Es stellte sich heraus, dass das Wühlen in fremden Sachen eine sehr interessante Beschäftigung war. Im Schrank hingen Kleider, Blusen, Röcke, Hosen und Pullover. Es hätte ausgereicht, alle Bewohner des ›Spross‹ — Jungen und Mädchen — neu einzukleiden. Allein zehn Paar Schuhe gab es: Halbschuhe,Turnschuhe,Stiefelchenundallerlei Spezialschuhe, entweder für den Sport oder zum Tanzen, die ich nicht einmal benennen konnte. In einem Fach lag eine Masse sauberer, eingepackter Kleidung. Ich nahm ein Packung, fand in ihm rosa Spitzenhöschen, schämte mich und schloss den Schrank.
Teufel nochmal! Einerseits beabsichtigte ich, Alexandra Bermann, die ich noch niemals gesehen hatte, zu töten. Warum dann diese Neugier? Das sind Kleinigkeiten, um die man sich nicht kümmern sollte. Aber andererseits…
Es war mir peinlich.
Aber ich konnte nicht mehr damit aufhören. Und wühlte weiter in den Schränken.
Reiche Leute schleppen sehr viele Dinge mit sich herum. Sicherlich brauchen sie das auch alles. Sogar wenn sie geschäftlich auf anderen Planeten weilen, gehen sie ins Theater, in Restaurants, machen Ausflüge und Safaris… Aber außer Kleidung gab es noch jede Menge andere Dinge. Zum Beispiel ein ganzes Köfferchen mit allen möglichen Friseursachen, darunter allein drei Föns. Und im Badezimmer war auch noch ein guter. In einem kleinen Täschchen befand sich eine Reiseapotheke, als ob es hier keine Ärzte geben würde… Oder vertrauten die Bermanns keinen fremden Ärzten? In einer kleinen, nachlässig hingestellten, offenen Schatulle lag Schmuck. Teilweise aus Gold, Silber und Edelsteinen, zum Teil dermaßen selten und teuer, dass er sogar mir ein Begriff war, da ich den Schmuck in allerlei Fernsehfilmen und Nachrichtensendungen gesehen hatte. Zum Beispiel gab es da ein Collier aus »unsichtbaren Diamanten«, sie hießen wissenschaftlich irgendwie anders, aber das hatte ich vergessen. Ich ging mit dem Collier zum Fenster und schaute es im Licht an. Alle Achtung! Als ob sich in der Platinfassung nichts befinden würde, als ob sich die winzigen Diamantensplitter, die auf die unsichtbaren Diamanten aufgeklebt waren, von alleine in der Luft hielten. Ich berührte sie — da waren sie, die unsichtbaren Steine. Auf dem größten verblieb fast unsichtbar mein Fingerabdruck. Cool.
Außerdem waren da noch Ohrringe mit Empathiesteinen, die ihre Farbe in Abhängigkeit von der Stimmung des Trägers wechselten. Ich führte einen Ohrring an mein Gesicht und der Stein wandelte sich von Milchweiß in Knallrot. Natürlich, ich war ja aufgeregt… Diesen Schmuck zu tragen riskieren nur Leute, die absolut von sich überzeugt sind — denn anderenfalls können alle erkennen, wenn man aufgeregt oder erschrocken ist oder versucht zu lügen.
Nachdem ich den Schmuck in die Schatulle zurückgelegt hatte, stellte ich sie an ihren Platz zurück. Ich war kein Dieb und würde nichts nehmen. Obwohl man für ein beliebiges Teil von diesem Tand…
Was könnte man?
Die Lebenserhaltungssysteme auf Karijer bezahlen?
Mama und Papa würden nie wieder zurückkommen.
Also brauchte ich nichts.
Ich lief durch das Zimmer und blickte auf die Uhr. Es war noch zu früh. Daraufhin untersuchte ich den Nachtschrank und fand dort weitere Bücher — Wirtschaftsliteratur und Romane. Ich nahm ein Bändchen von Hiroshi Moto (jetzt war klar, von wem Alexander den Krimi hatte, um ihn vor dem Einschlafen zu lesen) und schlug die Erzählung »Der Fall des freigiebigen Intellektuellen« auf. Die Kriminalgeschichten von Hiroshi Moto waren deshalb so gut, weil man sie immer wieder lesen konnte, auch wenn man schon wusste, wer der Verbrecher war. Aber dieses Buch kannte ich noch nicht.
Ich wagte nicht mich aufs Bett zu setzen. Es war außergewöhnlich akkurat gemacht und die Sessel sahen zu verlockend bequem aus. Wenn ich mich jetzt hineinsetzen würde, könnte ich mich festlesen und nicht bemerken, dass die Bermanns kamen. Deshalb setzte ich mich auf einen Stuhl neben die Tür, öffnete sie einen Spalt, um die leisesten Geräusche von unten zu hören, und begann, die Abenteuer des im Reagenzglas gezüchteten Detektivs und seines treuen Freundes zu lesen.
