„Du schon wieder?“, platzte es aus dem Typen heraus, als sein Blick auf Ronnie fiel. „Jetzt pass mal auf. Du kriegst jetzt richtig schön was auf die Fresse, du blöder Spanner.“
„Hey, ganz ruhig bleiben.“ Ronnie wich einen Schritt zurück und stieß gegen den Kühlergrill seines Wagens. „Kannst du mir vielleicht erst mal sagen, was dein Problem ist? Du hast mir doch die Luft aus dem Reifen gelassen, oder? So gesehen wäre ich wohl eher derjenige, der hier Schläge verteilen müsste.“
„Was mein Problem ist? Das kann ich dir sagen, du bescheuerter Vogel. Mein Problem ist, dass uns schon den ganzen Abend so ein Stelzbock verfolgt und sich daran aufgeilt, meiner Freundin und mir heimlich zuzusehen. Das ist mein Problem. Könnte jetzt aber ruck zuck zu deinem werden.“
Er ging einige Schritte auf Ronnie zu und faltete seine Hände. Bei der folgenden Bewegung ertönte ein lautes Knacken der einzelnen Fingergelenke.
„Hör zu, ich habe euch weder verfolgt, noch habe ich euch beobachtet. Ich habe vorhin nur zufällig neben eurem Wagen geparkt.“
„Und was machst du dann hier? Bist du hier auch zufällig vorbeigekommen?“
Ronnie beobachtete, wie eine Blondine aus dem Golf stieg. Ronnie schätzte sie auf höchstens sechzehn und er fragte sich, ob der Typ nicht gegen das Gesetz verstieß, wenn er es mit ihr tat.
Ihr Haar war zerzaust und auf ihrer Stirn glänzten kleine Schweißtropfen.
„Nico, was ist los? Wer ist das?“ Sie deutete mit einem Kopfnicken auf Ronnie.
„Das ist der Typ, der uns ständig in den Wagen glotzt. Scheinbar hat er unsere Botschaft falsch verstanden.“ Zu Ronnie gewandt, fuhr er fort: „Das war nämlich keine Einladung, uns weiter hinterherzufahren, sondern eine Warnung.“
„Okay, also noch mal zum Mitschreiben: Ich bin euch nicht hinterhergefahren.“
„Sondern?“ Dieses Mal war es die Blondine, die sich zu Wort meldete, während sie sich einen Kaugummi in den Mund schob, das Papier zu einer kleinen Kugel zusammenknüllte und es in die Königsfarne schnippte, die mannshoch abseits des Weges wucherten.
„Ich suche jemanden.“
„So? Wen denn? Und warum ausgerechnet hier?“
Ronnie betrachtete die Blondine. Ihr Gesicht leuchtete rot. Offenbar hatte sie versucht, die zahlreichen Pickel auf ihren Wangen so gut wie möglich mit Rouge abzudecken. Ihre langen, schlanken Beine steckten in einer knallengen Röhren-Jeans. Blasse Haut schimmerte durch fransige Schnitte im ausgewaschenen Stoff. Es schien, als habe sie sich ebenso beeilt, den Wagen zu verlassen, wie ihr Freund. Unter ihrem weißen Shirt trug sie keinen BH und Ronnie konnte die Abdrücke ihrer Nippel durch den dünnen Stoff hindurch sehen. Tatsächlich hatte er die beiden wohl wieder einmal in flagranti ertappt. Kein Wunder, dass sie nicht gerade begeistert über sein Auftauchen waren.
Er wollte gerade erzählen, dass er sich auf der Suche nach seiner Freundin befand, die mit einem Typ in einem geheimnisvollen Leichenwagen davongefahren war, als das Mädchen ihm zuvor kam.
„Weißt du, mein Schatzi meint es ja nicht böse, aber normalerweise verirrt sich keine Sau auf diesen Weg und heute geht es hier zu wie auf der Autobahn.“
„Wie auf der Autobahn?“
„Ja. Bist du schwer von Begriff?“ Der Typ, der eine ganze Weile nur dagestanden und Ronnie aus wütenden Augen angeblitzt hatte, mischte sich nun wieder in das Gespräch ein. „Zuerst glotzt du uns auf dem Parkplatz ins Auto. Dann kreuzt hier, mitten im Wald, dieser Verrückte mit seinem Leichenwagen auf. Die Karre, die auch vor der Disco rumgestanden hat. Und jetzt schon wieder du. Komm Süße, mir reicht´s für heute. Wir fahren zu mir, da haben wir wenigstens unsere Ruhe.“ Er griff nach der Hand seiner Freundin und zog sie hinter sich her zum Wagen.
