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Der Vede schüttelte mißbilligend den Kopf. »Bleib lieber in Bewegung«, riet er. »Die Wärme täuscht. Du bist unterkühlt - wenn du einschläfst, wirst du nicht wieder erwachen.«

»Das hast du schon einmal gesagt«, fiel ihm Skar grob ins Wort. »Ich bin nicht taub.«

Brad zuckte mit den Achseln, wandte sich um und warf sein Tau ein zweites Mal in die Tiefe, um noch mehr Material von der SHAROKAAN heraufzuziehen. Wenn ihn Skars rüde Worte ärgerten, so ließ er sich nichts anmerken.

Skar bedauerte seinen groben Tonfall bereits wieder. Der Vede hatte ihm das Leben gerettet, ganz egal, wie man es betrachtete. Er hatte kein Recht, so mit ihm zu reden. Aber er war auch zu stolz, sich zu entschuldigen.

Es war nicht die Wahl von Brads Worten gewesen, sondern die Tatsache, daß es ein Vede war, der sie aussprach. Sie waren sich ähnlich, sowohl im Denken als auch in ihrer einsamen Art zu leben, so ähnlich, daß ein Außenstehender die Unterschiede vielleicht gar nicht bemerken würde; aber gerade in dieser Ähnlichkeit, Dinge in der gleichen und doch wieder ganz anderen Art zu sehen und zu tun, lag die unüberbrückbare Kluft zwischen Veden und Satai. Während die Satai überall auf Enwor als Krieger bekannt und gefürchtet waren, bildeten die Veden eine kleine verschworene Gemeinschaft mit einer eigenen Religion, einer eigenen Kultur und sogar einer eigenen Sprache. Es kam nicht oft vor, daß Veden außerhalb ihres Stammesgebietes hoch oben im Norden von Thbarg gesehen wurden. Meistens reisten sie in kleinen Gruppen zu zweien oder dreien, verdingten sich als Leibwächter für Herzöge oder Könige, seltener traten sie - wie Brad und sein Kamerad - in die Dienste eines reichen Kaufmannes. Veden waren teuer. Vielleicht war der grundlegende Unterschied zwischen Veden und Satai der, daß die Satai aus Überzeugung oder auch aus reiner Abenteuerlust handelten, während die Veden ihre Dienste für Geld feilboten, für einen Preis, den selbst Könige nicht immer zu zahlen in der Lage waren. Aber sie waren ihr Geld wert. Selbst ein erfahrener Satai wie Skar würde es sich zweimal überlegen, Handel mit einem Veden zu beginnen.

Und sie waren stolz - ein Stolz, der nach außen hin wie Überheblichkeit aussehen mochte und für den sich die schweigsamen Einzelgänger den Ruf der Borniertheit eingehandelt hatten. Skar wußte, wie falsch dieses Vorurteil war. Er war noch nicht oft mit Veden zusammengetroffen, aber er fühlte, daß sich hinter ihrem verschlossenen Auftreten nichts als Wachsamkeit verbarg, Wachsamkeit und ein tiefsitzendes Mißtrauen nicht nur allem Fremden, sondern selbst dem Bekannten und sich selbst gegenüber, ins Extrem getrieben und über unzählige Generationen weitervererbt. Sie hatten Mißtrauen und Ablehnung zur Richtschnur ihres Handelns erhoben und wie einen Schutzwall um sich herum aufgebaut; ein Wall allerdings, der sie auch isolierte, sie zu Außenseitern machte. Aber man fürchtete sie.

Die Frage, welche der beiden Kasten aus einem ernstgemeinten Zusammenstoß als Sieger hervorgehen würde - Veden oder Satai -, war Anlaß unzähliger Diskussionen gewesen, aber sie war nie geklärt worden und würde niemals geklärt werden. Einem ungeschriebenen Gesetz folgend, gingen sich Satai und Veden aus dem Weg, ein Verhalten, das weniger von Ablehnung oder Mißtrauen, sondern vor allem von gegenseitigem Respekt und dem Wissen um die Fähigkeiten des anderen bestimmt wurde. Skar konnte sich keinen Grund vorstellen, der einen Satai dazu bringen sollte, gegen einen Veden zu kämpfen, oder umgekehrt. Eine ernsthafte Auseinandersetzung zwischen Veden und Satai... Skar schrak allein vor dem Gedanken zurück. Sollte irgendwann einmal das Undenkbare geschehen und ein Krieg zwischen den beiden Kasten ausbrechen, würde es das Ende der Welt bedeuten, wie sie sie kannten.

»Woran denkst du?« fragte Brad unvermittelt.

