„Herzlich willkommen in unserem kleinen Reich. Und wie gesagt, das Schreien kannst du dir sparen. Niemand wird dich hören. Hier unten haben schon viele Mädchen um Hilfe gerufen, aber keinem hat es etwas genützt.“
„Was haben Sie mit mir vor?“
Kid schüttelte langsam den Kopf. „Warum so förmlich? Wir waren doch schon beim Du angekommen.“
„Was wollen Sie von mir?“, wiederholte Sandy die Frage.
„Du solltest nicht so viele Fragen stellen. Das macht die ganze Stimmung kaputt. Schau mal hier, gefällt es dir?“ Er ließ den unheimlichen Gegenstand vor ihren Augen hin und her schaukeln, bevor er ihn schließlich in der Gesäßtasche seiner Jeans verschwinden ließ und stattdessen nach einer auf dem Boden liegenden Fernbedienung griff.
Sandys Blick wanderte automatisch zu dem Fernsehgerät, das auf einem umgedrehten Bierkasten thronte. Das Hochzeitsvideo lief noch immer und Sandy erkannte die Stelle wieder, an der das Unwetter beginnt und die Hochzeitsgesellschaft fluchtartig die Feier verlässt. Offenbar lief das Video in einer Endlosschleife.
Als Kid den Ton einschaltete, fiel der Groschen.
Guns N’ Roses. November Rain.
„Ein phantastischer Song. Was meinst du?”
„Was soll das?“
„Psst. Achte auf den Text.“
I know it's hard to keep an open heart
When even friends seem out to harm you
But if you could heal a broken heart
Wouldn't time be out to charm you?
Oh!
„Was wollen Sie mir damit sagen? Warum haben Sie mich hierher gebracht?“ Sandy versuchte, sich auf dem Sofa aufzurichten, was sich wegen ihrer sperrigen Fußfessel alles andere als einfach gestaltete.
Als sie es schließlich geschafft hatte, kam Kid auf sie zu. Er stellte die Bierflasche auf einem kleinen Tisch ab, beugte sich leicht über sie – und gab ihr eine schallende Ohrfeige.
„Hör gefälligst mit diesem albernen Sie auf. Hast du mich verstanden?“
Sandy weinte. Zwar hatte sie den Schlag kommen sehen, konnte wegen ihrer gefesselten Hände aber herzlich wenig dagegen ausrichten.
Er schlug erneut zu.
Sandys Kopf flog zur Seite, als der Schlag in ihrem Gesicht explodierte. Eine Mischung aus Schnodder und Blut tropfte auf ihr Shirt.
„Hast du gehört, was ich gesagt habe? Antworte mir gefälligst, wenn ich mit dir rede.“
„Ja, ja. Schon gut. Aber hören Sie, ich meine, hör bitte auf, mich zu schlagen“, schluchzte Sandy mit tränenerstickter Stimme.
„Okay.“ Kid setzte sich neben sie und legte seinen linken Arm auf die Rückenlehne hinter Sandys Kopf.
Sie spürte seine Finger in ihren Haaren.
„Es gibt zwei Möglichkeiten.“
Die Finger seiner rechten Hand berührten Sandys Kinn und drehten ihren Kopf langsam in seine Richtung. Noch immer lief ein feiner Faden Blut aus ihrem rechten Nasenloch und die Augenbraue darüber war rot und geschwollen.
„Entweder, du zeigst dich ein bisschen entgegenkommend und wir zwei machen uns einen netten Abend – mit allem, was dazugehört.“
„Oder?“ Ihre Stimme zitterte.
Er lächelte schief.
„Oder du entscheidest dich gegen mich und ich lade auf der Stelle meinen Bruder zu uns ein. Ich habe ihn nämlich vorhin weggeschickt, weil ich glaube, dass du mit mir besser dran bist. Ich mag dich nämlich. Und nebenbei bemerkt: Mein Brüderchen war darüber nicht besonders amüsiert.
Dann überlasse ich dich seiner Obhut. Und wenn du meine ehrliche Meinung hören willst: Er ist etwas… nun ja…, morbide veranlagt. Er hat von Zeit zu Zeit sehr unschöne Fantasien, wenn du weißt, was ich meine. Und ich kann ihn nicht immer davon abhalten, sie in die Tat umzusetzen.