Zuerst konnte ich mich nicht darauf konzentrieren, aber bald wurde ich ruhiger und begeisterte mich so an der Handlung, dass ich fast bis zum Ende las. Alles war sehr verwirrend, aber endlich sprach der Detektiv seine berühmten Worte:
»Sicher, ich bin lediglich ein Klon, aber wenn Sie wüssten, zu welchen Gemeinheiten ein echter Mensch manchmal fähig ist! Also stellen wir uns die Bibliothek vor drei Tagen um Mitternacht vor. Das Licht erlischt und in der nächtlichen Stille ist ein leises Rascheln zu hören. Nur Sie, die hier Anwesenden, konnten die Diskette aus dem überstürzt geöffneten Safe nehmen. Nicht wahr, Oberst?«
»Was meinen sie damit?«, schrie der Offizier auf und ließ die Zigarette fallen. »Ich wurde wie alle anderen durchsucht! Wo hätte ich diese verdammte Diskette denn verstecken können?«
»Eben das störte mich, denn den Namen des Verbrechers kannte ich von Anfang an…«
In diesem Augenblick vernahm ich unten Schritte. Kurz darauf war Lärm zu hören… Wurde die Eingangstür geöffnet?
Ich sprang auf und schlug das Buch zu, ohne zu erfahren, wer die Diskette gestohlen hatte — der Oberst Howard, die Nonne Anastasia, der Hacker Owen oder einer der Musikanten des Sinfonieorchesters. Ich schloss die Tür und lief durchs Zimmer, ohne mich entscheiden zu können, ob ich das Buch an seinen Platz legen oder mit mir nehmen sollte. Ich beschloss es zurückzulegen, öffnete das Buch beim Hineinlegen ins Nachtschränkchen aber schnell auf der letzten Seite:
»Ja, genau so, mein Freund. Und das ist das Ende der steilen Karriere der zweiten Posaune.«
Sieh an! Der zweite Posaunist, der in die Dirigentin verliebt war! Das hätte ich nicht gedacht!
Schnell schaute ich mich im Zimmer um, ob alles in Ordnung war und stürzte ins Bad. Ich stellte mich rechts hinter die Tür neben die Wanne. Die Zeit der gelesenen Abenteuer, erregend und lustig, war zu Ende. Jetzt begannen die realen, die entsetzlichen und widerlichen Abenteuer.
Alexandra Bermann betrat das Zimmer fünf Minuten später. Die ganze Zeit über stand ich im Bad in der Dunkelheit und die Schlange umschlang fest meinen rechten Arm. Sie war bereit zu töten. Ich — nicht, sie — schon. Sie hatte es einfacher, sie war dafür geschaffen worden.
Die Zimmertür schlug zu und ganz in der Nähe ertönten Schritte. Etwas fiel auf den Fußboden. So zu stehen und zu warten war unerträglich, ich wollte beobachten, was passierte, ich hielt das Warten nicht aus. Die Tür zum Bad war nicht eingeklinkt, es gab einen schmalen Spalt, durch den ich vorsichtig blickte.
Das Mädchen stand am Fenster und sah nach unten. Von hinten schien sie noch jünger als ich zu sein. Mit hellen, lockigen Haaren in einem Schottenrock und einer sumpfbraunen Bluse. In den Ohren blitzten winzige Ohrringe.
Verdammt, wie ungünstig. Sähe sie wenigstens aus wie ein fetter Kloß, wäre es um sie nicht schade, und mir fiele es leichter, sie zu töten…
Das Mädchen nahm ihre Hände an die Brust. Mir war nicht gleich klar, was sie machte — bis Alexandra Bermann ihre Bluse von sich warf und nachlässig auf den Boden fallen ließ.
Mist!
Da riss ich mich von dem Spalt los. Meine Ohren fingen an zu brennen. Das war einfach widerlich! Nicht nur, dass ich in ihren Sachen gewühlt hatte und sie gleich töten würde, ich beobachtete sie auch noch dabei, wie sie sich umzog!
Als ich wieder hinschaute, zog Alexandra schon den Rock aus und stand nur noch in Höschen und Büstenhalter da. Der BH war übrigens rein symbolisch…
»Wie ich diese Klamotten hasse!«, rief Alexandra plötzlich laut und leidenschaftlich aus. Sie hatte den singenden Akzent des Edem, und deshalb schien es, als ob sie nicht fluchen, sondern ein Gedicht vortragen würde. Alexandra führte ihre Hände auf den Rücken und öffnete den Verschluss des BH. Sofort trieb es mich von der Tür weg, ich trat zurück, bis meine Knie an das Bidet stießen. Ich hielt inne und stützte mich mit der rechten Hand vorn ab.