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„Nein“, schrie Kid.

Sandy zuckte zusammen. Es ist unglaublich, wie schnell seine Stimmung zwischen entspannt und explosiv wechselt. Du musst dich verdammt in Acht nehmen. Er ist mit Sicherheit genauso verrückt wie sein Bruder.

„Ich kann es verdammt noch mal nicht einfach ausmachen. Wir müssen es hören. Du musst es hören. Verstehst du?“

Sandy überlegte einen Augenblick, welche Antwort wohl die richtige wäre. Schließlich hatte sie keine Lust auf einen weiteren Schlag ins Gesicht. Da sie sich nicht entscheiden konnte, beschloss sie, einfach bei der Wahrheit zu bleiben. „Ehrlich gesagt, nein. Ich verstehe es nicht. Hat es mit irgendetwas zu tun, das du erlebt hast? Etwas, das mit diesem Lied zusammenhängt? Eine Erinnerung?“

Sie hatte ins Schwarze getroffen.

Doch Kids verräterischer Gesichtsausdruck hielt nur einen Sekundenbruchteil an. Sofort hatte er die Fassung zurückgewonnen.

Er setzte sich so dicht neben sie, dass ihre Oberschenkel sich berührten. Seine Hand streichelte erneut über die Haut ihrer Beine…

Jetzt ist er beinahe sanft, dachte sie.

…und blieb schließlich in ihrem Schritt liegen.

Da Sandy aufgrund ihrer Fesseln keine Chance zur Gegenwehr hatte, schloss sie die Augen und schwieg.

„Möchtest du die Geschichte hören?“

Sandy schluckte. Eigentlich interessierte die Geschichte dieses Verrückten sie einen Scheiß. Aber wenn sie ein ernsthaftes Interesse an dem vorheuchelte, was Kid ihr offenbar unbedingt erzählen wollte, konnte sie auf diese Weise vielleicht etwas Zeit schinden. Zeit, die ihr möglicherweise eine gute Idee oder einen glücklichen Zufallsretter bescherte.

Vielleicht ist es wie in einem Märchen? Plötzlich kommt der Ritter auf seinem weißen Pferd und rettet mich aus der Burg des Bösewichts?

Zumindest konnte seine eigene Geschichte ihn vielleicht davon abhalten, sie permanent zu begrabschen.

„Ja“, hauchte sie. „Was ist passiert?“

„Interessiert dich das wirklich? Wenn ich herausfinde, dass dir das, was ich zu erzählen habe, in Wirklichkeit an deinem süßen Arsch vorbeigeht, dann kannst du was erleben. Also, willst du die Geschichte hören?“

„Ja. Bitte.“

„Okay, machen wir es uns also ein wenig gemütlich.“

Kid machte sich an einer Tasche zu schaffen, die in der Dunkelheit neben dem Sessel auf dem Boden gestanden hatte. Er pfiff durch die Zähne, als er sich erhob und Sandy einen kurzläufigen Revolver präsentierte.

Sandy wurde blass.

„Keine Panik. Wenn du dich nicht zu widerborstig gibst, wirst du keine nähere Bekanntschaft mit meiner kleinen Freundin machen.“ Er hielt den silbernen Lauf vor seinen Mund gab ihm einen zärtlichen Kuss. Dann legte er die Waffe auf den kleinen Tisch neben dem Sofa und ließ sich neben Sandy nieder.

Sie konnte sein Deo und das intensive Eau de Toilette riechen, als Kid ganz nah an sie heranrückte. Seine Finger streichelten über die feinen Härchen auf ihrem Unterarm.

Und dann begann er, seine Geschichte zu erzählen.

KAPITEL 31

Das Hämmern war unerträglich. Er hatte das Gefühl, sein Kopf würde jeden Augenblick in tausende Stücke zerbersten. Vorsichtig tastete seine Hand nach der Stelle an seinem Hinterkopf, an der die Schmerzen ihren Ausgangspunkt zu haben schienen.

Warme, klebrige Flüssigkeit.

Blut.

Irgendein verdammtes Arschloch hat mir die Lichter ausgeblasen.

Er sah sich um. Es war stockfinster.

Wo bin ich?

Ronnie versuchte aufzustehen, doch er brach den Versuch schlagartig ab, als er sich mit den Händen vom Boden wegdrücken wollte. Er schrie vor Schmerz auf und tastete seinen linken Unterarm ab. Direkt oberhalb der Handwurzel fühlte er eine unnatürliche Beule.

