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„So eine verfluchte Scheiße“, murmelte Ronnie und riss seinen Blick mit Gewalt von der tödlichen Grube los, denn schließlich hatte er ein ganz anderes Problem.

Irgendwie musste er auf die andere Seite gelangen.

Da die Grube nur einen guten Meter lang war, wäre es kein Problem gewesen, einfach auf die gegenüberliegende Seite zu springen. Ronnie leuchtete an die Decke.

Verdammt niedrig.

Was, wenn er im Sprung gegen die Decke stieß und direkt in die Grube katapultiert wurde? Er hatte weiß Gott  keine Lust, auf einem dieser überdimensionierten Dönerspieße zu landen.

Mit zwei gesunden Händen hätte er versucht, über den schmalen Rand an der Grube vorbei zu balancieren. Die unebenen Backsteine der Wände boten genügend Möglichkeiten, sich festzuhalten. Vorsichtig bewegte er seine linke Hand.

Der Schmerz raubte ihm buchstäblich den Atem und er musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht lauf aufzuschreien. Auch diese Option schien nicht wirklich in Frage zu kommen.

Er leuchtete noch einmal in die Grube hinab und sah gerade noch, wie etwas Kleines blitzschnell in der Wange der Puppe verschwand.

Der Strahl der Lampe wanderte auf die andere Seite der Grube und erfasste ein Brett, das dort auf dem Boden lag. Ronnie vermutete, dass es, von wem auch immer, als Brücke genutzt worden war, um auf die andere Seite zu gelangen.

Um tote Kinder in ihren kleinen Särgen in die geheime Kammer zu transportieren? Mein Gott, was ist hier bloß vor sich gegangen?

Zu dumm, dass das Brett ausgerechnet auf der anderen Seite der Grube liegen musste.

Wieder leuchtete er zum Rand der Grube.

Fünfzehn Zentimeter. Bestenfalls zwanzig.

Konnte man das schaffen? Konnte er das schaffen? Vielleicht mit dem Rücken zur Wand, so dass er nur eine Hand benutzen würde, um sich zumindest ein wenig Halt zu verschaffen?

Und wenn er stürzte? Wahrscheinlich würde er mit dem Gesicht direkt auf einem dieser Spieße landen und sich für alle Ewigkeit zu dem Skelett dort unten gesellen.

Die Ratten würden sich freuen. Ein besonders dickes Exemplar huschte in diesem Moment über den Grubenrand und verschwand auf der anderen Seite in der Finsternis.

Sandy.

Wo war Sandy? Irgendwo hielt ein geisteskranker Perverser seine Sandy gefangen. Davon war er überzeugt. Er musste hier raus. Und wenn er darüber nachdachte, hatte er ohnehin keine andere Chance, als die Flucht nach vorn anzutreten. Der Schacht, in den man ihn hineingeworfen hatte, war eine Sackgasse. Wenn er dorthin zurückging, konnte er ebenso gut hier sitzen bleiben und auf den Sankt-Nimmerleins-Tag warten.

Nein, das kam überhaupt nicht in Frage. Entschlossen, es auf die andere Seite der Grube zu schaffen, nahm er die Sache in Angriff.

Er presste seinen Rücken gegen die Backsteinmauer und schob vorsichtig einen Fuß auf den schmalen Sims. Während er die Taschenlampe in der linken Hand hielt, suchte er mit der rechten nach kleinen Vorsprüngen und Löchern in der Mauer, um sich ein wenig zusätzlichen Halt zu verschaffen.

Langsam zog er den zweiten Fuß hinterher. Den sicheren Untergrund hatte er nun vollständig verlassen. Sein Herz schlug zunehmend schneller, während er einen vorsichtigen Blick hinunter in die Grube wagte.

Verlier bloß nicht das Gleichgewicht. Nur nicht nach vorne kippen.

Wie aufgerichtete Lanzen streckten ihm die Metallstangen ihre mörderischen Spitzen entgegen. Er strauchelte, als er ein Stückchen Stoff bemerkte, das schlaff an einer der Spitzen hing, wie ein Fähnchen bei totaler Windstille. Im letzten Augenblick stellte er das Gleichgewicht wieder her, lehnte den Hinterkopf gegen die Backsteine in seinem Rücken und atmete tief durch. Um vollständige Gewissheit zu erlangen, hätte er sich vorbeugen müssen, aber auch so vermutete er, dass der Stofffetzen zu den vermoderten Kleidungsresten gehörte, die er rund um das Skelett bemerkt hatte.

