Einer der Männer trat vor, richtete sich gerade auf und sah ihn an. In seinen Augen war Furcht; aber auch eine Entschlossenheit, die Skar bisher an keinem von ihnen bemerkt hatte. Es war der dunkelhaarige Matrose, mit dem er schon in der Höhle gesprochen hatte. Skar kannte seinen Namen noch immer nicht.
»Ja?« fragte Skar knapp. Diesmal gab er sich Mühe, seiner Stimme den beabsichtigten Ton zu verleihen: überrascht, ein wenig neugierig, aber auch hörbar ungeduldig. Er sah, wie die mühsam aufrecht erhaltene Selbstbeherrschung im Blick des Mannes zu schmelzen begann. »Wir... gehen nicht weiter, Herr«, sagte der Matrose. Er schluckte. Seine Finger waren so heftig gegen seinen Gürtel gepreßt, daß sie zitterten.
Skar blickte ihn ausdruckslos an. »Ihr geht nicht weiter«, wiederholte er. »So. Und was habt ihr vor?« Ein dünnes, abfälliges Lächeln huschte über seine Lippen, so rasch, daß es die Männer sehen mußten, aber nicht sicher sein konnten, ob sie es auch sollten. Skar schwieg einen Moment, setzte dazu an weiterzusprechen und tat es dann doch nicht. Er hatte Situationen wie diese oft genug erlebt, um zu wissen, daß er den Widerstand der Männer mit wenigen wohlgezielten Worten würde brechen können, aber plötzlich kam ihm sein Verhalten sinnlos und dumm vor. Dumm und unfair. Diese Leute verdienten nicht, wie Figuren auf einem Spielbrett behandelt zu werden. Sie hatten bewiesen, daß sie bereit waren, für ihn und Gowenna zu sterben, und er kannte nicht einmal ihre Namen; ja, nicht einmal ihre Gesichter. Vielleicht hätte er überhaupt nicht gemerkt, wenn plötzlich statt dieser dreißig Männer dreißig andere um ihn herum gewesen wären. »Ihr habt Angst, nicht?« fragte er, sehr leise und in so verändertem Tonfall, daß Yar-gan überrascht aufsah.
Der Matrose nickte. »Ja. Wir... haben Euch Treue geschworen, Herr. Ihr seid Rayans Erbe und Nachfolger, und wir würden für Euch sterben, wenn Ihr es verlangtet.« Er sprach langsam und schleppend, aber doch fest, und seine gestelzte Art zu reden erzielte - auch wenn sie ein deutliches Zeichen für seine Unsicherheit war - doch die gewünschte Wirkung. Es hätte Skar nur ein Wort gekostet, ein genau dosiertes Lächeln, zwei, drei scharfe Befehle in der richtigen Tonlage, ihn zum Verstummen zu bringen, aber er konnte es nicht. Er brachte es nicht mehr fertig zu lügen. »Wir würden Euch folgen, wohin Ihr wolltet«, fuhr der Mann fort. »Aber wir... wir können nicht gegen Dämonen kämpfen, Herr.«
Das also war es. Skar schalt sich innerlich einen Narren, daß er die Entwicklung nicht schon vorausgesehen hatte. Diese Männer waren einfache Krieger und Seeleute, die gar nicht verstehen konnten, was dies alles zu bedeuten hatte.
»Helth ist kein Dämon«, sagte er ruhig. »Ich weiß nicht, was mit ihm geschah, aber es ist...« Er stockte. Es war sinnlos. Wie sollte er etwas erklären, was er selbst nicht verstand. War er denn so sicher, daß es so etwas wie Dämonen und Magie wirklich nicht gab? Und selbst wenn er recht hatte, selbst wenn der Dronte und diese Stadt und das Wesen, das von dem Veden Besitz ergriffen hatte, nicht durch Magie, sondern durch etwas anderes, vielleicht noch Unbegreiflicheres entstanden waren - wo lag der Unterschied?
