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»Ich versuche lediglich nach den Grundsätzen zu handeln, die du mir beigebracht hast, Skar«, fuhr sie fort. »Erkenne die Gefahr, ehe du versuchst, sie zu bekämpfen«, zitierte sie einen von seinen Lieblingssätzen.

Skar lächelte müde. »Vielleicht hast du recht«, murmelte er. »Vielleicht liegt die Lösung offen vor uns, und wir sind zu dumm, sie zu erkennen.«

»Warum schwimmst du nicht hinüber und bittest den Dronte recht freundlich, uns durchzulassen?« fragte Gowenna. Sie mußte an der Reaktion auf seinem Gesicht sehen, wie unüberlegt und verletzend ihre letzte Bemerkung gewesen war, denn sie stockte, trat einen Schritt vor und breitete verlegen die Arme aus.

»Verzeih«, sagte sie.

Skar winkte ab. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen«, entgegnete er. »Ich glaube, es ist dein gutes Recht, verletzend zu sein.« Er drehte sich wieder um, stützte sich erneut auf die Reling und starrte dumpf auf die Wasseroberfläche hinab. Wozu das alles ? dachte er. Hat es überhaupt einen Sinn gehabt? Und wenn, hat es sich gelohnt? »Das hat es, Skar«, antwortete Gowenna. »Auch wenn du's vielleicht nicht begreifst.«

Skar wurde sich plötzlich der Tatsache bewußt, daß er den letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte, ohne es zu merken.

»Glaubst du?« fragte er. »Vier Männer sind gestorben, bevor wir überhaupt hierherkamen. Zwei weitere an Bord des Dronte. Dann Rayan und Brad. Acht Menschenleben, Gowenna. Acht! Gibt es einen Grund, der den Tod von acht Menschen rechtfertigt?«

»Seltsame Worte aus dem Mund eines Mannes, dessen Lebensinhalt das Töten ist.«

»Wenn du das wirklich glaubst«, erklärte Skar ruhig, »dann hast du nie verstanden, was ein Satai wirklich ist. Ich habe niemals sinnlos getötet.«

»Das -« Gowenna fuhr auf, wurde aber sofort wieder von Skar unterbrochen.

»Hast du auch nie getan«, führte er den Satz zu Ende. »Ich weiß. Aber diese acht Männer wären noch am Leben, wenn du Rayan nicht zu dieser Fahrt überredet hättest.«

»Ich habe ihn nicht überredet«, widersprach Gowenna zornig. »Ich habe ihn für diese Fahrt bezahlt, Skar, so wie für viele Fahrten zuvor.«

»Und du willst mir wirklich einreden, du hättest nichts gewußt? Nichts vom Schicksal seiner Frau, nichts von seinem Haß auf den Dronte, nichts von seiner... seiner Besessenheit?«

Gowenna schwieg eine Weile.

»Natürlich«, antwortete sie schließlich. »Ich wußte, was mit seiner Frau geschehen ist. Ich... ich war dabei, als er die Nachricht von ihrem Tod erhielt. Ich kenne ihn seit zwanzig Jahren.«

»Und du hast die ganze Zeit nichts gemerkt?« fragte Skar höhnisch. »Nein, Skar, das habe ich wirklich nicht. Rayan ist nicht der einzige, der einen Menschen an den Dronte verloren hat. Jeder haßt den Dronte, und jeder Seefahrer fürchtet ihn. Aber deswegen sind doch nicht alle Seeleute besessen. Es ist zwei Jahrzehnte her, daß seine Frau starb - woher sollte ich wissen, daß er seinen Haß die ganze Zeit über mit sich herumgeschleppt hat?«

Es hätte eine Menge gegeben, das Skar darauf antworten konnte - gerade ihr und gerade über das Thema Haß. Aber er tat es nicht. Zwanzig Jahre, dachte er düster. Rayan hatte zwanzig Jahre lang für diesen Augenblick gelebt, für diesen einen, flüchtigen Moment, in dem er über den Dronte triumphieren konnte. Und für ihn war es ein Triumph gewesen, auch wenn er ihn mit dem Leben bezahlt hatte. Wenn nur einer, ein einziger von diesem halben Hundert Menschen, über das Skar plötzlich gebot, überlebte und die Botschaft in die Welt hinaustragen konnte, dann hatten sie gesiegt. Der Dronte war nur so lange stark, wie niemand sein Geheimnis kannte. Er würde vielleicht trotzdem noch jahrelang Schrecken und Tod verbreiten, aber irgendwann würden sie ihn stellen und erlegen. Ja - Rayan hatte triumphiert. Wenn ein Tod wie seiner überhaupt einen Sinn haben konnte, dann hatte der des Freiseglers ihn gehabt.

