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»Setz dich und fang an«, forderte die Alte.

Ich setzte mich und begann meine Erzählung. Am Anfang die reine Wahrheit. Über Karijer, meine Eltern, wie ich als Modul arbeitete und den Planeten verließ. Ich erzählte, die Alte staunte und schimpfte, und ich suchte den richtigen Zeitpunkt, um mit den Unwahrheiten zu beginnen.

Sollte ich berichten, dass wir zum Avalon flogen? Die Phagen erwähnen?

Eher nicht, auf keinen Fall, obwohl ich im Grunde genommen gar nicht lügen wollte.

Und so benutzte ich unsere Legende. Erzählte, wie ich mich mit Lion im Wald versteckt hatte, wie wir zurückgekehrt waren, wie die Eltern Lion und mich in einem College für begabte Kinder angemeldet hatten, wir dort geärgert, geschlagen und ausgelacht wurden und letztendlich wegliefen. Wie wir im Heim für schwer erziehbare Kinder unterkamen, dass es dort auch nicht besonders war und wir beschlossen, den Planeten zu verlassen, natürlich Richtung Inej, auf den fortschrittlichsten und besten Planeten, die Heimat der Frau Präsidentin…

Hier geriet ich ein wenig ins Stottern, da ich nicht wusste, ob ich Lion erwähnen sollte. Und was ich zu Natascha sagen sollte, stand erst recht in den Sternen. Deshalb fabulierte ich, dass wir uns zu dritt zum Kosmodrom durchgeschlagen und dort unbeaufsichtigte Gepäckstücke gefunden hatten. Ich stieg in einen Koffer und wurde eingeschlossen, ob es meinen Freunden gelungen war, sich zu verstecken, wusste ich aber nicht.

Die Alte schwieg. Mit der Hand strich sie über ihre welke Wange, als wollte sie die Falten glatt streichen. Dann sagte sie: »Folgendermaßen, mein Junge Tikkirej. Ich spüre, dass du am Anfang die Wahrheit gesagt hast und jetzt angefangen hast zu lügen. Vielleicht war nicht alles gelogen, aber die Hälfte bestimmt.«

»Warum?« Ich ärgerte mich und verbesserte mich gleich darauf: »Warum denken Sie so?«

»Ich kenne kleine Jungs. Habe selbst vier davon großgezogen, ganz abgesehen von Enkeln und Urenkeln… Das gibt es gar nicht, dass zwölfjährige Bengel von zu Hause in den Wald verschwinden und dort einen ganzen Monat lang Robinson spielen.«

»Ich bin fast vierzehn!«, protestierte ich.

»Egal. Du lügst und das nicht einmal besonders schlau. Als ob du auswendig gelernt hättest, was du sagen sollst.«

Vor lauter Schreck brach mir kalter Schweiß aus. Diese Alte! Wohin sollte das führen mit der alten Hexe? Ich wollte nicht auf sie schießen müssen!

»Also entscheide dich, Tikkirej«, fuhr sie fort, »entweder erzählst du mir die Wahrheit, wer du bist und wieso du dich im Koffer versteckt hast, oder ich hole die Polizei. Du hast doch sicher Sachen aus dem Koffer geworfen? Wo sind sie? Und vielleicht bist du ein minderjähriger Dieb und warst nicht umsonst im ›Spross‹?«

»Woher wissen Sie, wie das Heim heißt?«, wollte ich wissen. »Ich habe Ihnen nichts darüber erzählt!«

Die Alte wackelte mit dem Kopf. »Wie sollte ich das nicht wissen? Es gibt ein einziges auf dem ganzen Planeten, darüber berichtet das Fernsehen und die Zeitungen schreiben darüber.«

Mein Drang, bei der Wahrheit zu bleiben, war völlig verflogen. Ich schüttelte den Kopf, stand auf und ging einen Schritt zurück: »Ich werde Ihnen überhaupt nichts sagen!«

»Dann rufe ich die Polizei«, erwiderte die Alte und holte aus ihrer Jackentasche ein einfaches Wegwerfhandy.

Ich kam nicht einmal dazu, einen Gedanken zu fassen, wollte sie lediglich daran hindern — und schon rührte sich die Schlange im Ärmel. Nein, sie feuerte nicht, aber mit einem Pfeifton streckte sie sich zu einem langen, dünnen Band und zerschlug das zerbrechliche Telefon aus Presspappe in zwei Teile.

»Keine Bewegung, sonst passiert dasselbe mit Ihnen!«, drohte ich.

Die Alte machte keine Anstalten sich zu bewegen.

Sie nahm lediglich die Brille ab und zwinkerte mehrmals. Dann fragt sie mit zitternder Stimme: »Junge, bist du etwa ein… Dshedai?«

Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu antworten: »Ein Phag. Ein Dshedai ist eine Märchenfigur aus der mittelalterlichen Mythologie.«

Das Mütterchen lebte auf und entspannte sich. Sie flüsterte: »Herrgott… ist es so weit?«

»Sie sind für den Imperator?«, fragte ich sicherheitshalber nach.

