Es sah ganz so aus, als ob Alexandra duschen wollte und sich deshalb auszog.
Das hieß, ich würde, gleich wenn sie hereinkäme, zuschlagen. Damit sie nicht erschrak und sich schämte…
Warum, warum nur traf es gerade mich, sie zu töten?
Die barfüßigen Schritte auf dem Teppich waren kaum zu hören, aber ich konnte sie spüren. Gleichzeitig federte das Schlangenschwert auf meiner Hand, spannte sich an und vibrierte leicht, um das Plasmageschoss aufzuladen.
Hauptsache, ich erschrak nicht…
Das Licht ging an und gleichzeitig wurde die Tür geöffnet.
Es war das Licht, das mich zurückhielt. Es ließ mich den Bruchteil einer Sekunde zögern und nicht sofort schießen, gleich als die Tür geöffnet wurde.
Ich stand da und hatte den Arm mit dem zum Schuss bereiten Schlangenschwert ausgestreckt.
Und vor mir in der Türöffnung stand ein nackter Junge.
Ein Junge!
Was sollte das denn, führte Bermann etwa alle an der Nase herum, hatte er womöglich gar keine Tochter, sondern einen Sohn?
»Wenn ich dich bei etwas gestört habe, komme ich später wieder«, sagte derjenige kaltblütig, den man für die Tochter Bermanns hielt. »Aber normalerweise schließt man ab.«
Sein singender Akzent war verschwunden. Jetzt sprach er schärfer, so wie auf dem Avalon. Und die Stimme kam mir bekannt vor. Das Gesicht ebenfalls… wenn man sich diese lächerlichen Locken wegdachte…
Ich entfernte mich vom Bidet, zielte aber trotzdem mit dem Schlangenschwert auf das falsche Mädchen. Woher kenne ich sie… ihn nur?, dachte ich.
»Was, zum Teufel, machst du hier, Tikkirej?«, fragte der Junge.
»Wer bist du?«, rief ich aus.
»Der Kerl im Mantel! Planet Avalon, Stadt Camelot, Institut für experimentelle Soziologie, sechster Fahrstuhl, Stockwerk zweieinhalb. Was machst du hier, du Unglücksrabe?«
Ich senkte meinen Arm und die Schlange zog sich in den Ärmel zurück. Ich hatte den kleinen Phagen erkannt, der Lion und mir geraten hatte, nicht nach Neu-Kuweit zu fliegen.
»Was bedeutet das…«, flüsterte ich. »Und wo ist Alexandra Bermann?«
»Unter Hausarrest, zusammen mit ihrem Papachen. Wenn du es dir mit dem Schießen überlegt hast, ziehe ich mich erst einmal an.«
Ich schluckte und nickte. Das heißt… an Stelle des echten Bermann und seiner Tochter sind Phagen eingereist?
Und ich hätte beinahe geschossen…
»Du brauchst dir keine Gedanken zu machen, wenn die Peitsche bei meinem Erscheinen nicht losging, bedeutet das, dass du nicht bereit warst zu töten«, meinte der Junge aus dem Zimmer, als ob er meine Gedanken gelesen hätte.
Auf steifen Beinen verließ ich das Bad. Der kleine Phag war schon fertig angezogen. Das war mehr als schnell. Statt Rock und Bluse trug er Jeans, Turnschuhe und ein kariertes Hemd — Unisexkleidung, die von Mädchen und Jungs akzeptiert wird. Es war offensichtlich, dass es ihm nicht gefiel, in Mädchensachen herumzulaufen.
»Wie heißt du?«, erkundigte ich mich.
»Alexander«, nuschelte der Junge und befestigte wütend die Ohrclips. »Was machst du hier und wie bist du hier hereingekommen?«
»Der Untergrund hat beschlossen, euch zu liquidieren…«
»Die Ohren sollte man euch abreißen«, meinte Alexander träumerisch, »die Ohren abreißen, durchwalken und in eine Schule für Schwererziehbare stecken.«
»Da war ich schon…« Und da traf mich der Schlag! »Dein Vater! Ist er auch…«
Alexander wurde blass. Er sagte: »Komm! Nein, warte!«
Zuerst schaute er auf den Korridor, dann nickte er mir zu und lief los. Ich folgte ihm.
Die Tür zu Bermanns Zimmer stand offen. Wir stürmten fast gleichzeitig hinein.
Mitten im Zimmers stand ein dicker, glatzköpfiger Alter und schaute nachdenklich auf Lion und Natascha. Sie lagen auf dem Bett, bewegungs- und willenlos, aber lebendig.
»Höhere Gewalt«, sagte der alte »Bermann«. Er schaute mich an und schüttelte den Kopf.