„Wartet!“ Ronnie folgte den beiden. „Habt ihr etwas von einem Leichenwagen gesagt? Ihr habt ihn gesehen? Hier?“
„Ja. Ist hier vorbeigefahren. Schätze vor ´ner Dreiviertelstunde oder so. Hab nicht auf die Uhrzeit geachtet. Wir hatten gerade besseres zu tun.“ Er zwinkerte seiner Freundin zu, die inzwischen vor der geöffneten Beifahrertür stand. „Also, mach´s gut Alter. Und nichts für Ungut, wegen deinem Reifen. Is ja nur´n Platten. Wir haben nichts kaputt gemacht.“
Beide stiegen ein und zogen die Türen hinter sich ins Schloss.
Der Ofenrohrauspuff gab ein tiefes Brummen von sich, während der Wagen langsam an Ronnie vorbeirollte. Das Mädchen sah ihn durch das Seitenfenster an, aber Ronnie war mit seinen Gedanken ganz woanders.
Der Leichenwagen.
Sollte ihm tatsächlich der Zufall zu Hilfe kommen, dem Wagen wieder auf die Spur zu kommen? Wohin mochte er wohl gefahren sein, wenn die beiden ihn auf diesem Weg gesehen hatten? Und war Sandy noch immer in dem Wagen gewesen? Er hatte nur eine Chance, Antworten auf seine Fragen zu bekommen. Er musste diesem Weg folgen.
Die Lichter des Golfs verschwanden hinter der Wegbiegung und auch das Dröhnen des Auspuffs war kaum noch zu hören. Ronnie stand alleine auf dem ansonsten menschenleeren Waldweg. Er betrachtete den Opel. Am besten machte er sich zu Fuß auf die Suche. Allzu weit konnte der Weg vermutlich nicht in den Wald hineinführen. Und ohne Auto war er erheblich unauffälliger unterwegs. Er verriegelte die Wagentür, bevor er sich aufmachte und dem Weg tiefer in den finsteren Wald hinein folgte.
Der Gedanke, womöglich doch nicht alleine zu sein, kam ihm nicht.
KAPITEL 23
Adam hockte in seinem Versteck zwischen dichten Farnen und kochte innerlich vor Wut.
Ein leichtes Kitzeln erregte seine Aufmerksamkeit, als eine Spinne seinen linken Handrücken erklomm. Er hob sie mit Daumen und Zeigefinger der andern Hand an und rieb beide Finger kurz und druckvoll aneinander. Die zurückbleibende schwarze Masse wischte er an seinem Hosenbein ab, während er beobachtete, wie der lilafarbene Golf langsam über den Waldweg davonfuhr.
Das blonde Mädchen und sein Freund wären ganz sicher leichte Beute gewesen. Sie waren so mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass es ein Leichtes gewesen wäre, dem Typen eins mit dem Hammer über den Schädel zu geben und seinen Platz im Auto einzunehmen. Vielleicht hätte er die Kleine auch einfach ins Schloss gebracht und sich in einem der zahlreichen Zimmer mit ihr vergnügt.
Am liebsten hätte er vor Enttäuschung geschrien, wenn er daran dachte. Endlich hätte auch er mal wieder einen Stich für sie beide klarmachen können.
Und was für einen. Die kleine Blonde war nach seinem Geschmack ein echtes Ass. Sie hatte mindestens so viel Feuer, wie die kleine Schlampe, die Kid an diesem Abend angeschleppt hatte und von der er sich aus irgendwelchen Gründen nicht wieder losreißen konnte.
Und wem hatte er diese Pleite zu verdanken? Einzig diesem verfluchten Typen, von dem sein Bruder sich hatte mitnehmen lassen.
Aber warum zum Teufel war er überhaupt hier aufgetaucht? Offenbar hatte er ja keine Ahnung gehabt, dass Kid und er diesen Weg entlanggefahren waren. Nein, auf diese Idee hatten ihn erst die Blonde und ihr Macker gebracht.
So eine verfluchte Scheiße.
Dieser Typ hatte ihm den ganzen Abend vermasselt. Aber das würde Adam ihm heimzahlen.
Er schob die gefächerten Pflanzenblätter beiseite, um den Waldweg besser überblicken zu können. Der Opel stand nach wie vor mit ausgeschaltetem Licht und Motor am Rand des Weges. Vom Fahrer war nichts zu sehen. Vorsichtig schob Adam seinen Oberkörper aus dem Pflanzendickicht und sah gerade noch, wie der Opelfahrer zu Fuß hinter der nächsten Biegung verschwand. Von dort aus waren es noch etwa einhundert Meter bis zur nächsten Abzweigung.