Lion stöhnte und meinte unwillig: »Ja. Und wie werden wir aussehen nach einem Monat im Wald?«
Ramon lächelte: »Gleich werdet ihr es sehen!«
Er gab den Befehl über den Radioshunt. Über seinem Schreibtisch bildete sich ein Bildschirm. Auf dem Bildschirm erschienen Lion und ich — genau so, wie wir gerade erst in der virtuellen Realität ausgesehen hatten. Lion in einem neuen Jeansanzug und Turnschuhen. Ich in hellen Hosen, einem Hemd und einer Baseballkappe mit einem Schild, das wie ein Chamäleon seine Farbe der Umgebung anpasste.
»Das sieht gar nicht nach unfreiwilligen Scouts aus«, stimmte Ramon zu. »Und jetzt versuchen wir Folgendes…«
Innerhalb einer Sekunde veränderte sich das Bild.
Es sah ganz so aus, als würde ich die gleichen Hosen tragen, nur waren die jetzt abgetragen, grau von Schmutz und unter dem Knie abgerissen. Die Baseballkappe fehlte und an Stelle des Hemdes erschien ein zerrissenes T-Shirt. Lion verblieb die Jeansjacke, jedoch abgetragen und an den Ärmeln eingerissen, das Hemd verschwand ganz. Die Jeanshosen waren voller Flecke und durchgescheuert. An meinen Füßen sah ich ausgelatschte Sandalen, Lion ging barfuß. Beide waren wir sonnengebräunt, zerkratzt und abgemagert. An mir fiel das besonders auf — Lion war ja sowieso dunkelhäutig und hager.
»Hervorragend!«, meinte Ramon. »Überzeugend, oder?«
Unsere Abbilder drehten sich langsam in der Luft. Bei Lion fand sich noch ein Loch in den Jeans und mein T-Shirt hatte einen Brandfleck.
»Ich muss abnehmen«, meinte ich.
»Ein wenig«, beruhigte mich Ramon. »Ein Kilo, mehr nicht… Sauna und hungern während des Fluges. Ich gehe davon aus, dass ihr Fische gefangen und Nüsse gesammelt habt. Die gibt es in den Wäldern auf Neu-Kuweit um diese Zeit sehr viel.«
»Und die Peitsche?«, wollte ich wissen.
Mein Abbild wurde vergrößert. Ramon zeigte mit seinem Finger auf den Gürtel in der Hose.
»Da ist sie. Das ist eine Variante des versteckten Tragens. Und du, Lion, wirst ein Taschenmesser dabeihaben…«
Lion schniefte verächtlich.
»Und eine Angelrute«, beruhigte ihn Ramon. »Ein Spinning mit Ultraschallblinker. Und genau damit habt ihr Fische gefangen.«
»Werden wir noch andere Varianten ausprobieren?«, erkundigte ich mich.
»Nein. Keine weiteren Proben. Zum Abend wird das Programm für den Simulator fertig sein und in der Nacht geht ihr in die Virtualität.«
Ich wechselte Blicke mit Lion.
»Wir müssen uns beeilen«, sagte Ramon, als ob das nichts Besonderes wäre. »Morgen werdet ihr nach Neu-Kuweit geschickt. Das ist der günstigste Zeitpunkt — der persönliche Inspektor des Imperators kommt auf den Planeten, auf ihn wird die ganze Aufmerksamkeit gerichtet sein. Ihr werdet in eine Stealthkapsel gesteckt und von unserem Raumschiff abgeworfen, das sich in der Eskorte des Inspektors befindet. Das ist völlig ungefährlich, habt keine Angst.«
»Und man wird uns nicht bemerken?«, wunderte sich Lion. »Das ist doch in der Nähe des Kosmodroms, da gibt es massenhaft Beobachtungsstationen!«
»Eine Stealthkapsel wird von keinem der bekannten Lokatoren erkannt.«
»Ramon«, fragte ich, »sind eigentlich die Fremden von Neu- Kuweit abgereist?«
In den zwei Tagen, in denen uns Ramon auf unseren Einsatz vorbereitete, haben wir mit ihm Freundschaft geschlossen. Aber nur ein wenig. Denn ihm all die wichtigen Fragen zu stellen, die mich quälten, war mir nach wie vor unangenehm.
»Ein Teil ist abgeflogen.« Ramon nickte. »Wir haben sie befragt… Das wolltest du doch wissen?«
»Ja.«
»In ihren Augen ist auf dem Planeten überhaupt nichts geschehen. Absolut nichts. Es ist so, Tikkirej, dass die Sozialstruktur der Fremden, seien es Tzygu, Halflinge, Brauni oder Taji, sich völlig von der unseren unterscheidet. Wenn man zum Beispiel auf dem Planeten Tzygu wäre, könnte nur ein Dutzend unserer Spezialisten überhaupt erkennen, dass ein Wechsel der genetischen Dynastie erfolgt ist. Genauso geht es den normalen Fremden. Das sind Händler, Diplomaten, Touristen… sogar Spione. Solche Feinheiten wie die Entstehung von Allianzen innerhalb des Imperiums sind für sie nicht sofort wahrnehmbar.«
Ramon schaute auf die Uhr. Es war nicht ganz klar, wieso, er hatte an und für sich ein sehr gutes Zeitgefühl.
