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»Ich weiß es nicht«, antwortete sie, und er fühlte, daß es die Wahrheit war. »Ich war niemals hier. Niemand war je hier.«

»Aber du kanntest diese Insel.«

Sie nickte. »Die Heimat des Dronte, ja. Und vielleicht Schlimmerem.«

»Dann wußtest du, daß er uns auflauern würde?«

»Nein. Niemand von uns hat es gewußt oder auch nur geahnt. Aber ich wußte, was geschehen würde, als ich ihn sah.«

»Und warum hast du uns nicht gewarnt?«

Gowenna hockte sich neben ihm nieder, formte einen Schneeball und warf ihn in die Spalte. Er verschwand lautlos in der Tiefe. Skar wartete auf das Geräusch seines Aufpralls, aber das einzige, was er hörte, war das unablässige Heulen des Windes.

»Was hätte es genutzt?«

Skar setzte zu einer scharfen Antwort an, aber Gowenna stand schnell auf und trat zwei, drei Schritte zurück. Es sah aus wie eine Flucht, und das war es wohl auch. Diesmal war sie es, die einer Konfrontation aus dem Wege gehen würde.

»Vielleicht wären ein paar von uns dann noch am Leben«, sagte er leise.

»Das vielleicht. Aber es hätte nichts geändert. Er wollte uns hier haben, Skar, und er hätte uns auf jeden Fall hierhergetrieben, ganz gleich, wie.«

»So wie du, nicht?«

Gowenna war für einen Moment verunsichert. »Wie -«

»Ich meine es so, wie ich es sage, Gowenna«, fuhr Skar fort, so ruhig, daß es ihn beinahe selbst überraschte. »Du hast niemals vorgehabt, Vela zum Berg der Götter zu bringen. Du wolltest sie hier haben, genau hier.« Es waren - beinahe genau - die gleichen Worte, die Del wenige Stunden zuvor gesagt hatte, und er spürte eigentlich erst jetzt, daß sie richtig waren. Er hatte auch nicht in der Art einer Frage gesprochen.

»Und wenn es so wäre?« fragte Gowenna leise.

Skar trat auf sie zu und hob die Hand. Gowenna fuhr zusammen, als erwarte sie einen Schlag, aber Skar berührte nur sanft ihr Gesicht und folgte mit den Fingerspitzen den dünnen, tiefen Linien der Narben, die der Drachenatem in ihre Haut gefressen hatte.

»Ich weiß es nicht«, gestand er. »Ich... müßte dich hassen, aber ich kann es immer noch nicht. Vielleicht spielt es auch keine Rolle, was du gewollt hast. Der Dronte hat alles geändert, was irgendwer von uns irgendwann einmal gewollt hat. Es... täte mir nur weh, wenn du mich belogen hättest.«

»Es gibt Situationen, in denen man keine Rücksicht mehr auf Gefühle nehmen kann, Skar.«

Skar lachte, und Gowenna sah ihn verwundert an. »Du lachst?«

»Ja - normalerweise wäre ich der, der diese Worte sprechen müßte, weißt du das?« Er wurde wieder ernst, zog seine Hand zurück und streckte sie, nach kurzem Zögern, abermals aus; diesmal, um Gowenna in die Arme zu nehmen. Sie ließ es zu, aber Skar spürte, wie sich ihr Körper unter dem unförmigen Mantel versteifte.

»Nicht, Skar«, flüsterte sie. Er ließ sie los. Gowenna trat zurück, zog - nur um ihre Hände zu beschäftigen und nicht, weil es nötig gewesen wäre - ihren Mantel höher und wich seinem Blick aus.

»Warum sagst du es mir nicht?« fragte er.

»Was?«

»Was du vorhast, Gowenna. Ich weiß, daß du Vela niemals vor den Rat der Dreizehn bringen wolltest. Wenn du sie töten willst -«

»Das will ich nicht«, fiel ihm Gowenna ins Wort, so heftig, daß er spürte, wie weh ihr sein Verdacht tat.