Skar seufzte, drehte sich um und ließ Gowenna ohne ein weiteres Wort stehen. Er rechnete halbwegs damit, daß sie ihm folgen würde, aber sie blieb reglos an der Reling stehen und starrte ihm bloß nach. Er war froh, daß sie es nicht tat. Es schien ihm sinnlos, das Gespräch fortzusetzen. Er hatte gehofft, daß Gowenna aus dem, was geschehen war, gelernt hatte, aber das stimmte nicht. Selbst Rayans Tod war für sie nur ein weiteres Argument für ihren Haß, eine weitere scheinbare Rechtfertigung für etwas, das nicht zu rechtfertigen war. Rayan war vielleicht besessen gewesen, aber Gowenna, das wußte er jetzt, war krank. Krank vor Haß. Er würde sich von ihr trennen, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit.

Das Schiff hatte sich verändert. Ein Teil der Decksplanken war verschwunden, so daß der Blick frei in die mächtigen, bis tief unter die Wasserlinie reichenden Laderäume fiel. Die Männer hatten den Hauptmast mit ein paar raschen Handgriffen in einen Ladebaum verwandelt, und der improvisierte Kran hievte in ununterbrochener Folge Kisten, Bündel und Fässer von Deck. Lebensmittel, Wasser, Wein, Decken, Waffen, die den Männern wenigstens für ein paar Tage das Überleben sichern würden.

Skar balancierte vorsichtig über die schmalen Balken, die zwischen den offenstehenden Luken stehengeblieben waren, zum Achteraufbau hinauf. Die Menge der Waren überraschte ihn. Sicher - es waren an die fünfzig Männer, aber sie würden auswählen und sich von allem, was nicht unbedingt lebensnotwendig war, trennen müssen, wenn sie den Marsch durch die Eiswüste antraten.

Wenn sie ihn antraten, dachte er düster. Wenn es etwas gab, wohin sie gehen konnten.

Er rief einem vorüberhastenden Seemann zu. »Wo ist Helth?« Der Matrose blieb stehen und versuchte, nicht die Balance mit seiner Last zu verlieren. »Unter Deck, Herr«, sagte er. »Er beaufsichtigt die Entladearbeiten, wie Ihr befohlen habt.« .

Skar entließ den Mann mit einem Kopfnicken, sah eich einen Moment unschlüssig um und trat an eine der Ladeluken. Eine schmale Holzleiter führte beinahe senkrecht in die Tiefe. Skar wartete, bis der nächste Matrose, ein unförmiges Bündel auf Kopf und Schultern balancierend, die Leiter heraufgeklettert war, griff nach der obersten Sprosse und stieg mit raschen Bewegungen hinab.

Kälte und Feuchtigkeit hüllten ihn ein, als er den tief unter der Wasserlinie liegenden Boden des Laderaumes betrat. Unter seinen Stiefeln platschte Wasser, und ein wahrhaft atemberaubender Gestank schlug ihm entgegen. Kleine, heftig rußende Kohlebecken verbreiteten die Illusion von Wärme und flackernde, rötliche Helligkeit, in der die Bewegungen der Männer abgehackt und clownhaft erschienen. Der Raum war größer, als er erwartet hatte; und weitaus besser aufgeräumt. An den Wänden zogen sich deckenhohe Regale hin, davor stapelten sich Kisten, Stoffballen und Fässer, und selbst von den Deckenbalken hingen noch zahlreiche Netze, die meisten jetzt schlaff und leer, aber eindeutig zur Aufnahme von Gütern bestimmt. Und dies war nur einer von beinahe einem Dutzend Laderäumen.

Er blieb stehen, trat dann einen Schritt zur Seite, um den vorüberhastenden Männern nicht im Wege zu sein, und hielt gleichzeitig nach Helth Ausschau. Der Vede stand im Hintergrund des Raumes, beaufsichtigte die Arbeit und deutete mit knappen, von scharf vorgebrachten Befehlen begleiteten Gesten auf die Dinge, die sie mitnehmen sollten. Skar beobachtete ihn eine Weile. Helth trug noch immer den zerschlissenen, blutigen Umhang, mit dem er an Bord des Dronte gegangen war; sein Haar war strähnig und von Schmutz verkrustet, winzige Salzkristalle glitzerten darin, und auf seinen Händen waren dunkle, an geronnenes Blut erinnernde Flecken. Irgend etwas war anders an ihm, dachte Skar. Der Vede wirkte verändert, nicht nur äußerlich - so wie sich alle an Bord in erschreckendem Maße verändert hatten. Auch er war nicht mehr der, der in Anchor an Bord des Schiffes gegangen war. Aber er vermochte nicht, den Unterschied in Worte zu fassen. Vielleicht erschreckte ihn der Anblick des Veden auch nur so sehr, weil Helth wie ein Spiegel war, in dem er sich selbst zu erkennen glaubte. Er räusperte sich, wartete eine Lücke in der Reihe der Männer ab und ging dann mit schnellen Schritten zu Helth hinüber. Der Vede drehte sich erst um, als er bereits ganz nahe war, obwohl er ihn schon lange gehört haben mußte.