»Pause bis zum Abend, Jungs!«, verkündete er. »Bis… bis zwölf-null-null. Ich erwarte euch hier. Esst etwas und macht euch ein paar schöne Stunden!«
»Zu Befehl!«, rief ich beim Aufstehen. Ich streckte mich. Obwohl der Sessel weich war, sogar eine Vibrationsmassage hatte, war der Körper nach fünf Stunden steif.
Heute hatten wir sieben Varianten unseres Eindringens auf Neu-Kuweit ausprobiert. Und jedes Mal endete es mit einem Misserfolg. Drei Mal wurden wir umgebracht, vier Mal gefangen genommen und ins Gefängnis geworfen.
Wir rannten auf den Korridor. Ramon ließen wir an seinen Gerätschaften beschäftigt zurück.
»Trotzdem ist das nicht ganz ehrlich«, meinte Lion, kaum dass sich die Tür hinter uns geschlossen hatte. »Wir sollen doch nur davon überzeugt werden, dass es sich nicht lohnt, herumzuballern! In Wirklichkeit könnten wir ihnen etwas verpassen. Ratatata — mit einer Plasmasalve! Dann wäre die Sache geritzt!«
»Würdest du das wollen?«, fragte ich. »Denen kräftig etwas verpassen?«
Lion begann nachzudenken und schüttelte den Kopf. Jeglicher Anflug von Leichtsinn war verflogen.
»Nein… Verdammt, das ist überflüssig.«
»Na, dann hör auf! Selbst wenn es manipuliert wird«, meinte ich, »die Phagen wünschen uns nur Gutes.«
Der virtuelle Klassenraum befand sich auf einem gewöhnlichen Stockwerk, nicht im versteckten wie der Sitzungssaal der Phagen. Der Flur hatte sogar ein Fenster mit Blick auf die Stadt.
Nahe am Fahrstuhlschacht, bei dem sich in einer durchsichtigen gepanzerten Kabine der Wachmann langweilte, saß ein Junge auf dem Fensterbrett. Er war etwas jünger als wir, kaute Kaugummi und schaute aus dem Fenster, als ob dort etwas Interessantes zu sehen wäre.
Kurz nachdem wir den Fahrstuhl gerufen hatten, sprang das Kerlchen herunter und kam auf uns zu. Er folgte uns in die Kabine. Lion und ich gingen intuitiv etwas zur Seite, sodass wir dem Jungen gegenüberstanden.
Es war ein eigenartiger Typ. Erstens — sehr feingliedrig, sogar der hagere Lion erschien im Vergleich zu ihm muskulös.
Zweitens — obwohl seine hellen Haare kurz, auf Jungenart geschnitten waren, war sein Gesicht so schön wie bei einem Mädchen.
»Bist du ein Junge oder ein Mädchen?«, fragte Lion neugierig.
Ich stieß Lion in die Seite und sagte: »Blödmann! Das ist ein Phag!«
»Von mir aus ein Phag«, beharrte Lion. »Ich interessiere mich dafür, ob er ein Junge oder ein Mädchen ist.«
Meines Erachtens wollte Lion lediglich einen Streit anfangen und sich mit dem eindeutig jüngeren Phagen schlagen.
Obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, warum — es ist doch klar, dass ein Phag stärker ist. Lion hatte aber keinen Erfolg.
»Phagen sind niemals Frauen«, antwortete der kleine Phag, ohne beleidigt zu sein, und nahm seinen Kaugummi heraus. Auch seine Stimme war so fein wie bei einem Mädchen. »Ein Phag kann während eines Fluges nicht in der Anabiose dahindämmern, klar?«
»Klar«, hielt sich Lion zurück.
»Uns verbleiben anderthalb Minuten«, sagte der Phag, als ob nichts geschehen wäre. »Wir haben die Detektoren dieser Kabine vereist und ihre Geschwindigkeit auf ein Minimum reduziert.«
»Wer ist — wir?«, regte sich Lion wieder auf. Ich stieß ihn an, damit er ruhig sein sollte.
»Die zukünftigen Phagen«, erklärte das Jüngelchen höflich.
»Und, seid ihr viele?«, begann Lion.
Der Phag unterbrach ihn. »Das ist unwichtig. Jungs, wann werdet ihr nach Neu-Kuweit geschickt?«
»Das ist auch unwichtig«, erwiderte ich und stieß Lion noch stärker an. »Woher sollen wir wissen, wer du bist und was du willst?«