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»Hier!«

Ich glaubte, dass diese Tür absichtlich offen gelassen worden war. Und ich war mir sicher, dass diese junge Frau bei den Wachleuten dafür sowie für das Abschalten der Alarmanlage gesorgt hatte. Sicher war sie der Techniker und für das Alarmsystem verantwortlich.

»Tikkirej, was stehst du herum?«, rief mir Natascha zu, Lion und sie waren schon im Haus.

Ich schaute noch einmal auf den friedlichen Park und ging durch den Diensteingang der Villa in einen kleinen Vorraum. Natascha stieß mich erbost in den Korridor, der ins Innere des Gebäudes führte, beugte sich selbst nach unten und begann die nassen Fußabdrücke auf dem Boden mit irgendeinem Lappen wegzuwischen. Ich erblickte Lion, nackt bis zur Gürtellinie, der sehr ärgerlich schien, und mir war klar, dass dieser Lappen bis eben noch sein Hemd gewesen war.

»Daran hatten wir nicht gedacht«, sagte Natascha und bewegte sich schnell Richtung Korridor, wobei sie gekonnt den Lappen schwang. »Zieht eure Schuhe aus, wir gehen barfuß.«

Durch solche Kleinigkeiten platzen oft die raffiniertesten Pläne: Wenn uns unsere Fußspuren nicht aufgefallen wären, hätte uns auch nicht gerettet, dass die Bewegungsmelder ausgeschaltet waren. Unsere Spuren hätten uns verraten, ganz wie in den mittelalterlichen Überlieferungen über Grenzen und Spione. Diese Gefahr schien uns nicht zu drohen: Natascha blieb wachsam.

Wir liefen an einigen funktionell eingerichteten Zimmern vorbei. In einem befanden sich ein Rednerpult und einige große Bildschirme, in einem anderen Sessel und Sofa zum Ausruhen für die Wachleute. Danach erschien die Möblierung reicher, wenn auch nicht übertrieben. So besichtigten wir kleine Zimmer mit Betten und Schränken, ein Wohnzimmer mit Fernsehapparat und Sitzgarnitur. Die Küche dagegen war riesig und mit einer Menge verschiedener Haushaltsgeräte ausgerüstet. Dort standen Mikrowellen (im Ganzen zwei) und normaleHerdplatten,Wärmeschränke,Fritteusen, Küchenmaschinen und eine Menge Geräte, deren Namen ich nicht einmal kannte.

»Das alles sind Zimmer des Personals«, erklärte Natascha, nachdem sie sich ein Bild gemacht hatte. »In der Villa werden ab und zu große Empfänge abgehalten, Dutzende von Leuten treffen sich hier… Wir müssen dorthin!«

Aus der Küche kamen wir über einen breiten Flur mit zweiflügligen Türen ins Esszimmer.

Hier sah es nun wirklich luxuriös aus!

Ein riesiger ovaler Tisch aus hellem, poliertem Holz, Stühle mit hohen, geschnitzten Lehnen, an den Wänden originale, mit Farben gemalte Bilder. Durch die Fenster sah man den Park sowie den Springbrunnen, in dem wir uns versteckt hatten. Seltsamerweise wirkte das alles aus dem Gebäude heraus noch viel schöner als in Wirklichkeit.

»Wohin jetzt?«, wollte Lion wissen. Er schaute ganz andächtig — rundherum war es allzu weiträumig, hell und edel.

»Wir gehen nach oben«, entschied Natascha, »dort sind noch ein großer Dinnersaal«, Lion erschauerte bei diesen Worten, »und die Gästezimmer.«

Aus dem Esszimmer gingen wir zu einer breiten Treppe mit einem schönen Teppich, der mit goldenen Metallstäben an den Stufen befestigt war. Wir stiegen in den ersten Stock und suchten die Zimmer von Bermann und seiner Tochter. Es war nicht einfach, weil es eine Unmasse von Schlafzimmern gab und die Türen verschlossen waren. Ich dachte gerade darüber nach, dass wir einen Dietrich brauchen könnten, als sich die Schlange am Gürtel bewegte und mir in den Ärmel kroch.

Richtig, wozu ein Dietrich, wenn wir über ein universelles Gerät der Phagen verfügten?

Pro Schloss brauchte die Schlange nicht länger als eine Sekunde, offensichtlich war die Aufgabe nicht schwer. Intuitiv wusste ich, dass das Schlangenschwert zuerst die Struktur des Schlosses scannte und die Restpotenziale in den elektronischen Schaltkreisen bestimmte und danach das Schloss nicht mit einer Ziffernfolge öffnete, sondern den genauen Code wählte.

