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»Ich kann es nicht ändern«, antwortete Skar scharf. Seine Unsicherheit schlug urplötzlich in Zorn um. »Vielleicht gehst du hinunter und bittest den Dronte, uns freies Geleit zu gewähren. Er macht es sicher, wenn du ihm erzählst, daß wir eine Schwangere an Bord haben.« Zu seiner eigenen Überraschung blieb Del ruhig. »Es ist immerhin dein Kind, Skar«, sagte er.

Skar stand auf und drehte sich mit einer abrupten Bewegung um. »Dein Kind!« sagte er wütend. »Jetzt fang nicht bitte auch noch damit an. Mein Kind, mein Kind - ich kann es nicht mehr hören, Del. Ihr macht es euch alle ein bißchen sehr einfach, nicht? Dein Kind!« Wieso sollte er verantwortlich für dieses Kind sein, nur weil er zufällig der Vater war? Es war nicht sein Kind. Er hatte es nicht gewollt und hätte im Gegenteil mit aller Macht verhindert, daß es jemals gezeugt wurde, wäre er dazu in der Lage gewesen. Nein, dieses Kind war nicht von ihm. Wenn es überhaupt jemandes Kind war, dann das seines Dunklen Bruders.

Del sog scharf die Luft ein, schwieg aber seltsamerweise. In seinen Augen glomm ein Ausdruck auf, der Skar beinahe erschreckte. Kein Zorn - das hätte er verstanden. Furcht? War es jetzt soweit, daß selbst Del Angst vor ihm hatte?

»Ich werde nach Gowenna schicken«, fuhr er fort, ehe Del Gelegenheit hatte, auf seinen plötzlichen Ausbruch zu reagieren. »Ich rede mit ihr. Sie wird sich um sie kümmern.«

Del lachte leise. »O ja«, sagte er spöttisch. »Davon bin ich überzeugt. So, wie sie sich bisher um sie gekümmert hat.« Plötzlich bebte seine Stimme vor Zorn. »Begreifst du eigentlich nicht, was sie tut, Skar? Es geht mich nichts an, was zwischen dir und Vela war, und ich werde bestimmt nicht auch noch anfangen, dir Vorwürfe zu machen, wenn du solche Angst davor hast. Aber was Gowenna mit ihr macht, geht zu weit. Wenn dir dieses Kind schon egal ist, dann denke wenigstens an den Eid, den du geschworen hast - daß du Leben schützen und Unrecht verhindern wirst, selbst wenn es dein eigenes Leben kostet, Skar. Gowenna bringt sie um, ganz langsam und ohne daß wir es bisher gemerkt haben. Wenn du sie weiter gewähren läßt, dann wirst du einen leeren Körper zum Berg der Götter bringen.«

»Und was soll ich tun?« fragte Skar bitter. »Gowenna ist die einzige an Bord, die etwas von der Heilkunst versteht. Wir werden ihr vertrauen müssen, ob wir wollen oder nicht. Oder möchtest du vielleicht Hebamme spielen, wenn das Kind kommt?«

Er sprach schnell und eine Spur zu laut, um sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn Dels Worte getroffen hatten. Allein den Gedanken, daß Del ihn eines Tages an seinen Satai-Eid erinnern würde, hätte er noch vor wenigen Monaten für lächerlich gehalten. Und das Schlimme war, daß er vollkommen recht hatte.

Del schwieg einen Moment. »Ich stimme dir zu«, murmelte er. »Aber ich werde auf sie achtgeben.«

Skar nickte. Er war es müde, zu streiten. Und irgend etwas sagte ihm, daß sie - ganz egal, was sie auch tun würden - Gowennas Pläne doch nicht durchkreuzen konnten. Es war dieses Gefühl der Hilflosigkeit, das so schmerzte. Gowenna hatte niemals vorgehabt, Vela wirklich lebend zum Berg der Götter zu bringen. Und sie gab sich nicht einmal besondere Mühe, wenigstens so zu tun. Warum begriff Del das nicht? War er so blind, nicht zu sehen, was Gowenna wirklich vorhatte? Aber vielleicht wollte er es auch nur nicht sehen. Vielleicht war er auf seine Weise ebenso müde wie er, Skar. Manchmal vergaß er, daß er nicht der einzige war, der gegen Vela gekämpft hatte, und daß Del an der Niederlage der Errish mindestens ebenso teilhatte wie er. Und vielleicht hatte er den höheren Preis gezahlt.