Skar schrak auf. Für einen Moment fühlte er sich so schuldig, als hätte er seine Gedanken laut ausgesprochen. Was brachte ihn nur auf solche Ideen? Zwischen den Satai und den Veden herrschte Frieden, seit es die beiden Kasten gab - wieso dachte er da an Krieg und Weltuntergang? Hatte ihn der Dronte mit seinem Todesatem schon so weit angesteckt, daß er nur noch in Kategorien von Vernichtung und Tod denken konnte?

»Nichts«, sagte er hastig und lächelte. Für einen Veden war Brad ungewöhnlich gesprächig. Aber vielleicht war er auch nur nervös - Vede oder nicht, er mußte das gleiche fühlen wie Skar. Wenigstens das verband sie, dachte er. Ihre Angst. Sie kannten die gleichen Ängste wie alle anderen Menschen, nur wußten sie sie ein wenig besser zu verbergen und manchmal sogar ins Gegenteil zu wenden, sie sich sogar dienstbar zu machen. Jeder Satai wußte, was Angst war, gut und manchmal sogar zu gut. Ein Mann, der keine Angst kannte, lebte nicht lange genug, um Vede oder Satai zu werden.

»Nichts«, sagte er noch einmal. »Es war... nichts.«

Brad lächelte. »So?«

»Vielleicht habe ich über die Frage nachgedacht, was zwei Veden wie euch an Bord eines Freiseglers gebracht hat«, sagte Skar, eigentlich nur, um überhaupt etwas zu sagen und Brad nicht spüren zu lassen, was er gedacht hatte. »Zahlt Rayan so gut, oder seid ihr ihm auf andere Weise verpflichtet?«

Brad schwieg eine Weile, und Skar fürchtete fast, mit seiner Frage zu weit gegangen zu sein. Die Beweggründe des Veden gingen ihn nichts an, und er wußte, wie empfindlich Veden auf Fragen reagierten, die ihren persönlichen Bereich anrührten.

»Wir sind Brüder«, sagte Brad plötzlich. »Helth und ich sind Brüder. Und Söhne.«

»Wie meinst du das?«

»Rayans Söhne«, gab Brad mit überraschender Offenheit zu. »Wir sind Rayans Söhne, Helth und ich.«

»Rayans...« Skar suchte verblüfft nach Worten. »Der alte Seebär ist ein Vede?« fragte er ungläubig. Für einen Moment erinnerte er sich Rayans, wie er ihn zum letzten Mal unten auf der SHAROKAAN gesehen hatte: klein, kräftig, mit zuviel Speck über den sicherlich vorhandenen Muskeln, kahlköpfig und mit einem scharfen Blick, dem nicht die kleinste Kleinigkeit entging; ein Krämer, der in die Rolle eines Kriegers geschlüpft war. Jedenfalls hatte er das bisher geglaubt. Aber es war gerade umgekehrt.

»Er war es, bis er unsere Mutter traf«, nickte Brad. Es schien ihm nicht das geringste auszumachen, über sich und seine Vergangenheit zu reden, ein Verhalten, das in krassem Gegensatz zu dem Eindruck stand, den Skar bisher von ihm gewonnen hatte. Er schien im Gegenteil froh zu sein, mit jemandem reden zu können. Aber wäre Skar selbst nicht ebenso froh darum gewesen? Wenn nicht er, wer sollte dann wissen, was es hieß, in einer Welt voller Feinde zu leben, allein zu sein? Und hatte er sich selbst nicht schon ein paarmal dabei ertappt, mit dem Wind oder dem Meer zu sprechen? »Er stand vor der Wahl«, fuhr Brad fort, nachdem er sich im Schneidersitz neben Skar niedergelassen und die Arme vor der Brust verschränkt hatte, »sein Weib und sein ungeborenes Kind zu verlassen oder sein Volk. Er entschied sich für sein Weib. Eine Wahl, die einem Mann zur Ehre gereicht«, fügte er hinzu. Bei jedem anderen hätten diese Worte wie eine Rechtfertigung geklungen, aber aus seinem Munde hörten sie sich wie eine Selbstverständlichkeit an.

Skar nickte impulsiv. Nicht viele Männer hätten den Mut aufgebracht, diesen Schritt zu tun. Er mußte das Bild, das er sich über den Freisegler gemacht hatte, überdenken. »Und ihr?«

»Wir wurden Veden«, antwortete Brad. »Ich wurde nach Thbarg gebracht, als ich alt genug war, die Reise ohne meine Mutter oder eine Amme überstehen zu können, und als Rayans Weib das zweite Mal schwanger war, reiste sie selbst nach Thbarg und gebar dort Helth. Unser Volk straft nicht die ungeborenen Kinder für die Fehler ihrer Väter. Wir wuchsen als Veden auf, aber wir gingen, nachdem wir unsere Mannesweihe erhalten hatten. Zuerst ich, später Helth.«