Dann verschwand der Druck von seinem Arm. Skar brach mit einem krächzenden Laut vollends zusammen, wälzte sich auf den Rücken und versuchte, die blutigen Schleier vor seinen Augen wegzublinzeln. Helth war zurückgetaumelt. Eine frische blutende Schnittwunde zog sich quer über seine Stirn, blendete das rechte Auge und verlief weiter über seine Wange bis zum Hals hinunter, aber der Mann, der den Hieb geführt hatte, lag reglos zu seinen Füßen. Sein Schwert war zerbrochen. Das Eis unter seinem Kopf rötete sich. Ein zweiter Freisegler drang - wie Skar mit Schild und Schwert bewaffnet - auf den Veden ein, hackte nach seinem Kopf und duckte sich blitzschnell hinter seinen Schild, als Helth sich wegduckte und gleichzeitig zurückschlug. Sein Hieb ließ den Schild erbeben und brach den Arm, der ihn hielt. Der Mann keuchte, torkelte mit schmerzverzerrtem Gesicht zur Seite und verlor seine Waffe. Helth sprang zu ihm hin und stieß die Hand nach dem Gesicht des Kriegers; Daumen, Ring- und kleinen Finger einwärts geknickt, Zeige- und Mittelfinger wie tödliche Dolche ausgestreckt. Der Freisegler schrie auf, taumelte ein paar Schritte, stürzte auf die Knie und schlug die Hände vor seine leeren, blutenden Augenhöhlen.
Helth setzte ihm abermals nach, bückte sich nach seinem Schwert und riß die Waffe mit einem triumphierenden Schrei hoch. Ein weiterer Freisegler starb, so schnell, daß Skar den Hieb, der ihn tötete, nicht einmal sah. Die anderen wichen angstvoll zurück und ließen die Waffen sinken.
Der Vede drehte sich herum und kam mit wiegenden Schritten auf ihn zu. Skar versuchte sich aufzusetzen und gleichzeitig nach seinem Schwert zu greifen, aber er führte die Absicht nicht zu Ende. Helth lachte, aber seine Lippen bewegten sich nicht dabei. Sein rechtes Auge war blind, die Wange darunter von einem Schwerthieb zerfetzt, so tief, daß Skar den Knochen darunter erkennen konnte. Seine Halsschlagader war zerrissen, und seine rechte Körperhälfte begann sich in ein bizarres Netz roter Linien zu verwandeln. Aber er lebte weiter. »Du wolltest den Kampf, Satai!« krächzte er. Seine Finger schlossen sich um den Schwertgriff, zermalmten ihn. Die Waffe polterte zu Boden. »Du wirst sterben - du und alle, die bei dir sind. Niemand wird je -«
Ein silberner Blitz fegte auf ihn zu und traf seinen Leib eine Handbreit unterhalb des Nabels. Helth brüllte vor Schmerz und Zorn, torkelte zurück und zerrte mit beiden Händen an den rasiermesserscharfen Zacken des Shuriken, den Del nach ihm geschleudert hatte. Del kam mit einem unartikulierten Laut auf die Füße, packte ihn mit der Rechten zwischen den Schenkeln und verkrallte die andere Hand in seine Kehle. Helth kreischte. Del riß den Veden wie ein Spielzeug in die Höhe, hielt ihn eine halbe Sekunde hoch über dem Kopf in der Schwebe und schleuderte ihn mit aller Macht zu Boden. Helth überschlug sich mehrmals, bevor er mit haltlos zuckenden Gliedern liegenblieb. Del war sofort wieder über ihm, trat nach seinem Gesicht und ließ sich nach vorne fallen. Seine Knie trafen Helth' Brustkorb mit der ganzen Wucht seines Körpergewichts und brachen seine Rippen. Helth versuchte nach seinen Augen zu stechen, wie zuvor nach denen des Matrosen; Del schlug seine Hand mit einem wütenden Knurren zur Seite, legte die Hände um seinen Hals und drückte mit seiner ganzen gewaltigen Kraft zu, um dem Veden das Rückgrat zu brechen. Helth' Genick brach nicht. Skar wußte, wie stark Del war; er hatte gesehen, wie der junge Satai armdicke Balken mit der Kraft seiner gewaltigen Pranken zerbrochen und massive Eichentüren mit bloßen Fäusten eingeschlagen hatte, manchmal nur zum Spaß. Aber Helth war stärker. Langsam, Millimeter für Millimeter, stemmte er sich hoch, stützte sich mit Händen, Füßen und Ellbogen auf dem Eis ab und drückte seinen Gegner zurück. Del begann vor Anstrengung zu keuchen. Skar sah, wie sich seine Nacken- und Schultermuskeln spannten, als würden sie jeden Moment zerreißen. Schweiß perlte auf seiner Stirn. Aber Helth drängte ihn weiter zurück. Dels Knie rutschten von seiner Brust, dann verlor er vollends den Halt, kippte zur Seite, kam aber mit einer Rolle wieder auf die Füße.
