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»Weißt du, was mich wundert?« fragte Gowenna.

»Nein. Und es interessiert mich auch nicht«, antwortete Skar grob. »Daß sie es so widerspruchslos tun«, fuhr Gowenna fort, als hätte sie seine Worte gar nicht gehört.

Skar zuckte mit den Achseln. »Ich bin der Kommandant.«

Gowenna machte ein abfälliges Geräusch. »Quatsch«, sagte sie. »Du bist hier so lange Kommandant, wie es Helth zuläßt, und keinen Augenblick länger. Oder bildest du dir wirklich ein, sie würden dir gehorchen, wenn es dieser Vede nicht wollte?«

Skar fuhr sich müde mit der Hand durch das Haar. Natürlich hatte Gowenna recht. Er selbst war wohl von allen an Bord am meisten erstaunt über das Benehmen des jungen Veden gewesen. Es paßte einfach nicht zu Helth, aufzugeben und kampflos das Feld zu räumen. »Du magst ihn nicht, wie?«

Gowenna schnaubte. »Helth? Sicher mag ich ihn. Ungefähr so, wie ich den Dronte mag.«

»Brad erzählte mir, daß du ihn auf den Knien geschaukelt hast, als er ein Kind war.«

»Das stimmt«, antwortete Gowenna so schnell, als hätte sie die Worte erwartet. »Aber ich mochte ihn nie. Ich glaube, niemand an Bord mag ihn. Nicht einmal Rayan - Brad war immer sein Lieblingssohn. Und es ist besser, zu mißtrauisch zu sein als zu vertrauensselig. Wenn ich du wäre, würde ich ihn nicht eine Sekunde aus den Augen lassen.«

»Du bist aber nicht ich«, gab Skar mit erzwungener Ruhe zurück. »Wo ist er überhaupt?«

»Irgendwo unten in den Laderäumen. Er beaufsichtigt die Arbeiten - hattest du ihm das befohlen?«

»Ich habe ihn darum gebeten«, korrigierte Skar. »Ich bin nur Kommandant, solange er es zuläßt - vergiß das nicht.«

Ein Schatten von Ärger huschte über Gowennas Gesicht. »Mach dich ruhig über mich lustig«, grollte sie. »Ich hoffe nur, Helth lacht nicht als letzter. Wenn du mich fragst, dann überläßt er dir nicht das Kommando, sondern nur die Verantwortung. Ich hoffe, daß dir der Unterschied früh genug klar wird.«

Skar verzichtete auf eine Antwort. Was geschehen war, hatte zu sehr an ihren Kräften gezehrt, als daß er noch Ruhe und Überlegenheit von Gowenna oder irgendeinem an Bord verlangen konnte.

Sein Blick glitt an der Reihe der Matrosen entlang und blieb schließlich am gezackten Eingang der Eishöhle hängen. Der schmale, kaum mannshohe und mit messerscharfen eisigen Haifischzähnen besetzte Spalt führte in ein wahres Labyrinth voller kälteklirrender Höhlen und Gänge. Unmöglich, dort oben länger als ein paar Tage zu leben - aber zumindest würden ihnen die mächtigen Wände aus Eis Schutz vor den Geschossen des Dronte gewähren. Die SHAROKAAN mochte hier unten verbrennen, aber die Männer würden leben; wenigstens eine Weile.

Skar lächelte bitter, als ihm dieser Gedanke endgültig vor Augen führte, wie schwer die Bürde war, die Rayan ihm auferlegt hatte. Er nahm diesen Männern mehr, als er je wirklich begreifen konnte. Freisegler waren keine gewöhnlichen Seeleute. Für sie war ihr Schiff nicht ein x-beliebiger Ort, an dem sie arbeiteten und ihren Lebensunterhalt verdienten, sondern ihr Leben selbst. Viele von ihnen - vielleicht alle - wären lieber mit dem Schiff gestorben, als es zu verlassen. Um so härter mußte sie Skars Anordnung getroffen haben, Nahrung und Waffen von Bord zu schaffen und alles für ein endgültiges Verlassen des Schiffes vorzubereiten. Es war nicht einfach ein Aufgeben des Schiffes. Die SHAROKAAN war ihre Heimat, der Ort, an dem sie aufgewachsen waren und gelebt hatten. Viele von ihnen waren sogar auf dem Schiff geboren.

