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Wolfgang Hohlbein - Enwor Saga 5

Das schwarze Schiff

© der Originalausgabe 1984 by Wilhelm Goldmann Verlag GmbH, München

© der vorliegenden Ausgabe 1995 by Tosa Verlag, Wien

Gesamtherstellung: Der Graph, Wien

Coverrückseite

Gowenna, die verstoßene Errish, befindet sich mit den Satai Skar und Del auf dem Weg zum ›Berg der Götter‹, um dort die gefangengenommene Vela auftragsgemäß zu übergeben. Ihr Freisegler ›Sharkaan‹ wird von dem Dronte, dem schwarzen Schiff, versenkt, und sie und die Besatzung fliehen auf eine riesige Eisinsel. Auf der Suche nach einem möglichen anderen Hafen, wo sie ein neues Schiff zu finden hoffen, werden sie bei ihrem über alle Kräfte gehenden Marsch durch Schneewüsten und über schier unüberwindliche Eisgebirge ständig von fürchterlichen, übernatürlichen Wesen des Dronte verfolgt und angegriffen. Was es in Wirklichkeit mit diesem Auftrag Gowennas auf sich hat, und ob es gelingt, sich all dieser überirdischen Feinde zu erwehren, das erfährt der Leser in dem folgenden Band voller phantastischer Abenteuer und wilder Kämpfe gegen unerbittliche Naturgewalten und mörderische Fabelwesen.

1.

Rayan legte den Kopf in den Nacken und blinzelte zur Mastspitze empor. Das Gesicht des Freiseglers wirkte blaß und kränklich. Seine Augen waren gerötet und müde; mit tiefen, blauschwarzen Ringen unterlegt und eingefallen, was seinem Aussehen etwas von einer haarlosen fetten Eule verlieh. Die Haut glänzte, wo sie zum Schutz gegen Kälte und Wind mit Fischöl eingerieben war, und seine Bewegungen hatten viel von ihrer Behäbigkeit verloren und waren jetzt unkontrolliert und fahrig; nervös und von der hektischen Art eines Menschen, der am Rande des körperlichen Zusammenbruches stand und sich nur noch mit äußerster Anstrengung auf den Beinen hielt. Er hatte in den vergangenen drei Nächten kaum geschlafen, und die unzähligen Stunden, die er ununterbrochen an Deck gewesen war, begannen ihren Tribut zu fordern. Sein linkes Auge zuckte immer wieder, gleichermaßen nervös wie geblendet vom grellen Licht der Sonne; einer Sonne, die übergroß und strahlend im Zenit stand und Meer und Himmel mit einer Kaskade gelbroter Helligkeit übergoß, als wolle sie der grimmigen Kälte und dem Heulen des Eissturmes Hohn sprechen.

»Nun?«

Skar deutete nach Westen und sah den Freisegler fragend an.

Rayan drehte sich schwerfällig um. Sein linkes Augenlid flackerte noch immer nervös, und unter dem wulstigen Fett seines Doppelkinnes zuckte ein Nerv.

Für einen Moment spiegelte sich das rote Licht der Sonne in seinen Pupillen, was ihm zusammen mit seiner unnatürlich blassen Haut beinahe das Aussehen eines Albinos verlieh. »Nichts«, murmelte er. »Nichts Neues, jedenfalls. Er kommt näher.« Er seufzte, sah noch einmal zu der dickvermummten Gestalt im Mastkorb hinauf und hob die Schultern; eine leere Geste ohne wirkliche Bedeutung, die aber mehr als alle Worte seine Hilflosigkeit ausdrückte.

Skar sah ihn einen Moment lang scharf an, beließ es aber ebenfalls bei einem Achselzucken und fuhr herum, um mit zwei, drei schnellen Schritten zur Reling hinüberzugehen. Seine Bewegungen wirkten steif und ungelenk, als lähme die Kälte seine Muskeln, so daß sie ihm nur noch widerwillig gehorchten. Die zernarbten Planken ächzten unter seinen Füßen, als könnten sie sein Gewicht kaum mehr verkraften und wären müde geworden wie die Männer, die sie tragen mußten. Das Schiff hob und senkte sich in sanftem, unablässigem Auf und Ab, aber selbst diese Bewegung erschien Skar träge und mühsam, und das Knarren, Quietschen und Stöhnen der Takelage schien einen bizarren Gegentakt zum Heulen des Sturmes zu schlagen.

Skar legte erschöpft die Hände auf die Reling, schloß die Augen und gab sich für die Dauer eines Atemzuges ganz der eisigen Kälte und den wütenden Hieben des Windes hin. Der Sturm riß Wasser in gischtenden Schwaden von der Meeresoberfläche empor und schleuderte es gegen das Schiff. Die nadelspitzen Tropfen bissen wie winzige scharfe Zähne in seine Haut, und der Hauch des Salzwassers vermischte sich mit der Kälte und dem fauligen Geruch, der aus der Bilge heraufstieg, zu einem seltsamen, nicht einmal unbedingt unangenehmen Aroma. Hier, nur wenige Fuß über dem schäumenden Meer, spürte man die Kälte besonders schmerzhaft. Skar konnte fühlen, wie sie aus dem vereisten Holz in seine Fingerspitzen kroch, langsam in seinen Armen emporstieg und sich wie ein klammer, lähmender Mantel über seinen ganzen Körper ausbreitete. Die Luft schmeckte nach Metall und brannte bei jedem Atemzug in seiner Kehle, aber der Schmerz und die Kälte vertrieben wenigstens für einen Moment die quälenden Gedanken aus seinem Schädel und schufen eine wohltuende Leere.

Die SHAROKAAN bebte, als eine besonders mächtige Woge heranrollte und sich brüllend an ihrer Flanke brach.

