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Skar schüttelte die Erinnerung mit einer ärgerlichen Bewegung ab. Doch die Bilder verblaßten nicht. Sie zogen sich zurück, verkrochen sich in einem finsteren Winkel seines Gedächtnisses, aber sie waren noch da. Lauernd, bohrend, wie ein Rudel kleiner, gefährlicher Raubtiere, jederzeit bereit, einen Moment der Unaufmerksamkeit auszunutzen und erneut über ihn herzufallen. Vielleicht würde er sie nie wieder vollkommen loswerden. Sie waren durch die Hölle gegangen in diesen wenigen Minuten, eine Hölle aus brennendem Holz und Tauwerk und Qualm und Gestank, Schreien und weißglühenden Geschossen, die erbarmungslos auf den Freisegler herunterregneten. Aber ihre Reise stand vom ersten Augenblick lang unter keinem guten Stern. Ursprünglich hatten Del und er beabsichtigt, von Elay aus direkt nach Muur-Eyl und dann durch die westliche Wüste nach Larn zu ziehen; ein Weg, der vielleicht mühsam, aber größtenteils ungefährlich war. Aber sie hatten ihre Rechnung ohne die Ehrwürdige Mutter gemacht. Die Herrscherin des Drachenlandes hatte ihnen nicht nur ihre Dankbarkeit bekundet, sondern sie gleichzeitig auch gebeten, Gowenna und die verstoßene Errish zum Berg der Götter zu geleiten. Und die Bitte der Ehrwürdigen Mutter der Errish war Befehl. Auch - oder vielleicht gerade - für einen Satai. So mußten Del und er zustimmen, noch einmal in den Dienst der Errish zu treten und Vela zum Rat der Satai zu bringen, obwohl es ihnen widerstrebte, sich als Kerkermeister zu verdingen. Aber es hatte Gründe gegeben, diesen Auftrag anzunehmen. Gründe, die weit zurücklagen, weiter, als er sich erinnern wollte. Einer der Gründe war das Kind, das Vela in ihrem Leib trug. Sein Kind...

Skar schrak aus seinen Überlegungen hoch, als ihn Del unsanft an der Schulter berührte. »Was...?« fragte er verwirrt.

Del zog eine Grimasse. »Ich habe dich jetzt dreimal hintereinander angesprochen«, bemerkte er spöttisch. »Sprichst du nicht mehr mit jedem, oder wirst du langsam alt?«

Skar rettete sich in ein verlegenes Lächeln. »Ich... war in Gedanken«, sagte er rasch. »Entschuldige.« Er setzte sich gerade auf, seufzte und machte Anstalten, vollends aufzustehen. »Ich lasse dich in vier Stunden ablösen«, bestimmte er. »Dann ist deine Wache nämlich offiziell vorbei. Sieh zu, daß du bis dahin ausgeschlafen hast. Es ist ziemlich ungemütlich an Deck.«

»Warte noch einen Moment«, bat Del. Plötzlich grinste er, und für einen Moment erinnerte er Skar wieder an den großen, jähzornigen Jungen, als den er ihn in Erinnerung hatte. Aber nur für einen Moment. »Ich... muß noch etwas erledigen.« Er stand auf, reckte sich noch einmal und trat gebückt durch die Gittertür. Skar runzelte ärgerlich die Stirn, als Del weiterging und sowohl das Gitter als auch die darunterliegende Tür achtlos offenließ, verzichtete aber darauf, aufzustehen und sie zu schließen. Er hielt die Sicherheitsmaßnahmen, auf denen die Ehrwürdige Mutter bestanden hatte, ohnehin für übertrieben. Vela stellte keine Gefahr mehr dar. Die Macht, die sie gehabt hatte, war dahin, ein für allemal, und allein die dünne Kette, mit der sie gebunden war, garantierte dafür, daß sie die Zelle nicht verlassen konnte. Sie war aus Sternenstahl geschmiedet, dem gleichen, nahezu unzerstörbaren Material, aus dem auch sein Tschekal gefertigt war. Nicht einmal die Kräfte eines Banthas hätten ausgereicht, sie zu zerreißen.

Aber vielleicht diente sie auch eher Velas Schutz, so wie die Wache, in der sich Del und einer der Veden abwechselten. Es war nicht so sehr das Schiff oder seine Besatzung, die sie vor Vela beschützten, als vielmehr Vela, die zu ihrer eigenen Sicherheit hier vorne untergebracht war. Skar hatte bis jetzt nicht begriffen, wie es Gowenna gelungen war, die Ehrwürdige Mutter zu überreden, ihr - ausgerechnet ihr - die Verantwortung dafür zu übertragen, daß die ehemalige Errish sicher am Berg der Götter ankam. Ein Wächter sollte seinen Gefangenen nicht hassen. Sein Blick glitt über Velas zusammengekrümmte Gestalt. Obwohl sie auf der Seite lag und eine schwere Felldecke über sich ausgebreitet hatte, war jetzt nicht mehr zu übersehen, daß sie schwanger war. Skar versuchte nachzurechnen, wie lange es jetzt noch dauern würde, kam aber zu keinem genauen Ergebnis. Sechs, vielleicht sieben Wochen - es spielte im Grunde keine Rolle. Sie würde tot sein, lange bevor das Kind - sein Kind - zur Welt kommen konnte.

