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Skar warf Rayan einen verstohlenen Blick zu. Der Freisegler hatte jetzt, wo er sich unbeobachtet glaubte, seine starre Maske fallen gelassen. Sein Gesicht wirkte angespannt und verkrampft. Ein seltsames, verzehrendes Feuer glomm in seinen Augen. Schmerz? dachte Skar. Haß? Irgendwie konnte er sich keines von beiden vorstellen. Der Killersegler war ihr Feind gewesen, nicht nur ihrer, sondern der Todfeind aller Seeleute. Aber man haßte einen Dronte nicht. Man konnte es nicht, ebensowenig, wie man ein Erdbeben oder einen Vulkan hassen konnte. Man konnte den Dronte bekämpfen, vor ihm davonlaufen oder ihn verfluchen, aber man konnte ihn nicht hassen. Dronte waren keine Feinde wie normale Kaperschiffe oder Zollsegler, sondern etwas, das mit der Unerbittlichkeit eines Naturereignisses hereinbrach und dem man nur mit den gleichen Gefühlen begegnen konnte. Jedenfalls hatte er das bis jetzt geglaubt. Aber der Ausdruck auf Rayans Zügen war Haß. Ein Haß von einer Intensität, der dem Gowennas gleichkam und ihn schaudern ließ. Es war ein Haß, der nicht allein aus dem Verlust eines Sohnes geboren war.

Er drehte sich herum und blickte in das Gesicht des Veden, der halb aufgerichtet im Heck der Pinasse hockte und mit einer Hand das Ruder hielt. Helth hatte seinen scharlachroten Fellumhang gegen ein schwarzes, von dünnen silbernen Fäden durchzogenes Cape eingetauscht; ein dunkler, zweifingerbreiter Rußstreifen zog sich über seine Augen bis an die Schläfen herauf, und auf seiner Stirn war eine kleine, V-förmige Schnittwunde, kaum verkrustet und hellrot glänzend. Es war die Art, in der Veden sich zu kleiden pflegten, wenn sie trauerten. Oder wenn sie in einen Kampf zogen, von dem sie glaubten, sie würden ihn nicht überleben, dachte er erschrocken.

»Langsamer!«

Die Ruderschläge wurden langsamer und hörten schließlich ganz auf. Das Boot trieb noch ein Stück gegen die Strömung an und verharrte schließlich bewegungslos auf der Stelle, als sein Schwung aufgezehrt wurde.

Der Nebel riß unter einem plötzlichen Windstoß auseinander. Zu ihrer Linken tauchte die Eiswand auf, senkrecht, schimmernd und von der Gluthitze des Feuers mit einer Unzahl von Rissen, Einbuchtungen und großen blinden Flecken verunziert, die wie schorfiger Ausschlag aussahen. Davor begann sich ein großer, schwarzer Umriß abzuzeichnen.

Skars Herz schien einen Schlag zu überspringen und dann schneller und unregelmäßiger weiterzuhämmern. Der Nebel verwischte die Umrisse des Schiffes und gab ihm Bewegung und Leben, die nicht da waren; ließ es gleichzeitig größer und bedrohlicher erscheinen, als es war. Aber er war wiederum nicht dicht genug, um zu verbergen, daß das Schiff als länglicher schwarzer Umriß vor der Eiswand hockte, ein mißgestaltetes Monstrum, schwarz, leckgeschlagen und zernagt. Aber nicht gekentert und schon gar nicht zerbrochen.

»Aber das ist doch... unmöglich«, murmelte er. In einer blitzartigen Vision sah er noch einmal die gleißenden Flammen aus dem aufbrechenden Leib des Dronte hervorquellen, feuriges Blut, das aus den Wunden brach, die sie ihm geschlagen hatten, noch einmal Wasser sich einen Weg durch die berstenden Rumpfplatten brechen, den Mast aufflammen und verglühen wie einen dürren Ast... Er sah noch einmal, wie sich das Schiff auf die Seite legte und dann langsam in zwei Teile zerbrach. Und bevor er sich dagegen wehren konnte, sah er noch einmal den schwarzen, spinnenfingrigen Riß, der die Eiswand hinauflief und Brad in die Tiefe schleuderte.

Das Boot schwenkte auf ein gemurmeltes Kommando Rayans herum und hielt auf den Dronte zu. Der Freisegler stand auf und trat mit einem schnellen Schritt zum Bug, streckte die Arme aus und blieb in einer erstarrten, beinahe grotesk wirkenden Haltung stehen, die Hände in einer weit geöffneten, greifenden Bewegung vorgestreckt. Sie zitterten, als könne er es nicht mehr erwarten, den Killersegler aus allernächster Nähe zu sehen, ihn zu berühren...

