Выбрать главу

Skar sah auf. »Und das ist alles?«

»Das ist alles«, bestätigte Gowenna. »Du solltest nicht hinter allem ein Geheimnis und Verrat sehen, Skar. Ich kenne Rayan. Jedenfalls habe ich das gedacht, bis vor wenigen Augenblicken. Weißt du, was er vorhat?«

Skar schüttelte den Kopf und starrte weiter auf die schimmernde Wasseroberfläche hinunter. Das Sonnenlicht spiegelte sich auf den winzigen Wellen und verlieh ihnen für Sekunden einen eigenartigen Perlmuttglanz.

»Man sollte meinen, daß er nach allem so schnell wie möglich von hier weg will«, fuhr Gowenna fort, »aber er läßt gerade jetzt im Moment ein Beiboot ausrüsten. Wohl kaum, um damit hinter der SHAROKAAN herzurudern. Ich glaube, er will sich das Wrack des Dronte ansehen.« Sie schüttelte wieder den Kopf. »Er ist wie besessen«, sagte sie leise.

»Dann paßt er ja zu uns«, murmelte Skar. Er seufzte, drehte sich herum und schlenderte wortlos an ihr vorbei, ehe sie Gelegenheit hatte, weiterzusprechen. Er ging langsamer, als notwendig gewesen wäre, beinahe, als wolle er so die Begegnung mit Rayan so lange wie möglich hinauszögern, und sei es nur wenige Sekunden.

Der Freisegler stand auf dem erhöhten Achterdeck und feuerte die Männer an den Rudern mit schriller Stimme zu größeren Anstrengungen an. Sein Gesicht war unbewegt, fast starr, und seine Bewegungen waren ruckhaft und von großer Kraft, eine stumme Pantomime, mit der der Freisegler seinen Kummer ausdrückte, ohne es selbst zu merken. Er gab sich noch immer Mühe, sich den Schmerz über den Verlust seines Sohnes nicht anmerken zu lassen. Etwas von einem Veden war wohl immer noch in ihm, auch nach all der Zeit, dachte Skar.

»Du wolltest mich sprechen?«

Rayan schwieg einen Moment und sah ihn an. In seinem Gesicht zuckte es, aber er sagte nichts von alledem, was Skar erwartet hatte, sondern gab sich plötzlich einen sichtlichen Ruck und deutete mit einer knappen Geste auf den Nebelvorhang vor dem Eiskanal. »Das da bereitet mir Sorgen«, sagte er. »Bist du sicher, daß er wirklich gesunken ist?«

Skar verneinte. »Ich habe gesehen, wie er auseinanderbrach und verbrannte«, sagte er. »Dann trieb mich die Hitze zurück. Macht das einen Unterschied?«

Rayan wiegte den mächtigen haarlosen Schädel. »Das Wrack könnte die Durchfahrt blockieren«, murmelte er. »Ich weiß nicht, wie tief der Kanal ist. Ehrlich gesagt, Skar, ich habe keine große Lust, mit der SHAROKAAN in dieses Mauseloch zu segeln, ohne zu wissen, was mich erwartet.« Er sprach langsam und mit übertriebener Betonung, klammerte sich mit aller Macht an rein pragmatische Probleme, nur um von den Qualen in seinen Gedanken abzulenken. Er war ein starker Mann, aber es gab Augenblicke, da war Stärke ein Fluch. »Es wird nicht schwierig sein«, sagte Skar mit einem angedeuteten Achselzucken, »das wenige, was noch übrig ist, zu versenken oder aus dem Kanal zu räumen. Schlimmstenfalls warten wir auf die Ebbe. Sie wird die Trümmer herausspülen. Falls es überhaupt Trümmer gibt. Du hast nicht gesehen, wie er gebrannt hat.«

»Trotzdem...« Rayan schürzte die Lippen. »Die letzten Tage haben mich gelehrt, vorsichtig zu sein.« Er blinzelte, fuhr sich mit der Hand über Kinn und Nase und starrte aus zusammengekniffenen Augen nach vorne. Die ehemals glatten Wände des Kanals waren unter der furchtbaren Hitze halb geschmolzen und zu bizarren Formen erstarrt. Der Kanal wirkte plötzlich wie ein gierig aufgerissenes, zahnbewehrtes Maul, der Rachen eines gigantischen Eisdrachens, der nur darauf wartete, über seinem Opfer zusammenzuschlagen.

»Vielleicht sollte man ein Boot mit ein paar Männern vorausschicken«, sagte Skar, um Rayan eine Brücke zu bauen.

»Ich hatte gehofft, daß du das sagst, Satai«, gestand Rayan leise. »Wirst du uns begleiten?«

»Uns?« fragte Skar. »Wer genau ist das?«

»Mich, Helth, ein paar meiner Männer und deinen Freund - wenn du es willst.«

Skar schwieg einen Moment. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, Gowenna allein mit Vela an Bord zu lassen. Seit er zurückgekommen war, hatte er streng darauf geachtet, daß sie die Zelle mit der gefangenen Errish nicht betrat. Brad hatte recht gehabt - niemand sollte einen Menschen wie einen Hund behandeln.