Er wandte sich um, blieb einen Moment mit geschlossenen Augen stehen und sog hörbar die Luft ein. »Ich werde mit ihr reden«, sagte er noch einmal. »Sobald ich wieder unten auf dem Schiff bin.«

»Tu das«, stimmte Del zu. »Und sag ihr, daß ich von jetzt an doppelt auf Vela achtgeben werde.«

Skar schüttelte den Kopf, bedachte Del mit einem letzten, beinahe traurigen Blick und wandte sich endgültig ab. Ein paar Männer beobachteten ihn. Niemand sah ihn direkt an, nicht, wenn er es bemerken konnte, und die meisten gaben sich alle Mühe, so zu tun, als hätten sie von der kurzen Szene nichts mitbekommen, aber er spürte ihre Blicke mit fast schmerzlicher Deutlichkeit. Del und er hatten zum Schluß laut genug gesprochen, daß beinahe jeder in der Höhle ihre Worte mitbekommen haben mußte. Es war nicht gut, wenn er sich in aller Öffentlichkeit mit Del stritt; nicht für seine Position und nicht für die Moral der Männer. Rayan hatte ihm das Kommando vor allem aus dem Grund gegeben, weil er stark war, und weil sie in einer Lage waren, aus der sie wahrscheinlich auch nur ein starker Mann herausbringen konnte.

Ein Mann, der zum Beispiel stark genug war, den Freiseglern alles zu nehmen, um ihr Leben zu retten, dachte er bitter. Stärke. Was war das schon? Er hatte es so oft gehört, hatte so oft gespürt, wie sehr ihn die anderen um seine Kraft beneideten, und er war so wenigen begegnet, die wirklich wußten, welchen Preis man manchmal für diese Stärke zahlen mußte.

Vielleicht war er diesmal zu hoch, dachte er. Vielleicht würde er diesmal verlieren.

11.

Das Meer war glatt wie Glas. Es gab Wellen, aber sie schienen, obgleich sie so langsam und majestätisch wie seit Äonen heranrollten, trotzdem erstarrt, wie durch einen geheimnisvollen Zauber mitten in der Bewegung gefroren, die Schaumkronen zu glitzernden weißen Eiskappen und der Sprühnebel aus winzigen Tröpfchen irgendwo auf halbem Wege zwischen Himmel und Meer zu einem zeitlosen Schweben geworden, als gäbe es mit einem Mal zwei Arten von Bewegung, die sich gegenseitig weder beeinträchtigten noch beeinflußten. Grauer Nebel lag wie der Atem einer eisigen Gottheit über dem Meer und dem Eisstrand, bildete Formen und Umrisse, bizarre Gesichter und Gestalten, Hände, die mit kleinen gierigen Bewegungen über das Eis tasteten und wieder vergingen, wenn sie der Hauch des Windes streifte. Der Himmel war erloschen, ein einziger kalter Stern glitzerte im Zenit, aber auch er schien keine Wärme und nur wenig Licht auszustrahlen. Schließlich verglomm auch er, und undurchdringliche Dunkelheit breitete sich wie eine schwere schwarze Decke über Meer und Land aus.

Unweit des Strandes begannen sich auf der Wasseroberfläche flache kreisförmige Strudel zu bilden, breiteten sich nach allen Seiten aus, als werfe jemand unsichtbare Steine ins Wasser. Die kleinen dadurch entstandenen Wellen verschmolzen mit ihren großen Schwestern oder liefen ihnen davon, bis sie eingeholt wurden oder sich ihre Kraft auf dem glitzernden Strand brach. Blasen stiegen auf, vereinzelt und klein zuerst, dann mehr und größer, wie von einer schimmernden Haut überzogen, so daß ein deutliches Blubbern zu hören war, wenn sie platzten. Etwas Dunkles, Großes, Unförmiges und Unmögliches begann sich unter der Wasseroberfläche zu formen, ein absurdes Ding aus Schwärze und geballter Dunkelheit wuchs heran, tauchte langsam, aber unaufhaltsam weiter empor, wuchs...

Eine Hand berührte Skar unsanft an der Schulter und rüttelte ihn so lange, bis er mit einem Ruck hochfuhr. Für einen Moment hatte er Schwierigkeiten, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Er schlief nicht mehr, war aber auch noch nicht wach, und das Gesicht über ihm erschien ihm dunkel und groß und überaus häßlich...

Skar blinzelte schlaftrunken, versuchte die Hand abzustreifen und sah zum Eingang der Höhle hinüber. Hinter dem gezackten Spalt lag graue Dämmerung. Er konnte nicht lange geschlafen haben; eine Stunde, vielleicht zwei. Trotzdem fühlte er sich, nachdem er die letzten Spinnweben des Traumes abgeschüttelt hatte, das Gesicht vor ihm wieder ein Gesicht und der Laut in seinen Ohren vom Rauschen der Meeresbrandung zum Geräusch zahlreicher, eng zusammengedrängt schlafender Menschen geworden war, überraschend frisch und ausgeruht, und er war fast dankbar dafür, geweckt worden zu sein. Nicht nur wegen des üblen Traumes, der ihn verfolgt hatte. Es gab zu viel zu tun. Er hätte sich nicht einmal diese eine Stunde Schlaf gönnen dürfen, und er hatte auch nicht schlafen wollen, sondern sich nur einen Moment hingehockt und den Kopf gegen das kalte Eis der Wand gelehnt, um auszuruhen. Aber die Strapazen der vergangenen Tage forderten ihren Tribut.