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Skar bewegte den Kopf. Seine Nackenwirbel knackten leise, und ein dünner, pfeilspitzer Schmerz schoß über seinen Rücken. Es wurde wirklich Zeit, daß er von diesem Schiff herunterkam und wieder festen Boden unter den Füßen fühlte. Er war steif und ungelenk geworden, und es lag nicht allein an der Kälte oder den Anstrengungen der vergangenen Nacht. Er bekam hier an Bord einfach nicht genug Bewegung. Anders als Del widerstrebte es ihm, unter den Augen der Besatzung seine Übungen zu absolvieren. Er wußte selbst nicht, warum, aber er wäre sich albern dabei vorgekommen, Gymnastik zu treiben und Schwertkämpfe gegen nicht vorhandene Gegner auszutragen. Der See lag noch immer unter einer dichten Decke aus Nebel und Dampf, hinter der die Sonne seltsam unscharf und verschwommen aussah - ein leicht in die Länge gezogener Kreis mit zerfaserten Rändern, gelb und von ungewöhnlich heller Farbe. Der Nebel war warm; wärmer, als er hätte sein dürfen, vermischt mit Dampf, der noch immer vom Kanal herüberwehte. Von Zeit zu Zeit riß der Wind die wirbelnden Schwaden auseinander, und er konnte die großen, trichterförmigen Wunden sehen, die die Brandgeschosse in das Eis geschlagen hatten. Er wußte, wie hart dieses Eis war, hart wie Stahl, gehärtet von unzähligen Jahrhunderten der Kälte, und obwohl er das Höllenfeuer am eigenen Leibe verspürt hatte, erschien es ihm fast unmöglich, daß die Geschosse des Dronte eine solche Verheerung angerichtet haben sollten.

Skar sah flüchtig auf, als Gowenna neben ihn trat. Er ging ihr aus dem Weg, wo er konnte, aber auf einem so kleinen Schiff wie der SHAROKAAN war das fast unmöglich, und wenn Gowenna es bemerkte, so ignorierte sie es. Seine Lippen verzogen sich für einen Moment zu einem bedeutungslosen Lächeln und erschlafften dann wieder. Seine Muskeln schmerzten. Er gehörte nicht hierher, sondern hinunter in die Kajüte und ins Bett. Aber er wußte, daß er keinen Schlaf finden würde. Gowenna war gegangen, vorhin, aber er war weiter wach geblieben und hatte stundenlang in der leeren Kabine gehockt, bis das Schiff nach und nach wieder zum Leben erwacht war und das Zittern des Rumpfes und die Stimmen der Besatzung seine Müdigkeit vertrieben hatten.

»Du siehst aus wie jemand, der seit drei Wochen mit einem schmerzenden Zahn geschlagen ist«, sagte Gowenna in dem vergeblichen Versuch, ihn aufzuheitern. »Dabei hättest du allen Grund zu triumphieren.«

»So?« murmelte Skar. »Habe ich das?«

Er starrte auf den keilförmigen Durchlaß in der Eiswand. Es würde noch viel Zeit vergehen, ehe die SHAROKAAN ihn erreichte, vielleicht Stunden. Noch immer verwehrten dichte Nebelschleier den direkten Blick auf den Kanal. Das grelle Wetterleuchten darin hatte aufgehört, und die Strömung trug jetzt schon seit Stunden keine Flammen mehr in den See. Nur ein paar Wrackteile trieben von Zeit zu Zeit mit der Flut heran und prallten gegen den Rumpf der SHAROKAAN oder versanken in einem der zahllosen Strudel, die sich unter der trügerisch ruhigen Wasseroberfläche verbargen. Es wäre für die Männer an den Rudern sicher einfacher gewesen, wenn Rayan abgewartet hätte, bis die Ebbe einsetzte und das Schiff ins offene Meer hinauszog. Aber seltsamerweise hatte nicht einer der Männer protestiert, trotz gegenläufiger Flut loszurudern. Jedermann an Bord schien froh zu sein, so rasch wie nur möglich von hier verschwinden zu können. Auch Skar selbst schloß sich da nicht aus. Hätte es Rayan von ihm verlangt, würde er sich selbst hinter eines der schweren Ruder gesetzt haben. Er versuchte, den wallenden Vorhang aus Nebel und Dunst mit Blicken zu durchdringen. Für einen Moment glaubte er, einen schwarzen, formlosen Umriß zu sehen. Aber er mußte sich getäuscht haben. Er hatte gesehen, wie der Dronte zuerst geborsten und dann gesunken war. Der Mordsegler war vor seinen Augen in zwei Teile zerbrochen und verbrannt. Der Alptraum war vorbei. Endgültig. Aber es fiel ihm immer noch schwer, sich davon zu lösen. Das Bild des schwarzen, zuckenden Leibes hatte sich tief in sein Gedächtnis gebrannt. Und das Bild eines fallenden Körpers...