Rayan schien sein Zögern falsch zu deuten. »Ich gebe zu, daß ich neugierig darauf bin, den Dronte aus der Nähe zu sehen«, sagte er. »Man bekommt eine solche Gelegenheit nicht jeden Tag. Aber es könnte wichtig sein. Vielleicht erfahren wir genug über sie, um die Gefahr ein für allemal bannen zu können.«

Skar zögerte noch immer. Rayans Worte waren logisch -, daß sie nichts als eine Ausrede waren, wenn auch eine Ausrede, die er sich selbst gegenüber brauchte, änderte daran gar nichts -, aber gerade das war es, was ihn störte. Vermutlich würden sie nie wieder eine Gelegenheit wie diese bekommen; weder sie noch irgendein anderer Seefahrer. Im Grunde waren sie sogar verpflichtet, das Wrack des Dronte - falls es eines gab - peinlich genau zu untersuchen.

Skar ertappte sich bei dem Gedanken, daß es gut wäre, nichts zu finden. Die Vorstellung, die verkohlten Überreste des Schiffes aus der Nähe sehen zu müssen, bereitete ihm Unbehagen.

Und auch Rayan war nicht halb so gefaßt, wie er vorgab. Unter der dünnen Tünche aus Selbstbeherrschung brodelte es. Etwas, das nicht allein mit dem Schmerz über den Verlust seines Sohnes oder der Erregung über den Sieg - nicht einmal mit beidem gemeinsam - zu erklären war, ging in dem Freisegler vor. Die Tatsache, das begriff Skar plötzlich, daß Helth und Brad seine Söhne waren, war nicht alles. Sein Geheimnis war größer, größer und düsterer. Und es hing irgendwie mit dem Dronte zusammen.

»Hältst du es für klug, selbst mitzukommen?« fragte er vorsichtig. »Das Schiff wäre ohne Führung, wenn dir etwas zustieße.«

Rayan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn uns dort vorne etwas zustößt«, sagte er betont, »wenn es dort noch irgend etwas Lebendes gibt, das uns die Ausfahrt verwehren kann, Skar, dann ist das Schiff so oder so verloren. Ob mit oder ohne Führung.« Skar überlegte einen Moment; verwundert über seine eigenen Gefühle. Wieso sorgte er sich plötzlich so um Rayan? Der Freisegler war gewiß erfahren genug, allein über sein Schicksal zu entscheiden und die Risiken abzuwägen. Aber seit sie dieses schweigende eisige Grab am Rande der Welt betreten hatten, war etwas mit ihm geschehen. Es war, als wäre die sterile, lebensverneinende Feindseligkeit der weißen Hölle in seine Seele gekrochen und hätte dort einen wahren Sturm von Gefühlen ausgelöst; Gefühle, die ihm selbst fremd waren und ihn erschreckten, etwas, als wehre sich sein Unterbewußtsein gegen das, was da von außen herandrängte.

»Gehen wir«, schlug er vor.

Rayan lief mit raschen Schritten die kurze Treppe zum Hauptdeck herunter und eilte an Skar vorbei zur Backbordreling. Einer seiner Matrosen verschwand auf einen wortlosen Wink des Freiseglers unter Deck, wahrscheinlich, um Del zu holen.

Das Boot - eine kaum zwölf Fuß lange Pinasse, die nur von zwei Rudern vorwärts bewegt wurde - war bereits zu Wasser gelassen und mit vier kräftigen Matrosen bemannt. Rayan machte eine einladende Geste und sprang mit einem eleganten Satz in das nur wenige Fuß tiefer liegende Boot hinab. Skar folgte ihm auf die gleiche Weise, suchte sich auf der schmalen Sitzbank einen Platz und ließ sich darauf nieder. Del erschien nach überraschend kurzer Zeit. Der Matrose schien ihm genau gesagt zu haben, was man von ihm erwartete, denn er stieg ohne zu zögern über die Reling, suchte einen Moment mit ausgebreiteten Armen in dem schwankenden Boot nach einem Platz und ließ sich dann neben Skar nieder.

Sie legten ab. Die Matrosen bewegten die Pinasse mit kräftigen Ruderschlägen von der SHAROKAAN weg und auf die Eiswand zu. Der Nebel schien sich zu lichten, als sie näher kamen, aber Skar wußte, daß das nichts als eine optische Täuschung war. Der Blick reichte kaum zwanzig Fuß weit, aber die huschenden Schatten erweckten den Eindruck, in graue Unendlichkeit zu blicken. Treibende Eisbrocken stießen mit dumpfem Geräusch gegen die Bordwand, und einmal schrammte etwas mit einem harten Schlag unter dem Rumpf entlang. Das Geräusch des Windes schien sich zu steigern, war plötzlich nicht mehr das Wimmern von Sturmböen, die sich an den Kanten und Erkern der eisigen Burg brachen, sondern das Heulen eines gewaltigen eisigen Gottes, in dessen Reich sie eingebrochen waren.