Helth' Miene erstarrte. Skar setzte dazu an, Del zur Ruhe zu mahnen, tat es aber dann doch nicht. Vielleicht hatte Del recht. Früher oder später würde Helth einen Zusammenstoß provozieren. Und vielleicht würden die Umstände später günstiger sein; für ihn.
Aber der erwartete Wutausbruch blieb aus. Helth beschränkte sich darauf, Del länger als eine halbe Minute wortlos anzustarren, und wenn er das stumme Duell auch nicht gewann, so senkte er doch auch nicht den Blick. Skar spannte sich unmerklich. Helth war sehr aufgeregt, aber auch von einer Entschlossenheit, die neu an ihm war. Wie durch Zufall streifte sein Blick den linken Arm des Veden. Die Wunde, die ihm während des Kampfes zugefügt worden war, schien noch immer zu bluten; sein Hemd war bis zum Ellbogen hinauf dunkel und feucht.
»Wir haben keinen Beweis, daß es wirklich Gowenna war, die Del niedergeschlagen und den Matrosen ermordet hat«, versuchte er richtigzustellen.
Helth schnaubte. »Wer denn sonst, Satai? Sie hat das alles von Anfang an geplant. Sie brauchte uns, damit wir sie und die Errish sicher hierherbringen.«
»Natürlich«, sagte Del ernsthaft. »Und sie hat auch den Dronte herbeigelockt, nicht wahr? Und später hat sie die Eiskrieger erschaffen und ihnen mittels Gedankenübertragung den Befehl gegeben, uns draußen eine Falle zu stellen.«
Helth wurde sichtlich blaß. Seine Hand spannte sich um den Schwertgriff, und Skar sah, wie er auf dem glatten Höhlenboden nach festem Halt suchte.
»Nicht, Del«, sagte Skar begütigend. »Es nutzt nichts, wenn wir uns jetzt auch noch untereinander bekämpfen.« Er stand auf, trat auf den Veden zu und legte ihm die Hand auf die Schulter, aber Helth schlug seinen Arm mit einer wütenden Bewegung zur Seite und wich gleichzeitig einen Schritt zurück. Auch Del erhob sich und trat wie zufällig, halb hinter den Veden.
»Statt uns zu streiten, sollten wir lieber einen Plan fassen, wie wir hier herauskommen«, bemerkte Skar, um Zeit zu gewinnen.
Aber er hätte ebensogut gegen die Wand reden können. Helth wollte seine Worte gar nicht hören. »Einen Plan!« zischte er. »Was für einen Plan, Satai ? Es gibt nichts, wohin wir fliehen könnten, das weißt du so gut wie ich! Wir -«
»Wenn es wirklich Gowenna war«, unterbrach ihn Skar sanft, »dann hat sie auch vorgesorgt, lebend von hier zu entkommen. Ginge es ihr nur darum, Vela zu töten, so hätte sie es ein Dutzend Mal leichter und mit geringerem Risiko tun können, Helth. Wir warten, bis die Sonne vollends aufgegangen ist, und dann verfolgen wir sie. Ihr Vorsprung ist nicht groß.«
»Nein, Satai«, widersprach Helth. »Das werden wir nicht tun.« Seine Stimme klang plötzlich ganz ruhig, aber in seinen Augen war ein Flackern, das Skar warnte. Seine Hände strichen jetzt nicht mehr nervös über seine Kleider, sondern lagen flach nebeneinander auf seiner Gürtelschnalle.
»Und was schlägst du statt dessen vor?« erkundigte sich Del ruhig. »Ich schlage nichts vor«, antwortete Helth, ohne Skar und Del dabei aus den Augen zu lassen. »Ich bin nicht gekommen, um mit euch zu diskutieren, Satai. Wir haben geredet und geredet, seit wir diese verfluchte Insel betreten haben, und das einzige, was dabei herausgekommen ist, sind ein halbes Dutzend Tote. Männer, die mein Vater euch anvertraut hat, Satai. Er hat ihr Leben in eure Hand gelegt, aber ihr habt versagt. Bleibt von mir aus hier und redet weiter miteinander, aber wir gehen zurück.«
»Wir?« fragte Skar betont. »Wer ist das, wir?«
Helth machte eine weit ausholende Geste mit der Linken. Seine andere Hand rutschte ein Stück näher an den Schwertgriff heran, berührte ihn aber noch nicht. »Wir alle, Skar«, antwortete er. »Mein Vater hat dir die Verantwortung über diese Männer gegeben, und ich nehme sie dir wieder.«
»Die Verantwortung für drei Dutzend Menschenleben, Helth?« fragte Del belustigt. »Deine Schultern sind zu schmal dafür, Junge.« Helth ignorierte ihn. Sein Blick bohrte sich in den Skars.
