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Skar kniete neben dem gestürzten Matrosen nieder, aber er sah gleich, daß er ihm nicht mehr helfen konnte. Der Mann war bereits tot. Helth' Hieb hatte seine Kehle durchschnitten, so sauber, als hätte es ein geschickter Arzt mit einem Skalpell getan. Und der Schnitt war tief; sehr tief. Kopfschüttelnd stand er auf, ging zu Del und half ihm auf die Beine.

»Alles in Ordnung?« fragte er.

Del schüttelte den Kopf und nuschelte etwas, das sich wie ›ja‹ anhörte. Seine Unterlippe war geschwollen, und sein Gesicht begann sich da, wo ihn Helth' Fuß getroffen hatte, zu röten. »Immer auf den Kopf«, murrte er. »Als ob es keine anderen Stellen gäbe, wo man hinschlagen kann.«

Skar unterdrückte ein Grinsen, wurde aber sofort wieder ernst. »Laß mich dein Gesicht ansehen«, bat er.

Del drehte den Kopf weg und schlug seine Hand beiseite. »Sieh dich lieber selbst an, du großer Krieger«, sagte er giftig. »Du siehst eher aus, als hättest du einen Heilkundigen nötig.«

Skar hob unwillkürlich die Hand an sein Gesicht, führte die Bewegung aber nicht zu Ende. Jetzt, als die Anspannung des Kampfes allmählich von ihm abfiel, begann er jeden Hieb, den ihm Helth versetzt hatte, schmerzhaft zu registrieren. Sein Arm blutete noch immer, nicht stark, aber beständig, und sein rechtes Auge brannte wie Feuer. Als er über seine Wange tastete, spürte er Blut.

»Der Kleine hat dir ganz schön zu schaffen gemacht«, bemerkte Del schadenfroh. »Du wirst allmählich alt, scheint mir.«

Skar blieb ernst. »Ich fürchte«, sagte er, Dels Wortwahl bewußt aufgreifend, »daß uns der Kleine noch mehr zu schaffen machen wird.«

»Sollen wir ihm nach?«

Skar schüttelte den Kopf. »Das ist sinnlos. Wir werden keine Spuren finden. Aber wir müssen vorsichtig sein, wenn wir weitergehen.« Er seufzte. Er hatte die ganze Zeit geahnt, daß es so kommen würde. Aber er hatte gehofft, daß ihnen noch ein wenig Zeit blieb.

»Du glaubst, daß er uns auflauern wird?« fragte Del.

»Ich weiß überhaupt nicht, was ich glauben soll«, murmelte Skar. Er ließ sich neben Del auf das zerwühlte Lager sinken, nahm einen der grauen Stoffetzen auf und wischte sich Blut und Schweiß aus dem Gesicht. Zwei Männer knieten vor ihnen nieder und hoben den Toten auf, um ihn in den hinteren Teil der Höhle zu tragen. Skar betrachtete sie teilnahmslos. Stärker noch als zuvor fühlte er sich einsam, obwohl er von fast vierzig Männern umgeben war. Aber sie erschienen ihm weniger denn je wie Menschen, sondern eher wie graue Puppen, denen nur eine Statistenrolle in diesem grausamen Spiel zugefallen war. Ihm fiel plötzlich ein, daß er nicht einmal ihre Namen wußte. Nicht von einem. »Warum hat er diesen Kampf provoziert?« murmelte er. »Er mußte wissen, daß er ihn verliert. Es war so... so sinnlos.« Er sah auf. Als wäre es nötig gewesen, den Gedanken laut auszusprechen, spürte er erst jetzt, wie widersinnig Helth' Verhalten war. Er würde sterben, allein dort draußen. In den Kleidern, die er anhatte, würde er nicht einmal bis zum Sonnenuntergang durchhalten.

Del zuckte mit den Achseln. »Vielleicht hat er sich schlicht und einfach überschätzt«, sagte er.

»Kaum.« Skar knüllte den Stoffetzen zusammen, tupfte das Blut von seinem Arm und schloß die Finger zur Faust. Die Wunde begann stärker zu bluten. Er zog eine Grimasse, suchte einen einigermaßen sauberen Stoffstreifen und wickelte ihn ungeschickt um seinen Unterarm. Del sah ihm einen Moment kopfschüttelnd dabei zu, ehe er sich vorbeugte, den Verband wenig sanft herunternahm und sauberer und straffer wieder anlegte.

»Er wußte, daß er keine Chance gegen mich haben konnte.«

»Bist du es jetzt, der sich überschätzt?« fragte Del, ohne von seinem Arm aufzusehen.

