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»Du rechnest damit?«

Brad schüttelte den Kopf. »Nein. Aber wir müssen auch mit dem Unberechenbaren rechnen. Das da unten ist kein dahergelaufener Pirat. Es ist ein Dronte.« Er sprach das Wort auf sonderbare Art aus, nicht so voller Haß, wie es Gowenna und Del und auch Skar selbst getan hatten, sondern beinahe respektvoll.

»Letztlich sind sie auch nur Menschen«, bemerkte Skar.

In Brads Augen erschien ein seltsamer, schwer zu deutender Ausdruck. »Bist du sicher?« fragte er leise.

Skar blinzelte irritiert. Für einen Moment hielt er dem Blick des Veden stand, dann wandte er mit einem Ruck den Kopf und starrte wieder in die Tiefe. Brads Worte hatten ihn erschreckt. Vielleicht, weil er aussprach, was auch Skar die ganze Zeit über fühlte. Nur hatte er den Gedanken angstvoll vertrieben. Der Mordsegler zog dicht unter ihnen vorbei, dicht genug, daß er sich einbilden konnte, die Mastspitze mit der ausgestreckten Hand berühren zu können. Sein Blick tastete an der dunklen Linie des Hauptmastes herunter, glitt über die bizarren Umrisse des geblähten fünfeckigen Segels und verlor sich zwischen huschenden Schatten und ungreifbarem Nichts. Einen Moment lang glaubte er, eine schlanke, schwarze Gestalt auf dem Achterdeck zu entdecken, aber als er genauer hinsah, war sie verschwunden, und er war sich nicht sicher, ob sie wirklich da oder bloße Einbildung gewesen war.

»Wenigstens dieses Geheimnis werden wir lösen«, murmelte er nach einer Weile.

Brad nickte. »Dies und eine Frage, die mich schon lange bewegt.« Skar wartete darauf, daß er weiterreden würde, aber er tat es nicht, und so fragte er: »Welche?«

»Die Frage, ob sie wirklich unbesiegbar sind, Skar.« Brad seufzte und ließ sich zurücksinken und stützte den Oberkörper mit den Ellbogen ab. Silbernes Sternenlicht wanderte über sein Gesicht und verwandelte es in eine verwirrende Landschaft aus Licht und dunklen, messerscharf gezogenen Schatten, in denen die Augen wie bodenlose schwarze Löcher wirkten. »Ich habe oft darüber nachgedacht, nicht nur während der letzten Tage. Sie gelten als unbesiegbar, aber niemand weiß, ob das stimmt.«

»Ein Mythos.«

»Möglich. Sicher zum großen Teil, aber nicht nur. Niemand hat jemals versucht, sie wirklich zu schlagen. Jedermann weiß, daß es unmöglich ist, einem Dronte zu entkommen. Oder glaubt es zu wissen.« Er lachte leise. »Aber man kann sich hinter einem Mythos so wirksam verbergen wie hinter einem Schild, nicht wahr? Es ist fast so wie mit dir und mir, Skar.« Er ließ sich weiter zurücksinken, seufzte und faltete die Hände hinter dem Kopf; er wirkte, als läge er irgendwo im Sonnenschein auf einer Wiese und genösse den Tag, nicht hier am Ende der Welt auf einer Mauer aus Eis und im Angesicht des schrecklichsten Feindes, gegen den Seeleute jemals gekämpft haben. »Jedermann weiß, wie stark wir Veden sind, und jedermann glaubt zu wissen, daß es Selbstmord ist, einen Kampf mit einem Satai zu beginnen.«

»In gewissem Sinne...«, begann Skar, wurde aber sofort wieder von Brad unterbrochen.

»Stimmt das, ich weiß«, nickte der Vede. »Aber auch wir sind nur Menschen. So mancher von denen, die sich vor uns fürchten, könnte uns in einem ehrlichen Kampf besiegen. Aber niemand versucht es auch nur. Sie haben Angst vor uns, nicht wirklich vor uns, vor den Menschen, die sich hinter euren schwarzen Harnischen oder unseren roten Umhängen verbergen, sondern vor unserem Mythos.«

»Manche versuchen es«, hielt Skar ihm entgegen.

Brad machte eine wegwerfende Geste. »Die Verrückten und Übermütigen«, sagte er.