»Ich würde es verstehen«, fuhr er unbeeindruckt fort. »Vielleicht glaubst du, daß ich noch irgend etwas für sie empfinde, wegen des Kindes, aber das ist nicht der Fall. Es war niemals so.«

»Bitte, frag nicht weiter, Skar«, bat Gowenna. Ihre Stimme klang gequält. »Du... du hast es selbst gesagt, daß es keine Rolle mehr spielt, was wir gewollt haben. Ich... ich gehe jetzt, um Del und Helth zu holen.«

Sie wollte sich umdrehen und gehen, aber Skar hielt sie noch einmal zurück. »Dieser Hafen«, fragte er, »von dem du erzählt hast - haben wir eine Chance, von dort wegzukommen?«

Gowenna überlegte einen Moment. »Vielleicht. Ich weiß es nicht. Niemand ist bisher von dieser Insel zurückgekehrt.«

»Unsinn«, antwortete Skar. »Wäre es so, woher wüßtest du dann von den Bergen und dieser Bucht?«

»Es gibt nicht viel, was die Errish nicht wissen«, antwortete Gowenna geheimnisvoll. Sie hielt seinem Blick noch einen Moment stand, drehte sich dann abermals um und ging. Diesmal hielt er sie nicht mehr zurück.

Skar blickte ihr nach, hilflos; verwirrter als zuvor. Aber was hatte er erwartet?

Drei, vier Besatzungsmitglieder der SHAROKAAN hatten sich gleich unter dem Eingang zum Schlafen gelegt, und Gowenna mußte umständlich über sie hinwegsteigen. Wenn sie einen von ihnen anstieß, dachte Skar ernsthaft, dann würde er zerbrechen wie Glas. Er blieb lange Zeit stehen und starrte nach Westen, reglos und stumm, als wäre er selbst bereits zu Eis erstarrt und zu einem Teil dieser gefrorenen, toten Welt geworden. Er wußte nicht einmal, wieviel Zeit vergangen war, als Gowenna mit Helth und Del zurückkam. Zeit war bedeutungslos geworden.

Del wirkte müde. Seine Haut glänzte wächsern, und seine Augen waren klein und gerötet, aber ihr Blick war trotzdem wach.

Er winkte Helth zu sich heran, reichte ihm wortlos das Glas und deutete auf die glitzernden weißen Schemen vor dem Horizont. Der Vede sah einen Moment lang durch das Fernrohr, und Skar glaubte, so etwas wie Schrecken über sein Gesicht huschen zu sehen. Aber seine Stimme klang ruhig, als er sich umwandte und das Glas absetzte. »Das sind Krieger wie die, auf die ihr gestern getroffen seid«, stellte er fest. »Es sind keine Krieger, Helth«, sagte Gowenna betont. »Es ist der Dronte. Etwas von ihm.« Del schwieg, griff aber ebenfalls nach dem Glas und blickte lange und mit unbewegtem Gesicht hindurch.

Helth starrte sie sekundenlang schweigend an. Skar versuchte vergeblich zu erraten, was hinter seiner Stirn vorging. Sein Blick konnte ebensogut Schrecken wie Resignation ausdrücken. »Und was erwartet ihr jetzt?« fragte er. »Daß ich die Männer zusammenrufe und wir uns auf sie stürzen?« Die Worte waren bitterer Spott, aber der Klang seiner Stimme behauptete das Gegenteil; sie war flach und ausdruckslos, so, als interessiere ihn dies alles hier im Grunde schon nicht mehr, und er antwortete nur, um wenigstens noch einen Schein von Form zu wahren.

»Ich glaube nicht, daß das viel Sinn hätte«, erwiderte Skar rasch, als er den Zorn auf Gowennas Gesicht sah. »Sie sind nicht hier, um mit uns zu kämpfen, Helth. Sie beobachten nur. Und deine Männer würden einen Kampf gegen sie wohl kaum noch durchstehen.«

»Es sind nur vier.« Ein dünnes, humorloses Lächeln huschte über Helth' Züge. »Und es sind nicht meine Männer, Skar. Es sind deine Männer. Meine Leute sind auf der SHAROKAAN gestorben.« Gowenna sog scharf die Luft ein und trat einen Schritt auf den Veden zu, aber Skar hielt sie mit einem raschen, warnenden Blick zurück und schluckte die scharfe Entgegnung, die ihm selbst auf der Zunge lag, hinunter. Del schob mit einer bedächtigen Bewegung das Fernrohr zusammen und gab es ihm zurück, wie durch Zufall trat er dabei halbwegs zwischen Gowenna und den Veden. Skar schenkte ihm einen raschen dankbaren Blick. Sie waren noch immer ein Team. »Ich habe dich nicht gerufen, um mit dir zu streiten«, sagte er so ruhig, wie er konnte.