Nachdem er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, setzte er seinen Weg fort. Stück für Stück kam er voran. Behutsam schob er zuerst den linken Fuß über den schmalen Sims, dann ließ er den rechten folgen. Immer darauf bedacht, bloß keine unnötige Bewegung zu machen, die ihn aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn und tropften ihm ins Gesicht. Doch er wagte nicht, sie beiseite zu wischen.

Vermutlich war nicht mehr als eine Minute vergangen, doch die Zeitspanne, die er auf dem schmalen Grat verbracht hatte, war ihm schier endlos vorgekommen. Schließlich erreichte er das Ende und schob den linken Fuß auf die erlösende andere Seite. Ein letztes Mal suchte seine rechte Hand Halt in der Wand und griff nach einem hervorstehenden Stein.

Ronnie erschrak, als der Stein, den seine Finger umschlossen, plötzlich wackelte. Und als sein Oberkörper nach vorne kippte, löste sich das Stück Ziegel aus der Wand und er verlor endgültig den Halt.

KAPITEL 34

„Mein Bruder öffnete die Tür zu der Hütte und wir betraten den Innenraum. Die Luft war heiß und stickig und am liebsten hätte ich auf dem Absatz kehrtgemacht. Staubkörner tanzten im Licht der Sonnenstrahlen, die durch die Ritzen der Bretter vor den Fenstern fielen. Die Umgebung wirkte auf mich ziemlich gespenstisch.

Und dann war da noch diese Musik. Mein Bruder hatte einen Kassettenrekorder aufgestellt, der leise vor sich hin spielte.“

„November Rain?“

Kid nickte. „An diesem Tag wurde das Lied zu unserer Hymne. Es gehört für uns einfach dazu. Und irgendwie kommt es mir manchmal beinahe vor, wie ein Fluch.

Ich saugte die Atmosphäre in mich auf und sah mich um. Und in diesem Augenblick dachte ich, ich bekäme einen Herzinfarkt.“

„Was um Himmels Willen hast du gesehen? War sie da?“

„An dieser Stelle muss ich etwas ausholen. Solange ich denken kann, hatte Adam schon immer eine Schwäche für die Jagd und für tote Tiere. Früher konnte ich mit dieser Leidenschaft nicht so recht etwas anfangen. Zumindest wollte ich es mir nicht eingestehen. Ich wollte nichts davon wissen, wenn er Tiere gefangen und gequält hat. Zuerst nur Insekten, später immer größere Tiere. Vögel, Kaninchen, Katzen, Hunde. Einmal hat er die Katze unserer Nachbarin mit einer Drahtschlinge gefangen und am Apfelbaum in ihrem Garten aufgehängt. Die Alte wäre fast gestorben, als sie ihre Miezekatze am nächsten Morgen vor dem Küchenfenster baumeln sah.“

„Das ist ja grauenvoll“, murmelte Sandy.

Kid ging gar nicht darauf ein. „Stundenlang stand er auf dem Weihnachtsmarkt vor dieser Insektenbude. Weißt du was ich meine? Die haben dort Tiere aus der ganzen Welt. Riesige Schmetterlinge und Käfer. Würmer die größer sind als Blindschleichen, mit dicken, schwarzen Borsten. Monsterheuschrecken und was weiß ich, was noch alles.“

Sandy nickte. „Du meinst diese Tiere, die auf Nadeln aufgespießt sind?“

„Genau die. Und auf Adam übten sie eine unglaubliche Faszination aus.“

„Oh mein Gott.“ Sandy wurde kreidebleich. „Du willst damit doch hoffentlich nicht sagen, dass dein Bruder… ich meine, dass er dieses Mädchen…?“

„Adam war schon immer recht kräftig, aber trotzdem habe ich keine Ahnung, wie er es fertig gebracht hat. Jedenfalls hatte er Jessica irgendwie überwältigt und in diese Hütte geschafft. Später hat er mir erzählt, dass er ihr beim Joggen im Wald aufgelauert hat. So wie ich ihn verstanden habe, hat er sich den Spaß gemacht, ein kleines Arrangement für sie vorzubereiten. Er wollte mir aber nie erzählen, was genau es gewesen ist. Jedenfalls hat er sie ganz in der Nähe der Hütte überfallen und dorthin verschleppt.“

„Bitte! Was hat er mit ihr gemacht?“

„Er hat sie in diese Hütte geschleppt und sie einfach auf dem Fußboden festgenagelt. Sie sah so aus, wie einer dieser Käfer.“