Die ersten sechs Schlafzimmer erwiesen sich als unbewohnt, das siebte auf den ersten Blick ebenfalls. Aber Natascha, die auf alle Fälle in die Bäder schaute, fand dort eine Zahnbürste, einen Rasierapparat, Eau de Cologne und allerlei Herrenkosmetika. Erst da bemerkten wir, dass das untadelig aufgeräumte Zimmer bewohnt war: Im Schrank hingen einige Anzüge, ein Dutzend Hemden und Krawatten, neben dem Bett lag ein Büchlein des Krimischriftstellers Hiroshi Moto: »Der Raumanzug mit dem verspiegelten Helm«. Das Buch war interessant, ich hatte es selbst gelesen, aber eigentlich war es ein Kinderbuch.

Die nächsten zwei Schlafräume waren leer, aber im neunten, ausgehend von der Kosmetik im Bad, wohnte Bermanns Tochter. Auf ihrem Bett lag ebenfalls ein Buch, aber ein viel ernsteresalsbeimVater:»DieTaktikder Unternehmensentwicklung unter den Bedingungen politischer Instabilität«.

»Sie lernt ein Unternehmen zu führen«, meinte Lion höhnisch. »Ja — ja… Was sind wir doch für Optimisten.«

Natascha und ich blickten Lion unabhängig voneinander zornig an.

»Das ist mir nur so herausgerutscht… Ähm, wegen der Nerven… Entschuldigt.«

»Benutz deinen Kopf, ehe du etwas sagst«, murmelte Natascha. »Was suchst du da?«

Lion wühlte im Kleiderschrank und drehte sich um: »Du hast mir mein Hemd weggenommen, soll ich etwa nackt herumlaufen? Was meint ihr, kann ich dieses T-Shirt nehmen?«

Das baumwollene Muscle-Shirt war zwar grell, Blau mit Weiß, aber nicht mädchenhaft. Ich zuckte mit den Schultern und Lion zog es an. Natascha schimpfte nicht mit ihm. Es gab wirklich keinen Grund, sich jetzt noch wegen eines Diebstahls zu schämen.

»Wenn die Bermanns kommen, werden sie in ihre Zimmer gehen, um sich umzuziehen«, überlegte Natascha laut. »Es sieht nicht so aus, als ob sie Dienstpersonal hätten, also werden sie allein bleiben… Wir können uns in zwei Gruppen teilen. Ich kümmere mich mit Lion um Bermann, und du, Tikkirej, — um das Mädchen!«

»Warum soll ich das Mädchen nehmen?«, begehrte ich auf.

»Du hast die Peitsche.«

»Na und? Ist sie etwa gefährlicher als ein erwachsener Mann?«

Natascha seufzte: »Alexander Bermann ist fast siebzig Jahre alt. Er hat einen Bauch wie ein Nilpferd. Aber du kannst davon ausgehen, dass seine Tochter sportlich und trainiert ist und eine Nahkampfausbildung hat… Vielleicht ist sie sogar bewaffnet.«

»Und wie werdet ihr mit Bermann zurechtkommen?«

»Wir schlagen ihn bewusstlos«, erklärte Natascha kurz. »Dann kommst du zu uns.«

Es hatte keinen Sinn, zu diskutieren. Ich wollte darauf hinweisen, dass ich mich weigerte, ein Mädchen zu töten, auch wenn sie der letzte Dreck wäre und das Imperium verriet. Aber ich schwieg, weil mir bewusst war, dass ich es doch tun würde. Ich hatte keine Wahl.

»Versteck dich im Badezimmer«, schlug Natascha vor. »Vielleicht kommt sie doch nicht alleine ins Zimmer? Wir werden es genauso machen, und wenn Bermann das Badezimmer betritt, schlagen wir von hinten zu.«

»Womit?«, fragte Lion geschäftsmäßig.

»Weiter hinten im Korridor müsste eine Turnhalle sein. Wir nehmen ein Paar Hanteln oder irgendetwas anderes Schweres. Aber leise, die Wache könnte schon zurück sein.«

»Gehen wir.« Lion nickte. »Also dann, Tikkirej. Vermassele es nicht!«

»Wir warten auf dich«, ergänzte Natascha.

Sie gingen hinaus und ich blieb allein. Das passierte so schnell und unerwartet, dass ich nichts erwiderte. Ich tigerte wie ein Idiot durch das Zimmer. Es gab noch eine Tür in ein anderes Zimmer, wahrscheinlich ein Gästezimmer, aber dort schien noch niemand einen Blick hineingeworfen zu haben. Keine Sachen, nichts… Ich kehrte ins Schlafzimmer zurück, ging ans Fenster und schaute in den Park. Von dieser Seite war der Springbrunnen nicht zu sehen, dafür erblickte ich in der Tiefe des Gartens ein Schwimmbad und kleine gemütliche Gebäude. An Himmel schwebten einzelne Wolken, die Sonne neigte sich zum Horizont. Es war sehr still, fast einschläfernd. Ich ging vom Fenster weg, mit einer bohrenden Neugier zum Kleiderschrank und begann, in den Sachen von Alexandra Bermann zu kramen.