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Vorsichtig öffnete er die Augen einen Spaltbreit und sah nichts als vollkommene Dunkelheit. Er erinnerte sich nicht, das Fenster geschlossen zu haben, aber jetzt lagen die Läden vor; das bißchen graues Sternenlicht, das durch die Ritzen sickerte, spendete nicht mehr Helligkeit als ein Muster aus gemalten waagerechten Streifen.

Und trotzdem verriet es ihm, daß er sich nicht getäuscht hatte. Ein Teil des Musters war unterbrochen, vielleicht ein Drittel des grauen Gitters ausgelöscht von einer finsteren formlosen Masse. Sie bewegte sich, ganz sacht nur, aber sichtbar. Er war nicht allein. Er überlegte, ohne die geringste Nervosität oder Hast, aber sehr schnell. Der Eindringling stand irgendwo in nicht zu schätzender Entfernung zwischen ihm und dem Fenster, vielleicht fünf Schritte entfernt, vielleicht auch nur einen halben; vielleicht waffenlos, vielleicht auch mit einem gespannten Bogen in der Hand, dessen Pfeil auf seine Brust zielte.

Skar erwog die Möglichkeit, daß es sich bei dem unbekannten Eindringling um keinen Feind handelte, nicht einmal eine halbe Sekunde lang. Wer immer hereingekommen war, hatte sich eingeschlichen, um ihn nicht zu wecken, und hatte das Fenster geschlossen, damit kein Licht nach draußen drang und ihn verriet; vielleicht auch, um nicht gesehen zu werden, falls Skar erwachte. Er lauschte, hörte sehr leise, schnelle Atemzüge und sog vorsichtig die Luft ein. Der Geruch verriet nichts; er konnte nicht sagen, ob es ein Mensch oder ein Quorrl war, der da vor ihm stand.

Dann bewegte sich der Schatten, und obwohl Skar mit fast übermenschlicher Schnelligkeit reagierte, entging er dem Tod diesmal nur um Haaresbreite. Etwas schrammte an seiner Schläfe entlang und grub sich mit entsetzlicher Wucht in das Kissen, auf dem gerade noch sein Kopf gelegen hatte. Skar warf sich herum, fiel halbwegs vom Bett und hechtete nach vorne und gleichzeitig zur Seite, um mit einer Rolle auf die Füße zu kommen.

Er war nicht schnell genug. Ein Hieb traf ihn mitten in der Bewegung zwischen den Schulterblättern. Aus seinem Sprung wurde ein haltloses Stolpern. Er schrie auf, prallte schmerzhaft mit der Hüfte gegen die Tischkante und glitt aus.

Der Sturz rettete ihm zum zweiten Mal das Leben. Die zollstarke Tischplatte zersplitterte unter einem fürchterlichen Hieb, und irgendwo dicht neben ihm klirrte Metall auf den Steinboden. Skar trat blindlings zu und traf, aber es gelang ihm nicht, seinen Gegner aus der Balance zu bringen. Immerhin hörte er, wie der Mann schmerzhaft keuchte und einen Schritt zurücktaumelte - und diesmal reichte die gewonnene Zeit Skar, auf die Füße zu kommen und nach seinem Schwert zu greifen.

Es zu ziehen, nicht mehr.

Sein Gegner war noch immer unsichtbar, aber Skar spürte, wie etwas auf ihn zustürzte. Ein Faustschlag traf seine Schulter und ließ ihn gegen die Wand taumeln, und eine zweite, erstaunlich starke Hand umklammerte sein Handgelenk und preßte es gegen die Mauer. Skar bäumte sich auf, bekam eine Hand frei und schlug mit aller Wucht zu. Aber er sah seinen Gegner nicht, und so traf der Handkantenschlag nicht dessen Hals, sondern prallte harmlos von einer metallgepanzerten Schulter ab, und das Blut, das plötzlich über Skars Hand lief, war sein eigenes.

Mit aller Gewalt stemmte er sich gegen den unsichtbaren Schatten, der ihn erbarmungslos gegen die Wand preßte, sammelte noch einmal alle Kraft - und ließ sich jählings zu Boden sinken.

Der Trick funktionierte. Der Ansturm seines Gegners ging für einen Moment ins Leere, und Skar nutzte den Sekundenbruchteil, sich vollends loszureißen und unter den Beinen seines Widersachers hindurchzurollen. Diesmal beging er nicht den Fehler aufzuspringen, sondern blieb reglos und mit angehaltenem Atem liegen. Er schloß die Augen, um sich ganz auf die Geräusche zu konzentrieren, die der andere machte.

Und begriff, daß er abermals einen Fehler begangen hatte. Er selbst war so gut wie blind, aber der andere schien über die Sehkraft einer Katze zu verfügen. Eine Hand packte seine Schulter und riß ihn herum, dann fühlte er sich in die Höhe gezerrt und mit unmenschlicher Kraft quer durch den Raum geschleudert.

Skar versuchte den Anprall mit den Armen abzufangen, aber er war nicht schnell genug. Die Wand traf ihn wie eine steinerne Faust und ließ ihn bewußtlos zusammenbrechen. Der letzte Gedanke, der ihm durch den Kopf schoß, war der, wie lächerlich es doch war, nach allem auf diese Weise...

... sterben zu sollen.

Sterben?