Er ist wie ein Vulkan. Hier und da hilft nur ein anständiger Ausbruch, den unterirdischen Druck abzubauen. Das sind keine schönen Momente, vor allem für euch Frauen, aber sie ersparen uns allen einen völlig unkontrollierbaren Mega-Ausbruch.“
Er legte seine rechte Hand auf ihr Knie und fuhr langsam an der Innenseite ihres Oberschenkels entlang.
„Es wäre wirklich schade, wenn er dich so zurichten würde, wie unseren letzten Gast. Und bei all dem, was er mit ihr angestellt hat, hat sie hat fast vier Stunden gebraucht, bis sie endlich gestorben ist.“
Er griff hinter das Sofa und förderte den Fuß einer Tischlampe zutage. Sie hatte keinen Schirm mehr, doch die nackte Birne glühte augenblicklich auf, als Kid den kleinen Schalter umlegte. Er hielt Sandy die Glühbirne unmittelbar vor ihr rechtes Auge.
Geblendet kniff sie die Augen zusammen. Sie spürte die ungeheure Hitze, die von dem heißen Glas ausging.
„Glaub mir, das Ding macht ziemlich schmerzhafte Brandwunden.“
Einmal mehr schnürte sich Sandys Kehle zu und dem Kloß war auch durch kräftiges Schlucken nicht beizukommen. Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen und die Vorstellung, was während der nächsten Stunden mit ihr geschehen würde, ließ die Panik zurückkehren.
Grinsend stellte Kid die Lampe neben der Couch auf dem Fußboden ab.
„Aber keine Sorge. Ich wollte dir nur einen Eindruck vermitteln, auf was für ausgefallene Ideen mein Bruder von Zeit zu Zeit kommt. Wie geht es deinem Kopf?“
„Schon okay.“
Daumen und Zeigefinger von Kids rechter Hand bohrten sich schmerzhaft in Sandys Wangen, während sich sein Gesicht dem ihren bedrohlich näherte. Sie spürte seinen Atem und schloss die Augen in ständiger Erwartung der nächsten Ohrfeige.
„Lüg mich nicht an. Dieses Ätherzeug macht höllische Kopfschmerzen. Also versuch nicht, mir zu erzählen, dass es ausgerechnet bei dir nicht so ist. Hast du mich verstanden?“
Sie versuchte zu nicken, doch er hielt ihren Kopf wie in einem Schraubstock.
„Lüg mich nie wieder an, oder ich breche dir dein hübsches Näschen.“ Sein Kopf wippte nach vorne und versetzte Sandy mit der Stirn einen leichten Schlag auf den Nasenrücken. „Also, wie geht es deinem Kopf?“
„Es dröhnt wie in einem Flugzeug.“
„Na also, ist doch gar nicht so schwierig, oder?“ Lächelnd stand er auf und fummelte etwas aus seiner Hosentasche hervor. Es war eine Palette mit Pillen, von denen er eine aus der Packung drückte und sie Sandy vor den Mund hielt.
„Hier, nimm die. Damit geht es dir in ein paar Minuten besser. Wir wollen doch nicht, dass uns deine Migräne den gemütlichen Abend versaut, oder?“
Sandy schüttelte den Kopf und betrachtete misstrauisch die Tablette.
„Ganz normale Schmerzmittel. Kein Grund zur Sorge. Oder traust du mir etwa nicht?“
„Nein… ich…“
„Dann mach endlich den Mund auf“, zischte er.
Sandy befolgte den Befehl und schluckte die Tablette. Was hatte sie schon zu verlieren? Entweder war es tatsächlich ein Schmerzmittel – umso besser. Oder es war etwas anderes. Vielleicht Drogen oder ein Gift. In diesem Fall würde ihr die Einnahme vielleicht so einiges ersparen, was sie nicht bei vollem Bewusstsein erleben wollte.
Kid hielt ihr seine Bierflasche an den Mund.
„Trink einen Schluck.“
Sandy trank. Bier tropfte aus ihrem Mundwinkel. Sie verschluckte sich und musste husten.
„Nicht so gierig“, lachte Kid und setzte selbst zu einem kräftigen Schluck an.
Sandys Blick fiel erneut auf den Fernseher. Das Video hatte inzwischen wieder von vorne begonnen.
„Was hat es damit auf sich? Ist das Ihr, ich meine, dein Lieblingslied?“
Kid schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an.
„Das war es mal. Ja.“
„Jetzt nicht mehr?“
„Nein.“
„Und wieso läuft es dann ununterbrochen? Du könntest es doch einfach ausmachen.