»Und die Besten«, ergänzte Skar. »Du hast recht - die Menschen haben Angst vor uns, und deshalb wagen es nur die Stärksten, sich uns entgegenzustellen. Vielleicht ist das der Grund, weswegen auch Veden und Satai manchmal besiegt werden.«

Brad lächelte. »Auch eine Art, die Dinge zu betrachten«, murmelte er. »Hoffen wir, daß du recht hast und dein Beispiel auch auf den Dronte zutrifft.«

»Es war deines«, widersprach Skar. »Aber unsere Chancen stehen nicht schlecht. Selbst, wenn es ihnen gelingen sollte, die SHAROKAAN zu entern, werden sie eine böse Überraschung erleben. Dein Vater hat sich gut auf einen Zusammenstoß vorbereitet. Dazu kommen Helth und Del...« Er wiegte den Kopf. »Ich würde sagen, die Karten könnten schlechter verteilt sein.«

Aber trotz dieser optimistischen Worte sank seine Zuversicht mehr und mehr. Sicher - die Überraschung war auf ihrer Seite. Der Dronte würde bestimmt hartnäckigen Widerstand erwarten - jedermann wußte, daß Freisegler durchaus in der Lage waren, sich ihrer Haut zu wehren, und die meisten Piraten machten einen großen Bogen um sie -, aber er würde wohl kaum damit rechnen, plötzlich der Elite von Enwors Kriegerkaste gegenüberzustehen. Trotzdem war Vorsicht geboten, mehr denn je. Brads Worte hatten ihm klargemacht, daß der Dronte gar keine andere Wahl hatte, als sich zum Kampf zu stellen. Seine stärkste Waffe war Furcht, die Furcht, die die Seefahrer Enwors allein beim Klang seines Namens ergriff: sein Mythos. Wenn er die SHAROKAAN entkommen ließ, würde dieser Mythos zerbrechen. Er konnte es sich gar nicht leisten, den Freisegler davonfahren zu lassen.

Skar schüttelte mit einem leisen Seufzer den Kopf und blickte wieder auf das Meer hinab. Die Lautlosigkeit, mit der der Dronte dort unten seine Kreise zog, beunruhigte ihn fast mehr, als wenn er endlich angegriffen hätte.

»Ich frage mich, was er vorhat«, murmelte Brad, als hätte er Skars Gedanken erraten. Wahrscheinlich bewegten sich ihre Überlegungen im Moment in ziemlich gleichen Bahnen. »Er muß wissen, was ihm bevorsteht, wenn er in den Kanal einläuft. Ich wüßte es.«

»Ich auch«, bestätigte Skar. »Und ich - runter!«

Das letzte Wort hatte er geschrien. Er federte zur Seite, riß Brad mit einer kraftvollen Bewegung von der Klippe zurück und rollte sich, den Kopf an die Knie gezogen, so eng wie möglich zusammen. Irgendwo auf dem nachtschwarzen Meer unter ihnen war ein winziger, grausam heller Punkt entstanden, war blitzschnell zu einem Feuerball und dann zu einem flammensprühenden Blitz herangewachsen, der mit tödlicher Zielsicherheit zu ihnen heraufraste. Ein ungeheures Dröhnen und Brüllen erfüllte die Luft. Licht; gnadenlose, unerträgliche Helligkeit übergoß die Eislandschaft und fraß sich selbst durch Skars geschlossene Lider. Ein berstender Schlag traf die Klippe. Eine Welle weißglühenden Feuers rollte fauchend über Skar hinweg, versengte seine Haare und brachte seine Kleider zum Schwelen.

»Weg hier!« schrie er. Er fuhr herum, blinzelte aus tränenden Augen in das peinigende weiße Licht und robbte auf Händen und Knien von der Klippe fort. Vor ihm war Feuer, nichts als Feuer, Hitze, wabernde, kochende Luft und gierig ausgestreckte Flammenarme, die seinen Körper zu versengen trachteten. Neben ihm kroch Brad hastig über das Eis. Seine Finger hinterließen blutige Abdrücke auf dem weißen Untergrund.

Skar schrie vor Schmerz, als ein winziger Spritzer der brennenden Flüssigkeit seine Schulter streifte, aber sein Schrei ging im Brüllen der Flammen unter. Hinter ihnen tobte die Hölle. Die Klippe stand auf einer Länge von beinahe fünfzig Metern in Flammen. Das Geschoß des Dronte hatte die Kante mit tödlicher Präzision getroffen und zehn, fünfzehn Meter massives Eis augenblicklich verdampfen lassen. Das eigentliche Brandgeschoß war längst abgerutscht und ins Meer zurückgestürzt, aber das brennende Öl war ausgelaufen und verwandelte die Mauerkrone in ein flammendes Inferno. Eis verwandelte sich zischend und krachend in Dampf, explodierte unter der ungeheuren Hitze zu kochenden grauen Schwaden und wurde unter ihren Füßen rissig und wäßrig firnig. Winzige Pfützen bildeten sich, verschmolzen zu Rinnsalen, dann zu kleinen reißenden Bächen, die sich in die Flammen ergossen und abermals zu brodelnden Dampfwolken wurden, lange bevor sie sie erreichten.