Der Seegang war nur scheinbar gleichmäßig. Skar hatte Zeit genug gehabt, ihn zu studieren: Jede zehnte oder zwölfte Welle war größer als die anderen, eine brüllende Wand aus schäumendem graugrünem Wasser, als müsse das Meer jedesmal Atem schöpfen, um zu einem besonders wütenden Hieb gegen den frechen Eindringling auszuholen, der es gewagt hatte, so weit in sein Reich einzudringen. Für einen Moment krängte das Schiff über; eisiges Wasser schwappte auf das Deck und schlug mit einer Million winziger schäumender Krallen nach Skars Beinen, so daß er sich unwillkürlich fester an die Reling klammerte. Das bewahrte ihn zwar davor, über Bord gespült zu werden, würde ihm aber nichts nützen, wenn die SHAROKAAN wirklich kenterte. Ein Sturz in das eisige Wasser mußte in wenigen Augenblicken zum Tode führen. Doch er wußte auch, daß das so plump wirkende Schiff eine ganze Menge mehr vertrug als diesen Sturm. Der Freisegler mochte dem ungeübten Auge einer Landratte, wie Del und er es noch vor wenigen Tagen gewesen waren, schwerfällig erscheinen, aber dieser Eindruck täuschte. Der Dreimaster erreichte bei voll aufgezogener Takelage eine erstaunliche Geschwindigkeit, und der breit ausladende Rumpf widerstand Brechern, die weitaus größere Schiffe wie Spielzeuge zerschmettert hätten. Nein - das Meer war nicht ihr Feind. Die wirkliche Gefahr kam aus einer ganz anderen Richtung. Skar drehte das Gesicht in den Wind und blinzelte aus zusammengekniffenen Augen nach Westen. Selbst mit bloßem Auge war der Dronte jetzt zu erkennen: ein winziger schwarzer Punkt, der im monotonen Takt der Wellen am Horizont erschien und wieder verschwand, erschien und wieder verschwand, immer und immer wieder, als wolle er sie damit zusätzlich verspotten.

Seine Hand glitt unwillkürlich zum Gürtel und fuhr über die leere Schwertscheide. Das Gefühl, unbewaffnet zu sein, irritierte ihn noch immer. Er kam sich nackt und schutzlos vor. Selbst der Gedanke, daß dieser Kampf nach anderen Regeln als den ihm vertrauten ausgetragen wurde und ihm die Waffe sowieso nichts genutzt hätte, änderte nichts daran. Er hatte Rayan einmal gebeten, ihm seine Waffe wiederzugeben, gleich nachdem sie den Dronte zum ersten Mal sichteten, aber der Freisegler war hart geblieben. Niemand außer ihm und den beiden Veden besaß an Bord das Recht, Waffen zu tragen; nicht einmal einen Dolch oder einen Zierdegen. Skar hatte nicht noch einmal gefragt. Er war es nicht gewohnt, zu betteln.

Sein Blick wanderte ziellos über das Deck. Die verquollenen Planken waren von einer matt glänzenden Schicht aus eingetrocknetem Salz und Fett überzogen; da und dort hatten sich Rauhreif und Eis in kleinen glitzernden Nestern festgesetzt. Takelage und Segel waren schwer vom Eis, und von der Reling wuchs ein bizarres Netz blitzender Eiszapfen.

Skar brach ein paar davon mit einer spielerischen Bewegung ab, warf sie ins Meer und sah ihnen nach, bis sie in den schäumenden Fluten versunken waren, ehe er sich herumdrehte und den Matrosen bei ihrem ruhelosen Tun zusah. Die Hälfte der Besatzung schien ununterbrochen damit beschäftigt zu sein, Taue und Segel frei und geschmeidig zu halten. Sie kämpften einen vergeblichen Kampf. Der Sturm überschüttete das Schiff seit Tagen mit einem Sprühregen aus Wasser und Hagel und Schnee. Feuchtigkeit, klamme, alles durchdringende Nässe hüllte es ein wie der Atem eines eisigen Gottes, kroch beharrlich in Holz und Segel und Tauwerk, selbst in die Körper der Männer, durchtränkte gleichermaßen ihre Kleider wie ihre Bewegungen, ihre Gedanken und ihre Seelen. Die SHAROKAAN schien sich mit Wasser vollgesogen zu haben wie ein gigantischer Schwamm, und die eisige Kälte ließ die Feuchtigkeit rascher gefrieren, als die Männer das Eis abkratzen und wegschlagen konnten. Das Schiff stöhnte bereits jetzt unter der schweren Last des Eispanzers, der sich wie ein wucherndes Geschwür über Deck und Rumpf und Segel und Masten ausbreitete, dünne, glitzernde Arme um Reling und Tauwerk schlang und bizarre weiße Gewächse aus Ecken und Winkeln emporsprießen ließ. Selbst das Salz, das sie anfangs verwendeten, um auf den vereisten Planken wenigstens schmale Wege begehbar zu halten, hatte jetzt seine Wirkung verloren. Das Meer schien sich einen bösen Spaß daraus zu machen, es rascher von Deck zu waschen, als sie es ausstreuen konnten, und die so vom Eis befreiten Planken nur noch schneller wieder mit einer rutschigen Schicht zu überziehen. Auch wenn der Dronte mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte -, die SHAROKAAN wurde stündlich langsamer, um eine Winzigkeit nur, aber stetig, und der Zeitpunkt war abzusehen, an dem das Schiff überhaupt keine Fahrt mehr machen oder einfach unter dem Gewicht des auf ihm lastenden Eises auseinanderbrechen würde. Es lag schon jetzt merklich tiefer im Wasser als zu Beginn der Reise.