»Und wenn schon nicht gegen mich, dann gegen dich, Del«, fuhr Skar unbeirrt fort. »Es war so sinnlos.«

»Vielleicht ist er schlicht und einfach verrückt geworden«, vermutete Del. »Wenigstens kam es mir so vor - diese Idee, zum See zurückzumarschieren und mit einer Handvoll halbtoter Männer den Dronte anzugreifen, war geradezu hirnrissig.«

»Nein«, widersprach Skar, sehr ernst und in einem Ton, der Del unwillkürlich innehalten und aufsehen ließ. »Verrückt ist er sicher nicht, Del. Und wenn, dann steckt ein System hinter diesem Wahn.«

»Also, ich kann beim besten Willen kein System darin erkennen, ohne Mantel in die Kälte hinauszurennen«, sagte Del. »Er wird erfrieren. Wenn nicht sofort, dann in der nächsten Nacht.«

Skar schwieg. Für einen Moment, für einen ganz kurzen, flüchtigen Moment, hatte er das Gefühl gehabt, die Lösung des Rätsels in Händen zu halten. Aber der Gedanke entschlüpfte ihm, bevor er danach greifen konnte. Es waren nur Kleinigkeiten, das spürte er. Winzige Details, die offen und sichtbar vor ihm lagen und die er nur richtig einzuordnen brauchte, um endlich Klarheit zu haben. Aber es gelang ihm nicht.

Del wurde plötzlich ernst. »Wir müssen los«, mahnte er.

»Ich weiß.«

»Dann weißt du hoffentlich auch, daß du zu den Männern reden mußt, Skar«, fuhr Del leise fort. Er wirkte mit einem Male besorgt. »Ob es dir paßt oder nicht - du hast jetzt die Verantwortung für sie.« Skar sah an Del vorbei zu den Männern hinüber. Schatten. Er sah Schatten, stumme, grau gewordene Gesichter und Augen, in denen die Angst ihre Spuren hinterlassen hatte. Er fand keine Beziehung zu ihnen, selbst der Gedanke, daß sie Menschen waren und jeder von ihnen ein Leben lebte, das so kompliziert und voller Höhen und Tiefen war wie sein eigenes, erschien ihm mit einem Mal lachhaft. Er hatte die Verantwortung für diese Männer nicht gewollt. Sie war ihm aufgezwungen worden, und er begann eigentlich erst jetzt zu spüren, wie schwer die Last ihn drückte, die ihm von Rayan aufgebürdet worden war. Sein Blick streifte Gowenna, und selbst sie erschien ihm plötzlich nur wie ein Schatten, ein schwaches Abbild ihrer selbst. Nicht echt. Alles um ihn herum war nicht echt.

»Ich bin kein großer Redner«, bekannte er halblaut. Die Worte kamen schleppend. Mit einem Male fühlte er sich müde. Unendlich müde. »Übernimm du das - bitte.«

Del zögerte. Er wollte etwas sagen, aber ein Blick in Skars Augen ließ ihn verstummen.

»Vergiß es«, murmelte Skar. »Ich werde es tun - nachher, bevor wir aufbrechen.«

»Und wohin?« fragte Del leise.

Skar ließ sich zurücksinken, lehnte den Kopf gegen die eisverkrustete Wand und schloß die Augen. Sofort stiegen Bilder in ihm empor, blitzartige Visionen, die nichts miteinander zu tun hatten, sich aber zu einem irrsinnigen, tobenden Tanz des Schreckens vermengten, so daß er die Lider hastig wieder hob. »Nach Westen«, sagte er. »Die Felsenkette führt zur Küste. Es gibt einen...« er zögerte, »eine Art natürliches Hafenbecken dort. Vielleicht finden wir eine Möglichkeit, von hier wegzukommen.«

Del blinzelte. »Woher weißt du das?«

»Von Gowenna«, antwortete Skar. »Sie hat es mir erzählt. Gestern morgen, bevor wir aus der Ruine aufgebrochen sind.«

»Go...« Del brach ab, schüttelte ein paarmal hintereinander verwirrt den Kopf und starrte erst ihn, dann Gowenna und dann wieder ihn an. Skar spürte, wie Zorn in dem jungen Satai hochstieg. »Sie hat es dir erzählt?« wiederholte er, als könne er nicht glauben, was er gerade gehört hatte. »Was hat sie dir noch erzählt?«

»Nichts«, murmelte Skar. »Nichts Wichtiges jedenfalls.«

»Nichts Wichtiges, so«, grollte Del. Er richtete sich ein wenig auf und straffte die Schultern. Obwohl er vor Skar auf den Knien hockte, überragte er ihn um mehr als Haupteslänge. »Aber der Herr hatte es nicht nötig, mich davon zu unterrichten, wie ?« warf er ihm zornig vor. »Manchmal frage ich mich wirklich, Skar, ob wir noch Freunde oder bereits Feinde sind. Was hat sie dir noch über dieses Land gesagt?«

»Nichts«, antwortete Skar ungeduldig. »Und ich glaube, selbst das wenige, was sie mir gesagt hat, wollte sie mir eigentlich nicht verraten. Diese verdammte Insel ist noch nie von Menschen betreten worden.«