Er sah mich schweigend an und nickte in Richtung der Eingangstür.
Lass es uns hinter uns bringen.
Interessanterweise schien ihn das Begraben der Toten mehr zu belasten, als das Töten selbst.
So wie Adam es geplant hatte, haben wir Jessica im Keller der Hütte vergraben. Adam musste das Grab schon Tage vorher ausgehoben haben, denn als wir die Leiche nach unten trugen, mussten wir sie nur noch in das Loch legen und es mit Erde zuschütten. Er hatte sogar darauf geachtet, dass das Loch die richtige Größe hatte. Es war fast auf den Zentimeter genau auf Jessica abgestimmt.
Und dann hat er etwas total Geniales gemacht, das uns möglicherweise tatsächlich den Arsch gerettet hat. Weißt du was?“
Sandy schüttelte den Kopf.
„Nachdem wir das Loch etwa zur Hälfte zugeschüttet hatten, zog er einen toten Hasen aus einer Plastiktüte und legte ihn in das Loch.
>Falls sich doch mal ein Hund hierher verirrt. Von einem Jäger oder von den Bullen. Wenn er anschlägt und anfängt zu buddeln und nur eine verweste Karnickelleiche ausgräbt, wird vermutlich niemand weitersuchen.<
Ganz schön gerissen, oder? Ich war wirklich platt, mit welcher Akribie er das alles geplant hatte. Überleg mal, er war ein Teenager, der noch zur Schule ging.
Nachdem wir das Loch zugeschüttet hatten, hat er einen vermoderten Teppich über der Stelle ausgebreitet, so dass man wirklich nichts mehr sehen konnte.
Trotzdem hatten wir im Nachhinein betrachtet wahrscheinlich ziemliches Glück, dass niemand die Hütte durchsucht hat, denn das ganze Blut haben wir natürlich nicht mehr von dem Holzboden abbekommen.“
„Schrecklich“, murmelte Sandy. „Wurde Jessica jemals gefunden?“
„Ich glaube nicht. Zumindest habe ich nie etwas davon gehört. Noch am selben Tag wurde sie als vermisst gemeldet und am nächsten Tag wurde eine riesige Suchaktion gestartet. Aber seltsamerweise kam niemand darauf, in der alten Hütte zu suchen. Vermutlich, weil kaum jemand von ihrer Existenz wusste.
Und zur Sicherheit hatten Adam und ich die Klappe im Boden zugenagelt, nachdem wir Jessi dort vergraben hatten, so dass den Keller selbst bei einer Durchsuchung vermutlich niemand entdeckt hätte.“
„Und dann? Wie konntet ihr damit leben? Ihr hattet ein Menschenleben auf dem Gewissen.“
„Am Anfang war es schlimm. Ich bildete mir ein, jeder könnte mir ansehen, was wir getan hatten. Vor allem, als die Polizei in unsere Schule kam und Fragen über Jessica stellte. Ich war ziemlich nervös, Adam nicht so sehr. Zumindest wirkte er nach außen ausgesprochen cool.
Aber mit der Zeit wurde es besser. Und als die Polizei die Suche nach Jessica einstellte, war es sogar ein ziemlich geiles Gefühl. Wir waren die einzigen, die wussten, was mit ihr geschehen war.
Das einzig Blöde war, dass wir niemandem davon erzählen konnten und je mehr Zeit verging, desto schwerer fiel es uns, den Mund zu halten.
Ein halbes Jahr nach Jessicas Tod haben wir dann beschlossen, ein weiteres Mädchen zu entführen, um ihm die Geschichte zu erzählen.“
Sandy schüttelte langsam den Kopf. Dieser Typ war noch viel irrer, als sie geglaubt hatte.
„Allerdings suchten wir uns dieses Mal niemanden aus unserer Schule aus. Die Gefahr, dass uns früher oder später doch jemand auf die Schliche kommen könnte, erschien uns zu groß. Also wählten wir ein Mädchen, zu dem wir keinerlei Verbindung hatten.“
„Wie oft?“
„Bitte?“
„Wie oft hab ihr es getan? Ich meine, wie viele Mädchen habt ihr entführt?“
„Du meinst, in den vielen Jahren, die seitdem vergangen sind? Ich könnte es dir sagen, aber was würde es dir nützen? Außerdem weiß ich nicht, ob du es wirklich wissen willst.