»Das ist Wahnsinn, Helth«, gab ihm Skar kopfschüttelnd zu bedenken. Einige Männer waren aufgestanden und blickten zu ihnen herüber. Helth hatte laut genug gesprochen, daß seine Worte überall in der Höhle zu hören gewesen waren; wahrscheinlich absichtlich. »Wie weit würdet ihr kommen? Fünf Meilen? Zehn?«
»Weit genug«, antwortete Helth. »Wir sind hierhergekommen, wir schaffen auch den Weg zurück.«
»Und dann?« fragte Del. »Was macht ihr dann?«
»Das, was wir von Anfang an hätten tun sollen, Satai. Wir werden uns zum Kampf stellen, wie es aufrechten Männern gebührt. Wir haben den Dronte schon zweimal fast besiegt.«
Skar nickte. »Du sagst es selbst, Helth: fast. Aber dicht daneben ist auch vorbei, weißt du? Vergiß diesen verrückten Plan. Keiner deiner Männer würde einen Angriff auf diese Bestie überleben. Und selbst wenn, würdet ihr umkommen. Die SHAROKAAN ist verbrannt, hast du das vergessen? Ihr hättet keine Möglichkeit mehr, von hier fort zu kommen. Wenn wir Gowenna folgen, haben wir wenigstens eine Chance.«
Helth lachte, aber es hörte sich eher wie ein schlecht unterdrückter Aufschrei an. »Eine Chance!« wiederholte er. »Eine Chance gegen Hexenkunst und schwarze Magie, Satai? Wir sind Krieger, keine Magier. Eine Chance hattest auch du, als du zusammen mit Brad auf die Eiswand gestiegen bist, um den Dronte anzugreifen. Du hast sie vertan.«
»Und ich bin allein zurückgekommen«, sagte Skar ruhig. »Sprich es ruhig aus, Helth. Du machst mich für den Tod deines Bruders verantwortlich.« Er hob die Stimme; eine Winzigkeit nur, aber deutlich. »Du suchst in Wirklichkeit keinen ehrenvollen Tod, Helth«, sagte er. »Du willst Rache. Du kannst es nicht verwinden, daß du einen Kampf verloren hast, und Del und ich sind dir gerade gut genug, um dafür...«
»Es reicht«, unterbrach ihn Helth. Seine Stimme bebte, und seine Hand lag jetzt auf dem Schwert, nicht mehr daneben. »Ich will nichts mehr hören, Skar. Ich habe genug von deinem Gerede, und -« Einer der Männer stieß einen krächzenden Schrei aus und deutete zum Eingang. Skar, Del und der Vede fuhren gleichzeitig herum. Im ersten Moment erkannte er nur einen zusammengekrümmten Schatten; ein formloses Etwas, das unter dem Eingang der Höhle erschienen war, als hätte es die Dämmerung ausgespien. Dann bewegte er sich, wurde zu einer Gestalt, die sich mühsam, mit qualvollen, unendlich langsamen Bewegungen durch den Tunnel schleppte.
Skar hatte plötzlich das Gefühl, von einer eisigen, körperlosen Hand gestreift zu werden. Er wollte sich bewegen, aber er konnte es nicht, auch als die Gestalt liegenblieb und mit einem schrecklichen, röchelnden Laut den Kopf hob. Er war gelähmt, zum ersten Mal, solange er sich erinnern konnte, betäubt von ungläubigem, tödlichem Schrecken. Gowennas Gesicht glitzerte im schwachen Licht der Fackeln wie eine grausige Totenmaske aus rotem, halb geronnenem Blut. Er stand noch immer wie gelähmt da, auch als Del endlich aus seiner Erstarrung erwachte und mit einem Satz neben Gowenna niederkniete.
19.
Es war hell geworden; nach einer Dämmerung, die so lang und grau und voller immer wieder neu zwischen den Felsen hervorkriechender Schatten gewesen war, als wolle sie überhaupt kein Ende mehr finden. Wie schon am vergangenen Morgen waren die Temperaturen mit dem Erwachen des Tages gefallen, und die Sonne, die über den vereisten Berggipfeln in seinem Rücken erschienen war und damit begonnen hatte, das Land mit Licht und dunkelroten flackernden Schatten zu überziehen, schien Kälte zu verstrahlen, statt Wärme.
Skar war wieder hierhergekommen, in den hinteren Teil der Höhle, hinauf auf den schmalen steinernen Sims, der wie ein natürlich gewachsener Balkon aus der Rückseite des Berges wuchs. Es hatte ihn nicht überrascht, daß die Treppe beinahe verschwunden war - sowohl im inneren Teil der Höhle als auch hier draußen: Die aus Eis geformten Stufen waren geschmolzen, ihre Ränder abgerundet und flach, hier und da zerfressen von Schmelzwasser, das in kleinen, schmutzigen Rinnsalen in die Tiefe floß und sich am Fuße des Felsens zu einem unregelmäßig geformten See sammelte. Sie war, wie die Eiskrieger und die Wand, die er abermals durchbrochen hatte, um hierherzugelangen, das Werk von Kräften, die er nicht begriff - Magie, wie es Helth ausgedrückt hatte, auch wenn es das sicher nicht war - und die er erst gar nicht zu verstehen versuchte. Er hatte auch nicht mehr die Kraft, zu staunen oder mehr als einen vagen Schrecken zu empfinden. Er nahm zur Kenntnis, das war alles.