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Skar überlegte einen Moment. »Selbst, wenn du recht hast«, murmelte er, »woher weißt du, was hinter diesen Bergen liegt?«

»Ich weiß es nicht«, gab Gowenna gleichmütig zu. »Vielleicht eine weitere Eiswüste. Vielleicht das offene Meer... Aber es ist immer noch besser, wir gehen dorthin als in irgendeine andere Richtung. Dein Einverständnis vorausgesetzt«, fügte sie spöttisch hinzu.

Skar spürte, daß sie auf eine Antwort wartete, aber er beschränkte sich auf ein kaum merkliches Nicken und blickte weiter zum Eiskanal hinüber. Er hatte keine Lust mehr zu diskutieren. Ihr Gespräch war sinnlos, diente allenfalls dem Zweck, einfach zu reden, die Stille und die bedrückenden Gedanken in ihrem Gefolge nicht übermächtig werden zu lassen.

Er drehte sich herum, blickte über das Deck der SHAROKAAN, die jetzt still und ruhig wie ein Geisterschiff dalag und wandte sich dann wieder dem Kanal zu. Erneut war dieser dumpfe, stöhnende Laut zu hören. Vielleicht nichts anderes als die Geräusche, mit denen sich das geborstene Eis bewegte, sich die mächtigen, aus ihrer vielleicht Jahrtausenden währenden Ruhe gerissenen Blöcke neu setzten, vielleicht aber auch etwas anderes.

Skar wehrte sich gegen den Gedanken, aber dadurch wurde es eher schlimmer. Die Angst hatte sich in seiner Seele eingenistet, und es war ein Feind, gegen den zu kämpfen sinnlos war. Etwas - irgend etwas - schien aus dem nebelverhangenen Korridor dort drüben herüberzuwehen, ein Ruf, eine lautlose, unhörbare Stimme, spinnenfingrige Geisterhände, die nach seiner Seele griffen und irgend etwas in ihm anrührten. Es war nicht das erste Mal, daß er dieses Gefühl hatte, aber es wurde stärker, mit jedem Mal, mit jeder Sekunde, jedem Atemzug, den er tat.

Und er spürte, wie irgend etwas in ihm antwortete...

Skar erschrak, so heftig, daß die Reaktion auf seinem Gesicht abzulesen sein mußte, denn er sah, wie Gowenna zusammenzuckte und ihn mit plötzlicher neuer Besorgnis beobachtete. Sie schien etwas sagen zu wollen, aber er hob rasch die Hand und schüttelte den Kopf.

Etwas in ihm erwachte, regte sich nach langer, langer Zeit wieder und antwortete auf den Ruf, der aus dem Wrack des Dronte zu ihm herübergetragen wurde, dumpf, dunkel und lockend, eine Stimme aus einer fremden, bedrohlichen, bizarren Welt, fremder noch als der Dronte mit all seinen Schrecken.

Und plötzlich wußte er auch, was es war. Plötzlich wußte er, was er die ganze Zeit über gespürt hatte, woher dieses widersinnige Gefühl des Vertrauten, Bekannten gekommen war. Bilder tauchten in seinem Geist auf, Bilder von bedrückender Realität, blitzartige Visionen: dunkle, auf seltsam falsche Weise gekrümmte Gänge und Stollen, Treppenschächte, die nicht für Menschen gedacht waren, Gänge und Räume, nach einer fremden, in den Augen schmerzenden Geometrie errichtet... Namen und Orte tauchten in seinem Geist auf, Erinnerungen, schmerzhaft und voller dumpfer Quaclass="underline" Urcôun... das Labyrinth unter den gläsernen Ebenen...

Er hatte den Atem des Dronte schon einmal gespürt, in Urcôun, der verwunschenen Stadt am Rande der Nonakesh-Wüste, später in Velas unterirdischer Festung in Tuan.

Und er fühlte in sich, jetzt wie damals, wieder die gleiche böse Lust am Vernichten, am Zerstören und Töten, die ihn schon einmal zu überkommen gedroht hatte, dort, und später, beim Kampf mit dem schwarzen Satai am Rande des Schattengebirges. Er war ihr zweimal erlegen, und er hatte sie zweimal besiegt, aber er hatte auch gespürt, wie ungleich schwerer es beim zweiten Mal gewesen war.

Sein dunkler Bruder war erwacht. Er hatte geglaubt, ihn besiegt zu haben, aber das stimmte nicht. Er hatte ihn vertrieben, ihn tief, unendlich tief in seiner Seele vergraben, ihn hinter eine Mauer aus Selbstbeherrschung und Disziplin gesperrt, aber er war noch da, stark und mächtig wie eh und je. Und er wußte nicht, ob er ihn ein drittes Mal bezwingen konnte.

»Was hast du?« fragte Gowenna. Sie wirkte beunruhigt, beinahe schon ängstlich, und als er in ihr Gesicht sah, erblickte er darin einen besorgten Ausdruck, einen schwachen Abglanz seiner eigenen Furcht, des Schreckens, der ihn gefangenhielt.