»Schneller!« Rayans Stimme krächzte.

Der Dronte wuchs heran. Er lag tiefer im Wasser, als Skar in Erinnerung hatte. Die Wellen schwappten nur wenige Handbreit unter den Resten der verkohlten Reling gegen den schwarzen Rumpf. Eine ölige, dunkle Flüssigkeit quoll wie dämonisches Blut aus den zerbrochenen Planken und durchsetzte das Meer mit schwarzen Schlieren.

Auch Skar hatte sich halb aufgerichtet und stand direkt hinter dem Freisegler. Seine Gedanken überschlugen sich. Unmöglich! dachte er entsetzt. Es war unmöglich. Unmöglich! Er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie das Schiff unter einem höllischen inneren Feuer aufgebrochen und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt war. Verbrannt und zerbrochen!

Sie konnten weitere Einzelheiten erkennen, als sie näher kamen. Der Dronte war verwundet, tödlich verwundet. Die Masten waren zu schweren, dürren Strünken verkohlt, von denen nicht einmal mehr die Reste von Segeln hingen, die Decksaufbauten verglüht und zu unförmigen Klumpen zusammengesunken, die wie geschmolzenes und nur halb wieder fest gewordenes Wachs aussahen. Formlose, dunkle Dinge bedeckten das verschmorte Deck. Einige davon sahen aus, als wären es einmal Menschen gewesen.

»Irgend etwas stimmt hier nicht«, murmelte Del. Er hatte unwillkürlich die Stimme gesenkt und flüsterte nur noch, als fürchte er, den schwarzen Todesengel allein durch den Klang seiner Worte aufzuwecken. Aber die spiegelnden Eismauern, die sie wie die Wände eines gewaltigen Grabes umschlossen, reflektierten seine Worte und warfen sie vielfach gebrochen und verzerrt wieder zurück. Skar schauderte. Mit einem Mal fror er wieder, aber es war nicht mehr die äußere Kälte, sondern etwas, das aus der Tiefe seiner Seele in ihm emporkroch und sich wie ein lähmendes Gift in seinen Adern ausbreitete. Er hatte das gleiche schon einmal gespürt, einen Tag bevor sie in den Kanal eingelaufen waren, nur war es diesmal ungleich stärker und furchteinflößender.

»Rayan!« keuchte er. »Kehr um. Laß uns hier verschwinden. Irgend etwas stimmt hier nicht. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er auseinandergebrochen ist!«

Rayan wandte mühsam den Kopf. Skar sah, wie schwer es ihm fiel, den Blick von den bizarren Umrissen des Dronte zu nehmen. Rayan machte den Eindruck eines Mannes, der aus einem tiefen, quälenden Alptraum erwachte und sich nur mühsam wieder in der Wirklichkeit zurechtfand.

»Umkehren?« murmelte er. »Jetzt? Jetzt, wo ich ihn habe? Wo ich dieses Ungeheuer endlich erlegt habe?« Skar entging der wahre Sinn seiner Worte.

»Du mußt zurück!« sagte er beschwörend. »Irgend etwas stimmt hier nicht. Ich spüre es, Rayan. Glaube mir - ich habe gesehen, wie er verbrannt ist, vor meinen Augen!«

»Du... du mußt dich getäuscht haben«, sagte Rayan mühsam. »Die Flammen können einem Dinge vorgaukeln, die nicht da sind. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr, ob das Schiff verbrannt ist oder nicht. Seine Besatzung ist es. Niemand kann den Brand überlebt haben. Sie sind tot.«

Skar ballte in hilfloser Verzweiflung die Fäuste. Er wußte, was er gesehen hatte. Der Dronte war verbrannt, tatsächlich, nicht etwa in seiner Einbildung und nicht als Trugbild der Flammen. Aber er wußte auch, wie sinnlos es war, weiter mit Rayan reden zu wollen.

Gowennas Worte fielen ihm ein. Besessen, hatte sie gesagt. Ja, das war er wohl - besessen. Aber besessen wovon? Von Rache? Rache für den Tod seines Sohnes? dachte er. Kaum.

Das Boot stieß mit dumpfem Knirschen gegen das Wrack, und Rayan sprang mit einem kraftvollen Satz auf das Deck des Dronte hinauf. Skar, Helth und zwei der Matrosen folgten ihm, während die beiden anderen Seeleute und Del auf einen knappen Wink des Veden hin zurückblieben, um ihnen für alle Fälle den Rücken zu decken. Das Boot entfernte sich wieder ein Stück und blieb in geringem Abstand liegen.