»Wir haben etwas vollbracht, was vor uns noch keinem gelungen ist«, knüpfte Gowenna an den Gedanken an. »Wir haben einen Dronte besiegt, Skar.«

»Sag das Rayan«, knurrte Skar. »Besiegt...« Er schüttelte den Kopf und stieß einen Laut aus, der irgendwo zwischen einem Lachen und einem unterdrückten Stöhnen zu liegen schien. »Siegen, Gowenna, kann man nur in einem Kampf. Und es war keiner.«

Gowenna starrte ihn einen Herzschlag lang verwundert an. »Wieder die alte Leier, Skar?« fragte sie dann. »Ich nahm an, du hättest Helth diesen Blödsinn nur erzählt, um ihn zu reizen.«

»Es war kein Blödsinn, Gowenna«, antwortete er leise. »Ich dachte, du hättest es begriffen. Hast du wirklich nichts gelernt aus allem, was geschehen ist? Es macht einen Mann nicht zum Helden, einen Feind zu töten. Und eine Frau nicht«, fügte er nach sekundenlangem Schweigen hinzu, »ihren Gegner zu quälen.«

Gowenna gab ein abfälliges Geräusch von sich. »Du und deine Vorstellungen von Ritterlichkeit, Satai«, sagte sie. »Weißt du, wo wir alle jetzt wären, wenn wir fair gekämpft hätten? Auf dem Meeresgrund.« Sie ignorierte seine letzten Worte, obwohl er sie lauter und mit veränderter Stimme gesprochen und sie dabei scharf angesehen hatte. »Ich weiß«, murmelte Skar. »Ich sage ja auch nicht, daß...« Er brach ab, biß sich auf die Lippen und drehte sich dann mit einer ruckartigen Bewegung weg. »Vergiß es«, sagte er. Es tat ihm schon beinahe leid, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben. Er wußte, daß Gowenna ihn verstand, genau begriff, was er sagen wollte, aber er wußte auch, daß er genausogut zu sich selbst oder in den Wind reden konnte. In gewissem Sinne waren sie sich gleich, immer noch. In ihnen beiden brannte ein verzehrendes, unlöschbares Feuer, etwas, das sie vorwärts trieb, ihnen beiden die Kraft gab, um die sie die anderen so beneideten. Die, die nicht wußten, welchen Preis sie dafür zahlen mußten. Aber es war Haß, der Gowenna weitertrieb, ein Haß, der sie aufzehrte, ihr im gleichen Maße, in dem er ihr Kraft gab, immer mehr und mehr von ihrer Menschlichkeit nahm.

Und was ist es bei mir? dachte er. War es nicht das gleiche? War nicht das, was er für Trauer hielt, in Wirklichkeit nur eine andere Form von Haß? Kein Haß wie der Gowennas, der sich in Grausamkeit und Zerstörung entladen würde, sondern eine andere, vielleicht schlimmere Form? Bildete er sich wirklich ein, über den Verlust, den er erlitten hatte, hinweggekommen zu sein? Jemals darüber hinwegkommen zu können?

Es war kein Zufall, daß er so selten mit Gowenna oder Del sprach. Er ging ihnen - beiden - aus dem Weg, seit sie an Bord gekommen waren, aber es hatte bis zu diesem Moment gedauert, bis er sich selbst darüber klargeworden war.

»Laß gut sein, Skar«, murmelte Gowenna nach einer Weile. »Lassen wir das Thema. Du bist müde. Müde und erschöpft. Ich bin eigentlich nur gekommen, weil Rayan mich geschickt hat.«

»Rayan? Was will er?«

»Mit dir reden«, antwortete Gowenna mit einem Achselzucken, »und ich dachte mir, daß es besser ist, wenn ich dich hole. Statt Helth«, fügte sie nach einer hörbaren Pause und mit leicht veränderter Stimme hinzu.

»Wie geht es ihm?«

»Rayan?«

Skar nickte.

»Er spricht wenig«, sagte Gowenna. »Und was er sagt, klingt nicht gut. Er versucht wohl, sich nichts anmerken zu lassen, aber Brads Tod geht ihm nahe. Wußtest du, daß der Vede sein Sohn war?«

Skar nickte. »Brad hat es mir erzählt, als wir auf den Dronte gewartet haben.«

»Er ist ein sonderbarer Mann«, murmelte Gowenna. »Ich hatte geglaubt, ihn zu kennen, aber ich muß mich getäuscht haben.« Sie lachte, sehr leise und auf sonderbare Art, trat neben Skar an die Reling und stützte die Hände auf das feuchte Holz.

»Was hast du mit ihm zu tun?« fragte Skar.

»Mit Rayan?« Gowenna schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich kenne ihn. Vela brachte mich einmal zu ihm, als sie mich auf eine ihrer Reisen nicht mitnehmen konnte, und seitdem haben wir uns immer wieder getroffen. Hier und dort - die Welt ist klein.«