Auf jeden Fall haben wir die alte Hütte im Wald solange benutzt, bis wir im Keller kleinen Platz mehr hatten. Das letzte Mädchen mussten wir schon in mehreren Stücken vergraben, weil wir kein ausreichend großes Loch mehr ausheben konnten. Man, das war vielleicht ein Scheiß. Überall war so viel Blut.
Danach haben wir die alte Hütte zum Einsturz gebracht, so dass niemand durch Zufall auf den alten Keller stoßen konnte. Er hätte ja vorher die ganzen Trümmer abtragen müssen. So verrückt war aber niemand.
Bis heute nicht.
Jedenfalls haben wir uns danach ein neues Versteck gesucht. Irgendwann wurde es uns dort auch zu heiß und wir zogen wieder um. So ging es immer weiter. Bis wir schließlich auch auf dieses Schloss hier gestoßen sind. Adam ist perfekt darin, solche Orte zu finden.
Er ist ein echtes Naturtalent.
Und ich muss sagen, es erfüllt mich mit außerordentlichem Stolz, dich hier in unseren vier Wänden begrüßen zu dürfen.“
Sandy starrte Kid mit weit aufgerissenen Augen an, während dieser sanft, beinahe zärtlich, eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht entfernte. Tränen liefen über ihre Wangen und sie hatte das Gefühl, jeden Augenblick das Bewusstsein zu verlieren. Und wenn sie darüber nachdachte, gab es nichts, was sie sich in diesem Augenblick sehnlicher wünschte.
Seine Hand glitt unter ihr Shirt und massierte ihre linke Brust, während er mit der Zunge das Blut von ihrem Hals leckte.
Sie schloss die Augen und spürte die Gänsehaut, die sich auf ihrem Körper ausbreitete.
Wenn sie doch nur ohnmächtig würde. Dann konnte dieser Geisteskranke ihretwegen über sie herfallen und mit ihr anstellen, was immer er wollte.
Und sie töten.
Es stand für sie ohnehin außer Frage, dass es genau darauf hinauslaufen würde.
Ja, wenn nicht in den nächsten Minuten ein Wunder geschah, würde ihr Leben hier in diesem Keller zu Ende gehen.
Und als habe eine geheimnisvolle Macht ihre Gedanken erhört, geschah just in diesem Augenblick das Unglaubliche.
KAPITEL 38
Vor Wut und Enttäuschung hätte Ronnie beinahe laut aufgeschrien, riss sich im letzten Augenblick aber zusammen. Sollte sich tatsächlich jemand in der Nähe befinden, wollte er ihn nicht durch unbedachtes Verhalten über sein Kommen informieren.
Er ließ seine Hände über die Mauer gleiten. Da das Brummen mit jedem Schritt, den er sich dieser Wand genähert hatte, lauter geworden war, musste es irgendwo hier seinen Ursprung haben. Und da es inzwischen eine beträchtliche Lautstärke erreicht hatte, konnte er sich nicht vorstellen, dass die Ursache des Geräusches hinter einer massiven Steinmauer lag.
Vielmehr vermutete er…
Yes!
Sein Herz begann vor Freude und Aufregung heftig zu klopfen. Seine Finger glitten über ungleichmäßige Unterbrechungen in der Steinwand.
Ein Loch.
Auch diese Maueröffnung begann auf dem Boden und war etwa einen Meter hoch. Allerdings war sie nicht durchgängig, sondern wurde durch irgendetwas versperrt.
Ronnie kniete vor der Öffnung nieder und tastete über die vor ihm liegende Fläche. Sie war nicht eben, wenngleich deutlich glatter als die ungleichmäßige Steinmauer. Er verspürte einen stechenden Schmerz in der Fingerkuppe, als sich etwas unter den Nagel seines rechten Zeigefingers bohrte.
„Scheiße!“
Er steckte den Finger in den Mund und saugte kräftig daran. Der Schmerz ließ nur langsam nach und Ronnie schmeckte das aus der Wunde austretende Blut. Er wusste genau, was geschehen war. Er kannte diesen Schmerz, denn schon mehr als einmal hatte er sich einen Holzsplitter unter den Fingernagel gerammt.
Das Loch war also mit einer Holzplatte verschlossen worden.
Schon wollte er sich mit voller Wucht gegen das Hindernis werfen, als er für einen kurzen Augenblick innehielt.