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»Wir schaffen das schon«, bekräftigte Natascha. »Elli, es geht alles in Ordnung. Tikkirej möchte nur kein Risiko eingehen, denn das ist eine sehr wichtige Aufgabe. Aber wir werden sie erfüllen.«

»Wir werden sie erfüllen«, bestätigte ich.

»Gut.« Elli sah mich zweifelnd an, schien aber ihre Einwände zurückzudrängen. »Natascha, wir treffen uns morgen früh. Ich teile dann die Einzelheiten mit.«

Sie drückte mir die Hand wie ein Junge, küsste Natascha auf die Wange und verließ den Pavillon. Der Regen fiel nach wie vor in kleinen Tropfen, als ob im Himmel ein engmaschiges Sieb geschwenkt würde.

»Soll ich dich bringen?«, fragte ich und stand auf. Eigentlich hatte ich keine Lust, Elli zu begleiten.

»Nicht nötig, ich bin nicht aus Zucker.« Elli lachte auf, schritt in die Dunkelheit und verschwand nach einigen Schritten. Sie war nicht mehr zu sehen und zu hören, als ob sie sich in Luft aufgelöst hätte.

»Ist sie ein Phag?«, fragte Natascha leise.

»Was? Nein… Eigentlich gibt es unter den Phagen keine Mädchen… Aber wie, du kennst sie gar nicht?«

»Ich war am Tag in der Stadt, um unseren Mann von der Anlegestelle anzurufen. Ich wollte wissen, ob es vielleicht Neuigkeiten von Opa gab. Er sagte mir, dass mich eine Freundin treffen wolle, die vor einem Jahr meine Nachbarin war. Also auf dem Avalon. Das deutete er zumindest an…«

»Und sie ist auch vom Avalon?«

»Hm. Sie sagte mir, dass sie heimlich hergebracht wurde. Sicher ist irgendetwas in Vorbereitung.«

Mir schien, dass Natascha Recht hatte. Das Imperium konnte nicht länger zögern. Der Krieg stand vor der Tür. Und das bedeutete, dass jeder auf seinem Platz kämpfen musste.

Wenn wir den Verräter liquidieren würden (»liquidieren« geht viel leichter über die Lippen als »töten«), dann wäre das ein ziemlich schwerer Schlag gegen Inej. So, als ob wir mit einem Mal Dutzende Kriegsschiffe zerstört hätten!

Denn diese Schiffe könnten Avalon, Edem, Erde und Karijer überfallen…

»Tikkirej, gefällt dir irgendetwas nicht?«, wollte Natascha wissen.

Wir saßen jetzt ganz dicht beieinander und unterhielten uns flüsternd. Daher war uns… war uns ganz eigenartig zumute, als ob wir nicht über den Krieg, sondern über Geheimnisse sprechen würden.

»Ja. Sie hat mich zu meinem Einverständnis gezwungen. Verstehst du das? Nicht ich habe die Entscheidung getroffen, sie hat für mich den Entschluss gefasst.«

»Sie ist doch deine Vorgesetzte.«

»Das glaubst du! Ich bin übrigens nicht in der Armee.«

»Ich denke, es geht um etwas ganz anderes.«

»Und um was?«

»Darum, dass sie ein Mädchen ist.«

Im Hellen wäre ich jetzt rot geworden. Aber wenn du weißt, dass dich sowieso niemand sieht, wird es nichts mit dem Erröten.

»Überhaupt nicht! Wenn schon ein Mädchen, dann hätte sie höflicher auftreten sollen.«

»Das ist sexistisch. Sag nur noch ›Gepäckstück‹ zu ihr!«, giftete Natascha.

»Es steht Mädchen nicht, zu kommandieren!«

»Und was steht ihnen außerdem nicht? Vielleicht sollten wir auch nicht kämpfen? Aber wir kämpfen wenigstens, während andere feige sind! Denk nur, sie können im Zeittunnel fliegen!«

Natascha rückte sogar von mir ab, obwohl wir uns vorher aneinandergepresst hatten, um uns zu wärmen. Ich hatte große Lust, ihr etwas Gemeines und Fieses zu entgegnen. Zum Beispiel, dass ihr ganzer Partisanenkrieg die Menschen nur erboste, dass sie es geschafft hatten, Schulen mit ihren Raketen zu zerbomben.

Ich sagte stattdessen etwas anderes:

»Natürlich können wir im Zeittunnel fliegen. Ich persönlich bin als Modul geflogen.«

»Oh!«, staunte Natascha. Und schwieg.

»Und überhaupt geht es nicht darum, dass sie ein Mädchen ist«, fuhr ich fort. »Wenn du kommandierst, werde ich nicht widersprechen. Denn du hast Kampferfahrung und ich noch nicht. Aber über Elli weiß ich gar nichts. Na gut, vielleicht wurde sie von den Phagen geschickt. Vielleicht ist sie eine wichtige Person. Aber warum muss sie dann solchen Druck ausüben?«

»Hat sie etwa Druck auf dich ausgeübt?«, wunderte sich Natascha.