Helth erhob sich etwas langsamer. Er wankte. Sein Gesicht war zu einer Grimasse verzerrt, und seine Hände zuckten ununterbrochen. Er wollte etwas sagen, aber sein Mund war voller Blut, und er brachte nur ein krächzendes Geräusch zustande.
Langsam begannen sich die beiden Gegner wieder zu umkreisen. Dels Arme pendelten lose vor seinem Leib, aber jeder übrige Muskel seines Körpers war bis zum Zerreißen angespannt. Er blieb stehen, spreizte die Beine und suchte auf dem Eis nach festem Stand. Auch Helth verharrte. Seine Hände waren jetzt vollends zu Klauen geworden, und der Blick seines unversehrten Auges loderte vor Haß. Skar spürte, daß seine Kraft noch lange nicht gebrochen war. Das unselige Ding, das von ihm Besitz ergriffen hatte, war so mächtig und wild wie im ersten Moment. Vielleicht stärker.
Er wollte aufstehen und Del zu Hilfe eilen, aber der junge Satai machte eine hastige Geste mit der Hand, als hätte er die Bewegung hinter seinem Rücken gefühlt, und Skar erstarrte wieder. Der Kampf verlagerte sich, ging von einer Sekunde zur anderen auf eine neue, unbegreifliche Ebene über. Skar spürte, wie irgend etwas in dem zerfetzten Bündel, das einmal ein Mensch gewesen war, zum Leben erwachte, etwas Dunkles, Pulsierendes und unendlich Böses mit unsichtbaren Linien puren Hasses nach Del griff...
... aber er fühlte auch, wie die Kraft von Del abprallte und mit schmerzhafter Wucht zurückgeschleudert wurde...
Für einen kurzen, unendlich quälenden Moment hatte Skar ein furchtbares Empfinden des dejá-vu, schoben sich Bilder in seinen Geist, die nicht hierher gehörten und die er in die tiefsten Abgründe seiner Seele verbannt zu haben glaubte. Er sah sich wieder in einer winzigen Laubhütte am anderen Ende der Welt, fühlte die unsichtbare psionische Faust, die sich zum Schlag ballte, bereit, alles zu zerschmettern, was sich ihr in den Weg stellte. Die Gestalt Dels verschwamm vor seinen Blicken, wurde grau und unscharf, flackerte wie ein Trugbild. Er stöhnte, versuchte die Augen zu schließen und konnte es nicht, sondern sah weiter zu, ein hilfloser Zeuge eines Kampfes zwischen zwei Wesen, von denen eines unbegreiflicher schien als das andere. Helth taumelte. Sein geschundenes Gesicht zuckte wie unter Schmerzen.
Aber auch Del wankte. Seine Hände hatten sich geöffnet, und sein Atem ging rasselnd und mühsam. An seinem Hals pochte eine Ader. »Skar...« Es war nicht Dels Stimme, auch wenn es seine Lippen waren, die den Namen formten. Skar sprang vollends auf, ergriff sein Schwert und lief los, im gleichen Moment, in dem auch Helth vorsprang und abermals nach seinem Gegner schlug. Del versuchte dem Hieb auszuweichen, aber Helth war zu schnell. Seine Faust traf Del zweimal hintereinander an Kopf und Brust und ließ ihn zusammenbrechen.
Skar warf sich mit einem verzweifelten Satz zwischen ihn und seinen unheimlichen Gegner, tauchte unter einem Hieb von Helth' Krallenhand hinweg und schlug blind zu. Er traf, aber der Schlag war schlecht gezielt, und Helth hatte sich im letzten Moment noch einmal zurückgeworfen: Die Klinge traf nicht seinen Hals, sondern hackte schräg über Wangenknochen und Schläfe in seinen Schädel und spaltete ihn.
Helth kippte mit einem sonderbar pfeifenden Laut nach hinten, griff sich an den Kopf und begann zu schreien. Skar setzte ihm nach, aber Helth trat nach ihm, kam torkelnd auf die Füße und versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, der ihn zurücktaumeln und abermals zu Boden stürzen ließ.