämpft?«, wollte ich wissen. »Im Traum?«

Lion wehrte ab, als ob er auf diese Frage vorbereitet wäre: »Weil das Imperium ein Überbleibsel überholter Entwicklungsstufen der Menschheit verkörpert. Die Konzentration der Macht in den Händen eines Menschen führt zu Stillstand und Stagnation, zu Misswirtschaft und sozialer Instabilität.«

»Also wie, zum Stillstand oder zur Instabilität?«, entgegnete ich.

»Zum Stillstand in der Entwicklung der Menschheit, aber zur Instabilität im sozialen Leben«, parierte Lion. »Für dich ein einfaches Beispieclass="underline"

Als die Menschen auf die Außerirdischen trafen, hatten diese bereits die besten Stücke des Kosmos untereinander aufgeteilt und die Entwicklung des Imperiums stockte. Es war notwendig, sehr schlechte und lebensfeindliche Planeten wie deinen Karijer für die Menschen umzugestalten. Niemand machte auch nur den Versuch, die Fremden von den von ihnen besetzten Planeten zu vertreiben.«

»Aber das bedeutet doch Krieg, Lion!«

»Nicht zwingend. Krieg — das ist ein Extremfall der Lösung von Widersprüchen. Es ist immer möglich, ihn durch ökonomische, politische oder besondere Maßnahmen zu vermeiden.«

»Denkst du wirklich so?« Ich setzte mich in den Nachbarsessel. Lion starrte mich eine Sekunde lang an, lächelte rätselhaft und sagte dann ernsthaft: »Ich denke gar nichts. So wurde es uns erklärt. Und im Traum hatte ich daran geglaubt.«

»Und jetzt?«

»Na, es ist doch etwas dran, oder nicht? Du hast doch selbst auf dem Karijer gelebt und könntest eigentlich auf einem guten Planeten leben, wo jetzt die Tzygu oder Halflinge siedeln, oder etwa nicht?«

»Hast du nun in deinem Traum gegen das Imperium oder gegen die Außerirdischen gekämpft?«

»Gegen das Imperium«, gab Lion zu, »damit in der Galaxis eine neue, gerechte Gesellschaftsordnung entsteht.«

»Und welche?«

Lion dachte einen Augenblick nach.

»Also, in erster Linie eine demokratische. Bei uns ist alles wählbar, jedes beliebige Amt. Einmal in vier Jahren wählen alle den Präsidenten.«

»Und was für ein Mensch ist dieser Präsident?«

»Es ist eine Sie«, erläuterte Lion. »Sie ist… tja, wie soll ich das am besten ausdrücken…«

Sein Gesicht nahm einen entrückten Ausdruck an. Ich wartete und auf meine Brust wälzte sich ein Eisblock.

»Sie… ist sehr gerecht«, stieß Lion endlich hervor. »Sie ist bereit, jeden anzuhören und mit ihm offen zu sprechen. So klug, wie sie ist, trifft sie fast immer die richtigen Entscheidungen. Manchmal irrt sie sich, aber nicht entscheidend.«

Ich konnte nicht an mich halten. »Lion, das ist doch aber nur ein Traum! Kapierst du das? Jemand von Inej hat beschlossen, das Imperium zu erobern, und hat sich eine Gehirnwäsche ausgedacht. Es geht nicht, dass ein Mensch nie einen Fehler macht!«

»Ich habe nicht gesagt, nie«, fiel Lion schnell ein, »aber im Prinzip macht sie keine Fehler.«

»Und außerdem kann ein Präsident nicht mit jedem sprechen. Der Imperator kann es nicht und der Präsident wird es auch nicht können. Sogar bei uns auf Karijer konnte der leitende Sozialarbeiter sich nicht um jeden kümmern und bei uns leben weniger als eine Million Menschen!«

»Auf normalem Weg ist das unmöglich«, sagte Lion, »aber bei uns war alles ganz anders. Man konnte online gehen und mit der Präsidentin kommunizieren.«

»Blödsinn«, kommentierte ich.

»Warum? Das ging ganz einfach. Weißt du, dass es möglich ist, eine menschliche Intelligenz vollständig auf einen Computer zu kopieren?«

»Ja, aber das wurde verboten, es sind nur noch zwei oder drei davon übrig… Sie werden alle verrückt.«

»Sie ist nicht verrückt geworden«, erwiderte Lion leise, »sie hat auf jedem Planeten ihre Kopie. Diese kommunizieren untereinander und entscheiden gemeinsam. Und sie sind bereit, jeden Beliebigen anzuhören und zu helfen. Ich selbst habe jedes Jahr mit ihr geredet. Das gehörte sich so. Und manchmal habe ich um ein zusätzliches Gespräch ersucht. Wenn es wichtig war.«

»Lion, du bist aber ein Idiot!« Ich hielt es nicht mehr aus. »Ein totaler Idiot! Das sind alles Märchen, mit denen sie euch das Gehirn gewaschen haben! Damit alle scharf darauf wurden, Inej zu dienen!«

»Das verstehe ich«, sagte Lion ernsthaft. »Sicher, so wird es sein. Aber wenn es nun die Wahrheit ist? Denn im Imperium ist ja wirklich nicht alles in Ordnung. Wozu gäbe es sonst Armee, Polizei, Quarantänedienst, Phagen?«

»Das kann nicht sein. Das ist alles eine Lüge!«, wiederholte ich starrsinnig.

»Wenn es aber eine Lüge ist — warum glauben denn dann alle daran?«, wandte Lion ein. »Tikkirej, ich bin doch normal! Ich bin doch nicht verrückt geworden, stimmt’s? Mir wurde lediglich gezeigt, welches Leben ich führen könnte, wenn ich mich Inej anschließen würde. Und das war’s. Und es hat mir gefallen!«

»Dein Traum ist unterbrochen worden«, sagte ich, »als du online geschaltet wurdest.«

»Na und? Tikkirej, ehrlich, ich wurde zu nichts gezwungen. Das… das…«, Lion fuchtelte mit den Händen, »das ist wie sehr gutes Kino in einer guten Virtualität, in der du den Unterschied gar nicht spüren kannst. Mir wurde gezeigt, wie mein Leben aussehen könnte, und mir hat es gefallen.«