Scheiße. Das hat gerade noch gefehlt.

Er kniete auf dem Boden und lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Irgendwo in der Ferne hörte er ein leises Geräusch, dessen Ursache er sich nicht mit Sicherheit erklären konnte, das womöglich aber von der angrenzenden Landstraße herrührte.

Sein Schädel brummte und er vermutete, sich eine fette Gehirnerschütterung eingehandelt zu haben. Und in seinem Handgelenk pochte es wie Teufel.

Ein süßlicher Gestank hing in der Luft und brachte Ronnie in Verbindung mit den höllischen Kopfschmerzen um ein Haar dazu, sich zu übergeben. Der Geruch erinnerte ihn an ein Stück Fleisch, das er im vergangenen Sommer unter der Abdeckung seines Grills vergessen hatte. Nach einer knappen Woche bei über dreißig Grad war das Kotelett quasi von den Toten auferstanden und als Ronnie nichts Böses ahnend den Grill öffnete, schwappte ihm, neben einem Haufen dicker, weißer Maden, der ekelhafteste Gestank entgegen, der jemals seinen Geruchsinn heimgesucht hatte.

Bis heute.

Bis zu diesem verfluchten Moment.

Vorsichtig tastete er seine Umgebung ab. Irgendetwas lag um ihn herum auf dem Boden.

Die Dinger fühlten sich an, wie große Pakete. Sie waren weich und in etwas eingepackt, dass sich nach Plastik anfühlte.

Plötzlich glitten seine Finger über einen Gegenstand. Ronnies Herz begann heftig zu schlagen und er pfiff durch die Zähne.

Eine Taschenlampe? Ja, es war tatsächlich eine Taschenlampe.

Seine Finger fuhren die Konturen der Lampe entlang.

Splitter.

Das Glas war zersprungen. Vermutlich hatte sie jemand fallen lassen. Nervös suchte er nach dem Schalter.

Oh bitte, lass sie funktionieren. Bitte!

Ronnie schob den Regler nach vorne.

Ein leises Klicken ertönte, das in der Stille dieses unheimlichen Ortes jedoch unnatürlich laut klang. Dann schnitt der weiße Lichtstrahl wie in Laserschwert durch die Dunkelheit.

Yes! Yes! Yes!

Ronnie ballte die Faust seiner linken Hand. Wieder fuhr ein stechender Schmerz seinen Arm hinauf, der seine Freude dieses Mal jedoch nicht im Geringsten trüben konnte.

Der Strahl der Lampe wanderte umher. Der kreisrunde Raum, in dem er sich befand, hatte einen Durchmesser von etwa drei Metern. Die gemauerten Wände waren feucht. Hier und da tropfte Wasser aus der Dunkelheit herab und Ronnie konnte riesige Pilzflechten sehen, die sich über alte Backsteinmauern zogen. Wahrscheinlich hätte es feucht und muffig gerochen, doch der süßliche Gestank überlagerte alles andere.

Ronnie ließ den Lichtstrahl die Wände hinaufwandern. Das Licht der Lampe reichte nicht ganz bis zur Decke des Raumes, aber er glaubte, in der Dunkelheit eine Klappe zu erkennen.

Die Erkenntnis, dass ihn jemand hier herunter geworfen haben musste, traf ihn wie ein erneuter Schlag.

Ihm fielen die weichen Pakete ein, die er um sich herum in der Dunkelheit ertastet hatte. Möglicherweise hatte eines dieser Dinger seinen Sturz abgefedert, so dass er sich nicht gleich den Hals gebrochen hatte. Zwar konnte er von hier unten kaum abschätzen, wie tief er tatsächlich gestürzt war, aber vermutlich war er mit einem kaputten Handgelenk noch gut bedient.

Er leuchtete den Boden seines Gefängnisses ab.

Und erstarrte.

KAPITEL 32

„Warst du schon mal verliebt?“

Sandy nickte.

„Ich meine, so richtig. So verliebt, dass es wehgetan hat, weil der andere deine Liebe nicht erwidert hat?“

Sie überlegte einen Augenblick. Wenn sie ehrlich war, hatte sie bisher jeden Jungen bekommen, an dem sie Interesse gezeigt hatte. Schon in der Schule waren die Jungs stets um sie herumgeschwirrt, wie die Mücken ums Licht. Genau wie bei Lena.

Sie wollte gerade zu einer diplomatischen Antwort ansetzen, als Kid ihr zuvorkam.