Skar öffnete die Augen. Er war nicht tot. In seinem Kopf hämmerte ein quälender Schmerz, und die rechte Seite seines Gesichtes klebte vor halb geronnenem Blut, aber er war ganz eindeutig nicht tot, sondern hatte die zweite Hälfte dieses Gedankens gedacht, nachdem er erwacht war. Nach einer geraumen Weile erwacht war, wie ihm ein Blick zum Fenster bewies. Durch die geschlossenen Läden drang jetzt das helle, unnatürlich klare Licht des frühen Morgens, und aus der Schwärze im Zimmer war ein mattes Grau geworden.

Skar stöhnte. Der Laut hallte wie ein Schrei in seinem Kopf wider und ließ den Schmerz in seiner Schläfe zu zehnfacher Heftigkeit aufflammen. Keuchend hob er die Hand, preßte sie gegen seinen blutenden Schädel und wartete, bis das Hämmern darin wenigstens so weit abgeflaut war, daß er sich fähig fühlte, wenigstens einen halbwegs klaren Gedanken zu denken, wenn schon nicht, sich zu bewegen. Er lebte. Aus irgendeinem Grund hatte der Attentäter darauf verzichtet, ihn vollends umzubringen, obwohl er wehrlos gewesen war. Vielleicht hatte er ihn auch für tot gehalten - was Skar nicht weiter erstaunt hätte, bei all dem Blut, das sein Gesicht besudelte.

Vorsichtig zog er die Hand zurück, hob den Kopf und setzte sich vollends auf, als der erwartete Schmerz zwar nicht ausblieb, aber doch wesentlich milder war, als er befürchtet hatte. Trotzdem blieb er mehrere Minuten lang fast bewegungslos sitzen. In seinem Kopf drehte sich alles. Ihm war übel und heiß und kalt zugleich, und als er versuchte, sich in die Höhe zu stemmen, wurde ihm schwindelig. Skar war nicht sicher, daß er sich nicht den Schädel gebrochen hatte - weh genug dazu tat er weiß Gott - aber er hatte sich eine gehörige Gehirnerschütterung eingehandelt.

Mühsam hievte er sich in die Höhe, taumelte zum Fenster und stieß die Läden auf. Grellweißes Sonnenlicht flutete in den Raum und stach wie mit winzigen glühenden Nadeln in seine Augen, aber die frische Luft vertrieb auch fast sofort das Schwindelgefühl aus seinem Kopf. Schmerzen und Übelkeit blieben, aber auch sie ebbten allmählich ab.

Skar blieb lange schwer auf den Fenstersims gestützt stehen und atmete die eiskalte Morgenluft mit tiefen, gezwungen ruhigen Zügen ein und aus. Die Burg und die dahinterliegenden Berge verschwammen immer wieder vor seinen Augen, und in seinem Mund war Blutgeschmack. Als er die Hand hob, um wieder nach der Wunde an der Schläfe zu tasten, fuhr er schmerzhaft zusammen.

Verdammt, ich werde langsam alt! dachte er, wütend auf den unbekannten Angreifer, aber auch auf sich selbst. Vor zehn Jahren wäre mir das nicht passiert. Er wußte nicht einmal, ob das stimmte, aber er konnte sich nicht erinnern, jemals so schnell und gründlich verprügelt worden zu sein wie in dieser Nacht. Sein Gegner mußte entweder über übermenschliche Kräfte verfügt haben, oder eine zumindest ebensogute Ausbildung hinter sich gebracht haben wie er.

Nun - von beidem gab es in der Burg mehr als genug Auswahl, dachte er bitter. Wenn der Mann nicht einen dummen Fehler gemacht und eine deutliche Spur hinterlassen hatte, dann bestand wohl kaum eine berechtigte Aussicht, ihn zu identifizieren. Langsam drehte er sich vom Fenster weg und betrachtete zum ersten Mal bewußt das Durcheinander in seiner Kammer. Der Raum war auch vorher alles andere als ordentlich gewesen; Pendanterie hatte niemals zu Skars Fehlern gehört - aber jetzt glich er einem Schlachtfeld. Was von der spärlichen Einrichtung nicht während des gespenstischen Kampfes gegen den Schatten zerschlagen oder umgeworfen worden war, das hatte jemand hinterher aufs allergründlichste zerstört. Die große hölzerne Truhe, in der er seine wenigen Habseligkeiten aufbewahrt hatte, war umgeworfen und leer, seine Satteltaschen, der Mantel, sein Waffengurt und sogar seine Stiefel verschwunden - seine Geldkatze mit der Handvoll Münzen selbstverständlich auch -, und der Eindringling hatte sich sogar die Mühe gemacht, seine Matratze aufzuschneiden und die Strohfüllung herauszureißen. Aber irgendwie - trotz allem - überzeugte der Anblick Skar nicht. Nicht im allermindesten. Alles sah ganz genau nach einem Einbruch aus - aber verdammt, dies war keine Dorfschänke, in der man mit so etwas rechnen konnte, und er kein unbedarfter Reisender, dem man eins über den Schädel zog, um ihm seine Barschaft abzunehmen. Sicher - sie waren in der Gesellschaft eines halben Tausends dahergelaufener Tagediebe und Abenteurer; aber wer von ihnen würde wohl so schwachsinnig sein, ausgerechnet einen Mann ausrauben zu wollen, der als unbesiegbar galt?