Seltsamerweise ließ ihn der Gedanke beinahe kalt. Es war sein Sohn, der da in ihrem Körper heranwuchs, aber es war ein Kind, das gegen seinen Willen entstanden war und das niemals hätte gezeugt werden dürfen. Er empfand nichts bei dem Gedanken, der Vater dieses Knaben zu sein; allerhöchstens Abscheu. Vielleicht auch so etwas wie Mitleid, aber wenn, dann war es ein Mitleid, wie er es auch einem fremden Kind entgegengebracht hätte; vielleicht mehr als seinem eigenen. Er hatte Kinder niemals gemocht - was nicht hieß, daß er sie verabscheute oder gar haßte -, und der Gedanke, daß er selbst dieses Kind gezeugt hatte und sein Vater sein sollte, erschien ihm beinahe lächerlich. In seinem Leben war kein Platz für Kinder; nicht für fremde und schon gar nicht für eigene. Vielleicht - auch darüber hatte er nachgedacht, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen - war es auch nur Schutz; ein Mechanismus, mit dem er sich vor sich selbst schützte, eine instinktive Abwehr gegen die Gefühle, die da in seinem Inneren lauern mochten und die sein Leben noch komplizierter gemacht hätten, als es ohnehin war. Nein - alles, was er für dieses Kind, wenn überhaupt, empfand, war Mitleid, Mitleid mit diesem noch ungeborenen Wesen, das im Grunde von ihnen allen die geringste Schuld trug. Nach allem, was Vela getan hatte, war dies vielleicht der größte Frevel gewesen. Dieses Kind war nicht aus Liebe entstanden, nicht einmal aus Unachtsamkeit oder - und auch das hätte er verstanden und, wenn auch mit Abscheu, akzeptieren können -, um ihn zu erpressen, sondern aus dem einzigen Grund, ihre Macht zu vergrößern. Es wäre zu einer Waffe geworden, einem finsteren Gott des Bösen, ein Dämon, der das Grauen längst vergangener Zeiten wieder hätte auferstehen lassen können.

Aber soweit würde es nicht kommen. Vielleicht war es nicht einmal ein Zufall, daß der schwarze Killersegler ausgerechnet jetzt aufgetaucht war und sie jagte. Skar glaubte nicht an Götter und Dämonen, aber er war auch nicht so vermessen, sich allen Ernstes einzureden, daß es sie nicht doch geben konnte, nur weil er nicht an sie glaubte. Wenn es sie gab - da war er ganz sicher -, dann hatten sie den Dronte geschickt; Feuer gegen Feuer, die größte Geisel der Meere gegen eine Gefahr, die noch nicht einmal geboren war. Die Errish hatte selbst die Götter herausgefordert, und letztlich war es einer von ihnen gewesen, der sie besiegt hatte. Nicht er. Er war nur ein Werkzeug.

Vela bewegte sich. Der graue Stoff ihres Gewandes raschelte, und für einen Moment begegneten sich ihre Blicke. Ihre Augen waren leer; die winzigen, zu schwarzen Punkten zusammengezogenen Pupillen wirkten verschleiert und schienen direkt durch ihn hindurchzusehen. Wahrscheinlich nahm sie weder ihn noch ihre Umgebung wirklich wahr. Skar wußte nicht, was in dem grauen Pulver war, das Gowenna ihr regelmäßig in die Mahlzeiten mischte, aber er hatte am eigenen Leib gespürt, daß sich die Errish auf das Mischen von Drogen verstanden.

Ihr Geist war gefangen. Vielleicht schlief sie, vielleicht stand sie die Qualen der Hölle durch - er wußte es nicht, und er wollte es auch nicht wissen. Die Kette, die ihren Geist gefesselt hielt, war mindestens ebenso stark wie die um ihren Arm.

Del kam zurück, ließ sich fröstelnd neben einem der Kohlebecken niedersinken und rieb die Hände über der Glut aneinander. Sein Gesicht war vor Kälte gerötet. Er zitterte. Die sanitären Einrichtungen der SHAROKAAN waren eine einzige Katastrophe. Es war schon bei gutem Wetter eine Zumutung, seine Notdurft in einem nach drei Seiten offenen Drahtkorb außenbords der Reling verrichten zu müssen. Während eines Eissturmes wie dem, der das Schiff seit drei Tagen beutelte, blieb den Zuschauern selbst das schadenfrohe Lachen buchstäblich im Halse stecken.