»Ich diene dem Imperium!«, meldete die Alte todernst. »Ich stehe dir zur Verfügung, junger Mann!«

»Junger Mann« genannt zu werden war angenehm, besonders, nachdem sie über mich wie über einen Zwölfjährigen gesprochen hatte.

»Kommt hier niemand herein?«, fragte ich. »Ich… eigentlich sollte ich mich nicht zeigen…«

»Komm mit.« Die Alte lebte auf. Sie erhob sich und fragte ängstlich und zugleich hoffnungsvolclass="underline" »Darf ich mich bewegen?«

»Natürlich.« Ich fasste augenblicklich Zutrauen zu ihr. »Das war, weil… ich hatte Angst, dass Sie Alarm auslösen würden… aber ich hätte bestimmt nicht schießen können.«

»Los!« Die Alte setzte sich in Bewegung, schlug eilig den Koffer zu und warf ihn auf das nächstliegende Regal. »Komm schon…«

In der Tiefe des Raums hinter den Stellagen befand sich eine weitere Tür. Dahinter versteckte sich ein gemütliches kleines fensterloses Zimmerchen. Eine schmale Liege, ein Tisch mit einem einfachen Computerterminal und zwei Stühle sowie ein Wandteppich bildeten die Einrichtung.

Auf dem Tisch stand neben einer altmodischen Tastatur ein orangefarbener Teekessel, ich berührte ihn und er war noch heiß, eine Tasse mit Teeresten, ein Teller mit Gebäck…

»Möchtest du Tee?« Die Alte schaute mir in die Augen. »Etwas essen? Oder dich ausruhen? Du brauchst dich nicht zu genieren, sag es ruhig. Außer mir kommt niemand in die Kammer, ich trinke hier Tee und manchmal schlafe ich sogar hier.«

Ich war redlich müde, aber mir war natürlich nicht nach Schlaf zumute.

»Nein, nein, Danke… Entschuldigen Sie, wie ist Ihr Name?«

»Ada. Eigentlich heiße ich Adelaide, aber ich mag keine langen Namen… Ada ist besser. Du kannst mich auch so nennen, Höflichkeitsfloskeln brauche ich nicht.«

Wohl war mir dabei nicht. Ich fand es unpassend, eine alte Frau mit dem Vornamen anzureden.

Sie erriet meine Beklemmungen und lächelte.

»Oder nenn mich Oma Ada. So rufen mich meine Enkel und Urenkel, und du bist wie ein Urenkel für mich.«

Ich konnte mich nicht an meine Großmütter und Großväter erinnern. Die von Papa waren in den Erzgruben oder an einer Krankheit gestorben, so genau wusste ich das nicht. Und die von Mama hatten ihr Sterberecht in dem Jahr wahrgenommen, in dem ich geboren wurde. Manchmal dachte ich, dass sie das für mich getan hatten, um meinen Eltern die Reste ihrer Sozialanteile zu überschreiben. So etwas kam vor, bei vielen meiner Klassenkameraden war es vor oder nach ihrer Geburt so gewesen. Aber meine Eltern wollten nicht darüber reden und ich hatte Angst sie auszufragen.

Deshalb fiel es mir genauso schwer, die Alte »Oma Ada« zu nennen. Das erste Mal zumindest…

»Oma Ada… ich brauche Ihren Rat…«

Sie nickte und setzte sich auf die Liege.

Ich nahm auf einem Stuhl Platz und holte Luft: »Es stimmt, ich habe gelogen. Ich war nicht allein im Gepäck. Meine Freunde haben sich auch versteckt.«

»Phagen?«, fragte die Alte und nickte die ganze Zeit über.

»Nein, sie sind keine Phagen… Lion und Natascha… sind normale Jugendliche. Und, ehrlich gesagt, ich bin auch kein richtiger Phag, ich bin ein zeitweise hinzugezogener Helfer.«

Oma Ada störte sich nicht an meiner anfänglichen Übertreibung und ermutigt fuhr ich fort: »Ein echter Phag ist unser Freund, der uns hilft, vom Planeten zu fliehen. Wir wurden auf Neu-Kuweit als Aufklärer eingeschleust, aber wir konnten eigentlich nichts Wesentliches in Erfahrung bringen, als wir auch schon entlarvt wurden. Wir versuchen zu fliehen…«

»Im Gepäck?« Die Alte schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Und das Mädchen ist auch im Gepäck? Und was wird aus ihr im Zeittunnel?«

»Darum geht es ja gerade!«, rief ich. »Sta…, unser Freund sollte uns in der Kajüte aus den Koffern herausholen und Natascha wäre in Anabiose gelegt worden. Aber diese idiotischen Gepäckträger haben im Raumschiff keinen Platz für das Gepäck gehabt und sich dafür entschieden, alles in den Frachtraum zu laden! Und dorthin gibt es keinen Zugang vom Passagierbereich! Wenn… wenn unser Freund nicht rechtzeitig davon erfährt, stirbt Natascha!«