»Sie sagte, dass man Stasj bestrafen würde. Und er ist mein Freund, mein bester Freund… nein, das ist es nicht. Das ist etwas anderes. Jedenfalls möchte ich nicht, dass er entlassen wird und stirbt. Lieber sterbe ich selber.«

»Aber dieser Stasj ist doch ein Erwachsener, oder? Das heißt doch, du musst dir um ihn keine Sorgen machen!«, erwiderte Natascha hitzig. »Er muss die richtige Entscheidung treffen, und wenn er sich geirrt hat, ist er selber schuld und verpflichtet, die Bestrafung hinzunehmen! Das ist doch allgemein bekannt. Erwachsene müssen sich um Kinder kümmern, sie schützen und die richtigen Entscheidungen treffen! Sie haben doch viel mehr Lebenserfahrung! Also hat alles seine Richtigkeit!«

Ich schaute auf Natascha und fand die Situation lustig. Als ich noch auf Karijer gelebt hatte, wäre ich fraglos ihrer Meinung gewesen. Es ist ja wahr, die gesamte Natur war so eingerichtet und der Mensch war ein Teil der Natur. Im Naturkundeunterricht hatten wir erfahren, wie sich eine Katze aufregt, wenn man ihr die Jungen wegnimmt. Uns wurde erklärt, dass es sich dabei um uralte nützliche Instinkte handelte, dass sich deshalb unsere Eltern um uns kümmern und alle Erwachsenen die Kinder schützen.

Nur dass dies nicht die ganze Wahrheit ist.

Wenn ein Mensch dein Freund ist, dann hast du ebenfalls die Verpflichtung, dich um ihn zu kümmern. Auch wenn er entschieden stärker und klüger ist als du. Sogar wenn er sich geirrt hat. Früher verstand ich das nicht. Vor langer Zeit. Vor drei Monaten. Auf Karijer, als meine Eltern sich für den Tod entschieden. Wir hätten alle zusammenbleiben und notfalls auch die Kuppel verlassen müssen. Zumindest wäre ich verpflichtet gewesen, das zu wollen, und hätte nicht den Eltern zustimmen dürfen.

Aber wie sollte ich das erklären?

»Stasj hat mich gerettet«, begann ich. »Obwohl er das gar nicht hätte tun sollen. Sag mir, wenn deinem Großvater ein Unglück zustieße, würdest du ihn retten?«

»Er ist doch mein Opa…«

»Na und? Dafür ist er alt und invalide. Du bist viel wertvoller für die Gesellschaft, warum solltest du wegen des Großvaters ein Risiko eingehen und dir Sorgen machen?«

»Aber ich mache mir keine Sorgen um ihn!«

»Ach! Aber heute Morgen hast du angerufen, um Neuigkeiten zu erfahren.«

Natascha verstummte. Dann sagte sie: »Aber das ist doch nicht richtig. Dass ich mir um Opa Sorgen mache und du dir um Stasj.«

»Weißt du, ich glaube, gerade das ist richtig«, erwiderte ich.

Natascha nahm meine Hand und meinte: »Du bist ziemlich eigenartig, Tikkirej. Sei nicht beleidigt. Manchmal scheint mir, dass du lediglich ein dummer und feiger Junge bist, der zufällig mit gefährlichen Dingen in Berührung gekommen ist. Und dann wieder denke ich, dass du im Gegenteil viel klüger und mutiger bist als wir alle zusammen.«

»Und was glaubst du jetzt?«, erkundigte ich mich neugierig.

»Dass uns kalt ist und wir uns erkälten werden!« Natascha sprang auf und zog mich von der Bank. »Komm! Lion denkt bestimmt schon sonst was!« Lionwundertesichübergarnichts.Im Gemeinschaftsschlafsaal konnten wir uns natürlich nicht unterhalten, deshalb weckte ich ihn in der Nacht und wir gingen zu den Sanitäranlagen. Das ist so eine Mischung aus Dusche und Toilette — ein riesiger Raum, in dem sich an einer Wand die Toilettenboxen, an der zweiten die Waschbecken und an der dritten die Duschköpfe aufreihten. Mir war unklar, warum alles zusammen installiert war, ganz wie auf einem alten Kriegsschiff. Frühmorgens gab es hier ein fürchterliches Gedränge.

Schnell überprüfte ich die Kabinen, niemand war hier. Wir gingen zum Fenster und ich berichtete Lion vom Besuch Ellis und von unserer Aufgabe.

»Das habe ich mir gedacht«, äußerte Lion sofort. »Noch auf dem Avalon.«