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Aber wahrscheinlich würde es gar nicht soweit kommen, dachte Skar düster. Irgendwann im Laufe der nächsten Tage mußte der Dronte nahe genug herangekommen sein, um seine furchtbaren Katapulte einsetzen zu können. Das gnadenlose Rennen zwischen ihnen und dem schwarzen Segler dauerte nun schon mehr als drei Tage und Nächte, aber an seinem Ausgang hatte von Anfang an kein ernsthafter Zweifel bestanden. Der Dronte war schneller. Nicht viel, aber er war schneller.

Skar trat von der Reling zurück und versuchte, die Gedanken an den Dronte und das, was vor ihnen lag, abzuschütteln. Es ging nicht, genausowenig, wie sie der Gefahr entgehen konnten, indem sie sie einfach ignorierten, konnte er sie aus seinen Gedanken verbannen. Fröstelnd schlang er die Arme um den Oberkörper, trat einen Moment auf der Stelle und schlitterte dann vorsichtig über das vereiste Deck zum Achteraufbau zurück. Eine Eisplatte löste sich von einem der Hauptsegel, als er unter dem Mast hindurchging, krachte weniger als einen Meter neben ihm wie eine gläserne Guillotine herab und zerbarst klirrend, aber Skar zuckte nicht einmal zusammen. Selbst gegen die größte Gefahr stumpft man mit der Zeit ab, wenn man ihr ständig ausgesetzt ist. Das Segel blähte sich, für einen Moment von der erdrückenden Last des Eises befreit, und ein ganzer Hagel kleinerer Eisstücke und Trümmer prasselte auf das Deck herab. Der Mast ächzte unter der plötzlichen Belastung, und das Knattern des Stoffes erinnerte Skar an den dumpfen Trommelschlag galoppierender Pferde, einen Laut, den er in letzter Zeit immer häufiger vermißte. Satai waren nicht für das Meer geboren, wenigstens das hatte er begriffen. Wenn auch vielleicht zu spät. Das Schiff zitterte unter seinen Füßen. Er blieb stehen, legte den Kopf in den Nacken und blinzelte zu den winzigen, buntgekleideten Gestalten empor, die hoch über ihm durch die Takelage krochen und mit Äxten und Pickeln den schimmernden Panzer aufzubrechen versuchten. Die Männer waren mit Seilen und Ketten gesichert. Trotzdem war das, was sie taten, lebensgefährlich. Sie hatten schon vier Männer verloren; Opfer der Kälte und des tückischen Windes, die die schmalen Spieren in tödliche Fallen verwandelten, vereiste Laufstege, auf denen eine einzige Unaufmerksamkeit, ein Sekundenbruchteil des Leichtsinns bereits den sicheren Tod bedeutete. Der Anblick ließ Skar an ein gewaltiges, kompliziert gewobenes Netz denken, in dessen zahlreichen Zentren sich große plumpe Spinnentiere bewegten. Die vier, die bisher umgekommen waren, würden nicht die letzten sein. Und die Männer dort oben wußten das; vielleicht besser als er. Dessenungeachtet stiegen sie weiter hinauf, ohne zu protestieren, stellten sich dem Wind und der Kälte und arbeiteten, bis ihre Finger steif und nutzlos geworden waren und sie von anderen abgelöst werden mußten.

Skar ging weiter, öffnete die niedrige Tür und eilte zur Kajüte herunter. Die Treppe führte steil in die Tiefe und war auf den obersten Stufen vereist wie das Deck, und Skar mußte den Kopf einziehen, um sich nicht an der niedrigen Decke zu stoßen. Eine Wolke übelriechender, schaler Luft schlug ihm entgegen, und wie immer, wenn er sich unter Deck aufhielt, hatte er im ersten Moment das Gefühl, ersticken zu müssen.

Freisegler waren keine Passagierschiffe. Es gab hier keine hellen, freundlichen Kabinen mit Schlaf- oder Waschgelegenheiten, sondern nur einen einzigen niedrigen Raum, der gleichermaßen für den Kapitän als auch die Besatzung und eventuelle Passagiere als Unterkunft diente und zudem noch einige Fuß unter der Wasserlinie lag.

Skar blieb eine halbe Sekunde lang unter dem Eingang stehen, sah sich in dem von trüber rötlicher Helligkeit erleuchteten Raum um und ging dann auf Gowenna und Rayan zu, die an einem roh gezimmerten Tisch hockten und aufgeregt miteinander debattierten. Neben dem Freisegler saß Helth, einer der beiden Veden, die ihn gewöhnlich auf Schritt und Tritt begleiteten. Skar zögerte ein wenig im Weitergehen, aber das war nicht allein auf die Anwesenheit des schwarzhaarigen Hünen zurückzuführen - obwohl es kein Geheimnis war, daß sie nicht gerade Freunde waren. Er fühlte sich unwohl, körperlich unwohl. Die Wände waren feucht und strömten einen durchdringenden Modergeruch aus, und die niedrige Decke vermittelte ihm ein kaum zu bezwingendes Gefühl von Platzangst. In den Ritzen des Fußbodens hatte sich Wasser gesammelt, und trotz der glühenden Kohlebecken an den Wänden war es hier und da zur Bildung von Rauhreif gekommen: erste Vorboten des eisigen Winters, der das Schiff gepackt hatte und sich beharrlich in seine Eingeweide wühlte. Dazu kam das Wissen, sich tief unter der Wasseroberfläche zu befinden. Ein Wissen, das in Skar das Gefühl weckte, lebendig begraben zu sein. Er konnte das Wasser spüren. Tonnen um Tonnen eisigen, tödlichen Wassers, das das Schiff wie eine gewaltige Faust umklammerte und gierig an seinen Flanken leckte, immer auf der Suche nach einem Riß, einer Spalte, einer haarfeinen undichten Stelle, die es sprengen und zu einem Leck erweitern konnte.

Skars Atem ging unwillkürlich schneller. Er versuchte den Gedanken zu vertreiben und sich einzureden, daß seine Sorgen unbegründet seien, aber die Furcht in seiner Seele war nicht von der Art, gegen die man sich mit Logik zur Wehr setzen konnte.

Gowenna sah auf, als er neben sie trat. Ihre Haut glänzte wie Wachs in der trübroten Beleuchtung, und ihr Haar war, obwohl sie es auch hier an Bord jeden Tag sorgsam kämmte und bürstete, strähnig und glanzlos geworden. Das Salzwasser hatte die Farbe herausgebissen. Sie schien um Jahre gealtert und wirkte krank. Aber sie hatte die Wache vor Skar gehabt - zwölf Stunden bei eisigem Wind und kälteklirrender Luft -, und ihre Züge waren von der Anstrengung gezeichnet.

Skar nickte knapp. »Du schläfst nicht?«

Gowenna verneinte. »Nein, wie du siehst.« Sie sprach schnell und fast ohne jede Betonung, und ihre Lippen, die sich nur zur Hälfte bewegten, ließen die Worte noch monotoner erscheinen, als sie ohnehin klangen.

»Ich konnte nicht schlafen.« Sie machte eine einladende Geste, stützte sich mit den Ellenbogen auf die Tischplatte und bettete das Kinn in die Hände.

Skar zögerte einen Moment und ließ sich dann auf einen der dreibeinigen Schemel sinken. Sein Blick suchte den Rayans. Sie waren seit elf Tagen an Bord der SHAROKAAN, aber es war das erste Mal, daß er Rayan - oder irgendein anderes Mitglied der Besatzung - im Gespräch mit Gowenna sah. Bisher hatten sie alle ihre Nähe beinahe ängstlich gemieden.