»Ich verstehe, was ihr meint«, fuhr er fort. »Und ich respektiere eure Gründe. Ihr könnt gehen, wenn ihr wollt. Wenn es der Treueid ist, den euch Rayan abverlangt hat, dann entbinde ich euch davon. Aber wohin wollt ihr gehen? Zurück zum Wrack der SHAROKAAN? Keiner von euch würde den See lebend erreichen.«
»Ich weiß, Herr«, antwortete der Matrose ernst. »Aber es...« Er rang sichtlich nach Worten und sah Skar beinahe hilfesuchend an. »Vielleicht ist der Tod draußen auf dem Eis besser als das, was uns hier erwartet«, brachte er schließlich stockend hervor. Seine Stimme zitterte. »Helth... dieses Wesen, das...« Wieder brach er ab, schwieg einen Moment und setzte erneut an: »Wir hätten das Schiff nicht verlassen dürfen, Herr. Die SHAROKAAN war unsere Heimat. Ihr werdet darüber lachen, Herr, aber wir glauben, daß...«
»Daß er ein Dämon ist?« mischte sich Yar-gan ein. Skar warf ihm einen warnenden Blick zu, aber er ignorierte ihn. Ganz, wie Del es getan hätte. Er lachte sogar, so höhnisch, daß der Freisegler wie unter einem Hieb zusammenfuhr. »Daß Rayans oder Brads Geist zurückgekehrt ist, um euch zu holen, wie? Es ist nichts von alledem, Freisegler.«
»Er ist kein Dämon«, ergriff Skar rasch wieder das Wort. »Er ist ein Wesen aus Fleisch und Blut wie du und ich. Ihr habt gesehen, daß Del ihn verwundet hat. Er ist sterblich wie wir.«
»Aber was... was ist er?« murmelte der Mann. Plötzlich wirkte er nur noch hilflos, seine Worte waren wie ein geflüsterter Schrei. »Das weiß ich nicht«, gestand Skar. »Vielleicht etwas wie der Dronte. Aber er ist kein Dämon. Wäre er es, er würde kaum vor uns geflohen sein. Wahrscheinlich hätte er uns bereits vernichtet, schon lange bevor wir diese Stadt überhaupt betreten hätten. Wenn ihr jetzt zurückgeht, wählt ihr den Tod. Glaube mir.«
»Und hier, Herr?«
Skar zögerte. »Ich weiß es nicht«, sagte er schließlich. »Vielleicht gibt es diesen Hafen, von dem Gowenna gesprochen hat, und vielleicht finden wir eine Möglichkeit, von hier wegzukommen. Vielleicht sterben wir auch alle. Und vielleicht...« Er sprach nicht weiter. Er spürte, daß es sinnlos war, daß - was immer er sagen würde - nicht gegen den Schrecken ankam, der sich in die Herzen der Männer gekrallt hatte.
»Es tut mir leid, Herr«, beharrte der Matrose. »Aber -«
»Aber ihr werdet mit uns kommen«, fuhr ihm Yar-gan ins Wort. In seiner Stimme war ein scharfer, fremder Klang, etwas, das nur Skar auffiel, sein Gegenüber aber abrupt zum Verstummen brachte und seinen Widerstand brach. Es ging ganz schnell. Die Augen des Mannes wurden leer, dann trat ein neuer, ergebener Ausdruck auf seine Züge. Skar spürte, wie der Geist des Matrosen vor der suggestiven Macht des Sumpfmannes zurückzuckte und sein Wille erlosch.
Und für einen winzigen Moment war alles, was er für den Sumpfmann empfand, Furcht. Eine Furcht, die beinahe so stark war wie die vor dem Dronte und Helth.
»Ihr werdet mit uns kommen«, sagte Yar-gan noch einmal, »und wenn ich euch alle einzeln -« Er stockte, starrte den Mann für die Dauer eines Atemzuges verwirrt an und sah dann mit einem Ruck auf. »Gowenna!« stieß er hervor. »Wo ist Gowenna?«
Auch Skar blickte auf. Er hatte sie nicht gesehen, seit sie zurückgekommen waren, aber das besagte nichts. Die Männer bildeten einen dichten, dreifach gestaffelten Ring um ihn und den Sumpfmann. »Wo ist Gowenna?« fragte Yar-gan noch einmal. Er packte den Matrosen, riß ihn mit einer rohen Bewegung zu sich heran und schüttelte ihn. »Verdammt, wo ist sie?«
»Das... das weiß ich nicht, Herr«, keuchte der Freisegler. »Sie hat-«
Aber Yar-gan hörte schon gar nicht mehr zu. Er ließ den Mann los, fuhr herum und trat erregt einen Schritt auf Skar zu. »Das ist ein Trick, Skar!« keuchte er. »Dieser Kerl ist nicht Herr seines Willens.« Er sprach nicht weiter, aber Skar wußte auch so, was er meinte. Die Männer wichen zurück, als Yar-gan ihren Sprecher packte, der Kreis, den sie um ihn und Skar gebildet hatten, löste sich auf. Der Saal hinter ihnen war leer.
»Diese verdammte Hexe!« zischte Yar-gan. »Sie hat uns hereingelegt, Skar - während wir draußen gegen Helth gekämpft haben, ist sie geflohen. Und diese Narren haben ihr dabei geholfen, ohne es überhaupt zu merken!«
Er wollte herumfahren und aus dem Haus stürmen, aber Skar hielt ihn zurück. »Das ist sinnlos«, sagte er. »Wir finden sie dort draußen niemals.«