Nein - Rayan hatte ganz genau gewußt, warum er ihm und nicht Helth das Kommando übergab; und Helth wußte es auch. Helth hätte das Schiff niemals aufgegeben, auch wenn er sich jetzt scheinbar widerspruchslos seinen Anordnungen fügte. Der Vede wußte so gut wie er, daß sie - wenn überhaupt - nur dort oben, hinter den meterdicken Eismauern der Höhle, Schutz vor den Brandgeschossen des Dronte finden konnten. Der Mordsegler hatte sich bisher nicht gerührt, aber es konnte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis er wie ein feuerspeiender Rachegott über sie herfallen würde. Und es bestand in diesem Kessel nicht die Möglichkeit einer verzweifelten Flucht wie beim ersten Mal. Helth hatte sich seiner Entscheidung gebeugt, weil er das so gut wußte wie Skar. Aber er wußte auch, daß die Besatzung, auf die impulsive, unlogische Art, in der Menschen nun einmal fühlen, es wie Verrat auslegen mußte. Sie würden es begreifen, natürlich. Aber es gab einen Unterschied zwischen Begreifen und Verstehen. Für sie würde es wie Verrat aussehen, Verrat an Rayans Letztem Willen, nicht wie Rückzug und Flucht, sondern Mord, Mord an der SHAROKAAN, an ihrer Vergangenheit, ihrem Leben. Wenn dies alles hier vorüber war, wenn sie wirklich noch das Unmögliche schaffen und diesen Alptraum irgendwie überleben sollten, dann würden die Männer einen Verantwortlichen suchen, jemand, dem sie die Schuld am Verlust des Schiffes, an der Niederlage, ja selbst am Tode Rayans und Brads geben konnten. Und dieser Jemand würde er sein, nicht Helth.

Er ballte in stummem Zorn die Fäuste und blickte in die Richtung, in der der Dronte, noch immer hinter dichten Nebelschwaden verborgen, auf sie lauerte. Er konnte das Schiff nicht sehen, aber dadurch gewann es eher noch an Bedrohlichkeit. Der Nebel entzog den Dronte ihren Blicken, aber er ließ ihrer Phantasie freien Spielraum. Der größte Schrecken ist der, den man nicht sieht.

»Ich begreife es immer noch nicht«, murmelte er mit halb geschlossenen Augen. »Manchmal kommt mir das Ganze wie ein böser Traum vor, aus dem ich nur zu erwachen brauche, um ihn zu überstehen. Aber ich kann nicht erwachen.«

»Wer von uns ist jetzt der Träumer?« fragte Gowenna. »Warst du es nicht, der mir zu allen passenden und unpassenden Gelegenheiten gepredigt hat, kühl und sachlich zu bleiben? Der mir erklärt hat, wie gefährlich es ist, seinen Gefühlen zu folgen?«

Skar atmete hörbar ein. »Du bist unfair.«

»Unfair?« Gowenna lächelte, drehte sich um und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Reling. Das grelle Gegenlicht der versinkenden Sonne ließ sie zu einem flachen, schwarzen Schatten werden. Skar fiel plötzlich wieder auf, wie weiblich sie trotz allem war. Groß, kräftig und stark wie ein Mann - fast so stark wie er -, aber trotz allem noch eine Frau. Aber nicht nur das. Es war noch etwas an ihr, etwas, das ihn fast ängstigte und das er noch immer nicht verstand und vielleicht niemals verstehen würde. Sie waren sich ähnlich, trotz allem. Manchmal fragte er sich ernsthaft, ob es wirklich ein Zufall war, daß sie sich begegnet waren, oder ob es früher oder später so hatte kommen müssen. Sein Blick glitt an ihrer Gestalt empor, verharrte dort, wo hinter den dunklen Schatten der verbrannte Teil ihres Gesichtes war. Für einen winzigen Moment erinnerte ihn der schwarze Schatten an den Dronte, und für die Dauer eines Lidzuckens spürte er so etwas wie eine widersinnige Angst in sich aufsteigen. Warum hat sie diese Narben behalten? dachte er. Die Sumpfleute hätten sie behandeln können, und auch die Ehrwürdigen Frauen von Elay hätten ihr helfen können. Wahrscheinlich wäre sie nie wieder die schöne Frau geworden, die sie einmal gewesen war, aber sie hätte nicht länger mit diesem abstoßenden Dämonengesicht herumlaufen müssen. Warum hatte sie es nicht getan?