»Und was für eine höhere Gewalt…«
»Dein Tikki hätte mich beinahe erschossen«, beklagte sich Alexander böse. »Wie geht es dir?«
»Das gibt eine Beule«, erwiderte der falsche Oligarch und berührte mit seiner Hand den Hinterkopf. »Lion hat ein erstaunliches Reaktionsvermögen. Für einen normalen Menschen natürlich. Er hat mich ein wenig erwischt.«
»Selber schuld«, erwiderte Alexander ohne jegliche Unterwürfigkeit.
»Kusch dich…«, wies ihn der Alte zurecht und fragte mich: »Tikkirej,kannstdugenauberichten,wie ihr hierhergekommen seid? Oder bleibst du weiter stumm wie ein Fisch?«
»Stasj«, stammelte ich. In meinen Augen brannte es ekelhaft. »Stasj…«
Nur die Augen verrieten ihn. Sie waren ebenfalls gealtert, getrübt, als ob sie Farbe verloren hätten, aber ihr Blick war unverändert.
»Stasj«, wiederholte ich einfältig zum dritten Mal und fing an zu weinen.
Der Phag war mit wenigen Schritten bei mir. Er umarmte mich und drückte mich an sich. Sein Bauch war dick und warm wie ein echter. Sogar die Hände erschienen gealtert, mit hervortretenden Venen und blasser Haut.
»Na, hör schon auf… Es ist alles in Ordnung, Tikkirej. Die anderen kommen gleich wieder zu sich… Beruhige dich!«
»Überhaupt nichts ist in Ordnung. Wir sind umsonst hierhergekommen, haben alles falsch gemacht, hätten euch fast umgebracht…«, murmelte ich. Meine Tränen waren mir peinlich.
Alexander hatte sicherlich noch niemals in seinem Leben geweint.
»Es ist nicht so einfach, uns zu töten, mein Kleiner. Wer ist das Mädchen?«
»Natascha… vom Untergrund.«
»Ihr seid hier völlig verwildert!«, meinte Stasj erbost. »Mädchen sollten nicht töten! Noch dazu im Nahkampf! Ihr macht sie zu psychischen Krüppeln! Das ist nichts für Frauen!«
»Was haben wir denn damit zu tun, sie ist eine Partisanin«, sagte ich, immer noch an Stasj gedrückt. »Sie hatte das Kommando.«
»Alles klar. Also gehört sie zu den ›Schrecklichen‹?« Stasj schob mich etwas von sich weg und schaute mir ins Gesicht. »Geh dich waschen, während ich diese zwei Mörder wieder ins Leben zurückrufe.«
Die Tür zum Bad öffnete ich mit einiger Vorsicht und stellte mir dabei vor, wie Natascha und Lion hier gestanden hatten, bereit, den tödlichen Schlag gegen den Hereinkommenden zu führen. Und wirklich, da lag die Hantel auf dem Boden und dort der Baseballschläger. Und eine Kachel war gesprungen — sicher durch die herunterfallende Hantel.
»Keine Angst, dort sind keine Killer mehr«, stichelte Alexander, der mein Zögern auf der Schwelle bemerkt hatte. Er achtete auf alles…
Ich ließ Wasser ins Waschbecken — ich konnte die Angewohnheit, Wasser zu sparen, nicht ablegen — und wusch mich. Ich schaute in den Spiegeclass="underline" Meine Augen waren rot, sonst ging es.
Stasj ist auf Neu-Kuweit! So was!
Jetzt erst spürte ich meine Erleichterung. Ein dramatischer Fehler war uns nicht unterlaufen. Auch wenn die Untergrundkämpfer alles durcheinandergebracht hatten, auch wenn wir drei uns nicht gerade mit Ruhm bekleckert hatten, das war egal. Stasj wird sich etwas einfallen lassen. Wir kommen hier irgendwie raus und kehren nach Avalon zurück. Weit, weit weg von diesem schlimmen und unglücklichen Planeten, weg vom verfluchten Inej und seiner Präsidentin.
Als ich ins Zimmer zurückkam, war Natascha schon wieder bei Bewusstsein, saß auf dem Bett und rieb sich die Stirn. Lion saß ebenfalls aufrecht, hielt jedoch die Augen geschlossen wie eine Puppe. Stasj massierte ihm den Nacken und presste ab und zu bestimmte Punkte. Lion stöhnte, aber sichtlich vor Behagen und nicht vor Schmerzen.
»Wie beschränkt muss man denn sein«, sagte Stasj währenddessen, »um gleichzeitig einen eintretenden Menschen zu überfallen. Dadurch habt ihr euch gegenseitig behindert. Ihr hättet sowieso keinen Erfolg gehabt, aber bei dieser Konstellation…«
»Ich habe dich trotzdem erwischt«, meinte Lion. Also war er schon zu sich gekommen und sich der Situation bewusst.
»Getroffen… natürlich. Gott sei Dank hatte ich erkannt, wer mich da überfällt und nicht mit voller Kraft zugeschlagen. Deshalb hast du mich getroffen. Sind die Kopfschmerzen weg?«