»Nichts«, murmelte er schwach. »Es ist... nichts...«

»Du bist blaß«, stellte Gowenna fest. »Und du zitterst am ganzen Leib. Also erzähl mir nicht, daß du nichts hast.«

»Ich... mußte an Del denken«, antwortete er ausweichend. Die Lüge klang dünn, und Gowennas einzige Reaktion darauf bestand in einem flüchtigen Lächeln.

»Findest du es fair, von mir Offenheit zu verlangen und selbst nicht bereit dazu zu sein?« fragte sie.

Skar schüttelte verwirrt den Kopf, nickte und wandte sich dann mit einem Ruck ab. »Nicht jetzt, Gowenna«, sagte er leise. »Wir reden darüber, später. Aber nicht jetzt. Bitte. Ich bin auch nur gekommen, um...« Er brach plötzlich ab, sah sie einen Moment lang an und starrte dann an ihr vorbei aufs Meer. Wenn er sie jetzt auf Vela ansprach, würde sie glauben, es wäre nur ein Vorwand, ein Angriff seinerseits, um abzulenken. Er schüttelte den Kopf. »Nichts«, murmelte er. »Es ist nichts. Vergiß es.«

Gowenna sog hörbar die Luft ein. Zwei, drei Sekunden lang starrte sie ihn an, sah dann zum Eiskanal hinüber, als spüre sie, daß dort drüben die Antwort auf all ihre Fragen lag, und drehte sich mit einem Kopfschütteln um. »Wie du meinst«, murmelte sie.

Skar hob langsam die Hand an die Schläfe. Sein Schädel pochte, und irgendwo hinter seinen Gedanken glaubte er ein leises, böses Lachen zu hören. Er ballte in hilfloser Wut die Fäuste, trat dicht an die Reling heran und starrte auf die nahezu unbewegte Wasseroberfläche hinunter. Der Rumpf der SHAROKAAN begann sich bereits wieder mit Eis zu überziehen; ein dünner, glitzernder Panzer, der langsam, vielleicht nicht mehr als ein Fingerbreit pro Stunde, aber unaufhaltsam an den verquollenen Planken emporkroch. Es war wie dieses Etwas in seiner Seele, dachte Skar. Sein Vormarsch war langsam, trügerisch langsam, aber es gab nichts, was ihn stoppen konnte.

Es war der Dronte. Er spürte seinen Ruf, seine Stimme. Die Stimme seines dunklen Bruders, der endlich seinen Gegenpart gefunden hatte. Skar erschrak. Ohne es bisher selbst zuzugeben, hatte er sich insgeheim an den Gedanken geklammert, daß alles nur Einbildung war, nichts als eine Reaktion seiner überreizten Nerven. Aber er schien an einem Punkt angekommen zu sein, an dem er sich nicht einmal mehr selbst belügen konnte.

»Ich habe mit Del gesprochen«, sagte er leise. »Vorhin, als ich oben in der Höhle war.«

Auf Gowennas Zügen erschien ein seltsamer Ausdruck. Skar überkam plötzlich das Gefühl, daß sie ganz genau wußte, worauf er hinauswollte. »Das soll... öfter vorkommen«, bemerkte sie stockend und in dem vergeblichen Versuch, spöttisch zu klingen. »Ich glaube mich zu erinnern, daß ich euch beide schon einmal im Gespräch gesehen habe.« Sie lachte.

»Vela«, murmelte Skar. »Es geht um Vela. Und dich. Ich möchte, daß du damit aufhörst, sie langsam umzubringen.«

Gowenna schürzte die Lippen. »Tue ich das, Satai?« fragte sie kalt. Skar blieb ruhig. »Ich will endlich wissen, was du im Schilde führst, Gowenna«, fuhr er ernst fort. »Ich will wissen, was du wirklich vorhast, mit ihr und vielleicht auch mit uns. Ich habe nicht die Kraft, gegen dieses Ungeheuer und dich gleichzeitig zu kämpfen.«

»Du redest Unsinn«, unterbrach ihn Gowenna verärgert. »Ich befolge den Befehl der Ehrwürdigen Mutter in Elay, nicht mehr und nicht weniger.«

»Aber es bereitet dir Freude, sie zu quälen.«

Gowenna schien irritiert, und auch Skar fühlte sich unsicher. Er hatte damit gerechnet, daß sie streiten würden wie so oft, aber Gowenna blieb ganz ruhig, fast, als hätte sie dieses Gespräch vorausgesehen und sich jede mögliche Antwort auf jede mögliche Frage genau überlegt. »Ich quäle sie nicht«, sagte sie. »Sie spürt nichts. Wahrscheinlich ist sie im Moment die einzige, die glücklich ist von uns allen. Und selbst wenn - würde es einen Unterschied machen?«