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»Spar dir die Mühe, Satai«, ließ sich Titch plötzlich vernehmen, ohne sich umzudrehen. »Du kannst dich nicht an einen Quorrl anschleichen. Das kann niemand.«

Ganz langsam drehte er den Kopf, sah Skar fast mitleidig an und fixierte dann das Schwert in seiner Hand. Er lächelte. »Du willst mich töten.« Er machte eine auffordernde Bewegung mit der Hand. »Tu es.«

Skar zögerte. »Du... du wußtest, daß -«

»- du nicht tot warst?« Titch nickte. »Jetzt so gut wie vergangene Nacht, Satai. Wenn ich dich hätte töten wollen, dann wärst du jetzt tot.«

Er sprach sehr leise, und ohne jede übertriebene Dramatik, aber vielleicht war es gerade diese fast gelassene Art, die Skar vollends verunsicherte. Einen Moment lang starrte er fast betroffen auf die Waffe in seiner Hand hinunter, dann steckte er sie mit einer schuldbewußten, übertrieben hastigen Bewegung in den Gürtel und ging weiter auf den Quorrl zu. Titch sah ihm entgegen. Wieder streifte sein Blick das Tschekal, dessen rubingeschmückter Griff aus Skars Gürtel ragte.

»Warum?« fragte Skar leise. Er hatte plötzlich gar keine Angst mehr.

Titch lachte wieder, aber diesmal klang es nicht nur wie ein Schrei, es war einer. »Das weißt du nicht?« wunderte er sich. »Du, der Mann, der dem Daij-Djan Befehle geben kann, weißt es nicht?«

Sekundenlang stand Skar einfach da und blickte den Quorrl an, dann nickte er, schüttelte fast in der gleichen Bewegung den Kopf und setzte sich neben Titch. Er hatte immer noch keine Angst; eher im Gegenteil. In dem gewaltigen Quorrl war plötzlich eine Ruhe, die auch auf Skar ausstrahlte. In Titch brodelte kein Zorn mehr. Skar spürte, daß der Quorrl aufgegeben hatte. Irgendwie war er schon tot; innerlich.

»Ich glaube schon«, antwortete er nach einer Weile. »Aber ich hätte es gerne von dir gehört.« Er deutete über die Schulter zurück auf die Leichen der drei Quorrl. »Warum hast du es getan. Weil sie ihn gesehen haben?«

Titch nickte, schüttelte gleich darauf schwerfällig den Kopf und machte eine Handbewegung, die das ganze Plateau einschloß. »Weil sie alles gesehen haben«, erklärte er. »Sie hätten es den anderen gesagt. Sie hätten es niemals sehen dürfen. Niemand hätte es sehen dürfen. Nicht einmal ich.«

Vielleicht gerade du nicht, mein Freund, dachte Skar. Ohne ein weiteres Wort stand er auf, ging zu der Stelle zurück, an der Titchs Männer die schwarze Chitin-Rüstung der Errish niedergelegt hatten, und hob das Kopfteil auf. Selbst jetzt kostete es ihn Überwindung, den schwarzschimmernden Helm zu berühren. Seine Form glich dem eines Ameisenschädels, aber er wirkte auch gleichzeitig unsagbar fremd, unsagbar wild.

»Es ist deswegen, nicht?« fragte er.

Quorrl sah den Helm nicht an. Er nickte.

»Es ist... keine Rüstung«, vermutete Skar. »Ich meine... es wurde nicht gemacht?«

»Doch«, erwiderte Titch. »Es ist eine Rüstung. Aber es gibt diese Wesen. Irgendwo. Im Norden. Hinter den Grenzen der Welt, im Land der Toten.«

Aus dem Mund jedes anderen Wesens und in jeder anderen Situation hätten diese Worte einfach lächerlich geklungen. Jetzt ließen sie Skar schaudern, und vielleicht gerade deshalb, weil es ein Quorrl war, der sie aussprach, ein Wesen von vierhundert Pfund Körpergewicht und mit Kräften, die schlichtweg unvorstellbar waren. Aber noch vor wenigen Stunden hätte sich Skar ja auch nicht vorstellen können, daß ein Wesen wie dieses überhaupt in der Lage war, so etwas wie Angst zu empfinden. Beinahe hastig legte er den Helm aus der Hand, zögerte einen Moment und stieß ihn dann über den Rand des Felsens hinweg in die Tiefe. Er schlug mit einem sonderbar hellen, gläsernen Laut auf den Felsen auf und zerbrach.

»Ist das der Grund, weshalb du die Männer getötet hast, die den Angriff auf die Drachen führten?«

Titch nickte. Er schwieg. Sein Blick ging ins Leere.

»Sie waren nicht krank.«

»Nein. Ich habe sie vergiftet.«

»Und die, welche das Gift nicht genommen haben, hingerichtet. Nicht, weil sie feige waren. Weil sie wußten.«.

»Ja«, bestätigte Titch. »Sie hatten geschworen zu schweigen, aber ich mußte sicher gehen. Wenn ... meine Brüder erfahren, wer unser wirklicher Feind ist, werden sie die Waffen niederlegen, Skar. Das Heer hätte sich aufgelöst, binnen eines Tages.« Seine Worte erschütterten Skar, umso mehr, als er erst nach einigen Augenblicken begriff, was sie wirklich bedeuteten. »Du hast deine Brüder geopfert, damit wir unseren Krieg führen können«, gab er seiner Vermutung Ausdruck.

»Ihr könnt ihn nicht gewinnen, ohne uns«, behauptete Titch anstelle einer direkten Antwort. »Und es ist meine Aufgabe, euch dabei zu helfen.«

»Und der Überfall auf mich?«

Titch blickte ihn voller Trauer an, aber auch ein wenig um Vergebung bittend, griff unter seinen Gürtel - und zog die kleine Giftflasche hervor, die Skar das letzte Mal in Bradburns Kammer gesehen hatte. Sie war wieder vollständig. Der kristallene Pfropfen verschloß sie.

»Du weißt nicht, was es ist.«

»Gift«, vermutete Skar. »Und eine Waffe gegen das Netz.« Titch lächelte fast mitleidig. Dann hob er einen kleinen, scharfkantigen Stein auf und ritzte sich damit den Handrücken. Ein einzelner Blutstropfen lief wie eine rubinrote Träne über seine glitzernden Schuppen. »Er schneidet«, sagte er. »Und in der richtigen Hand tötet er auch. Ist er deshalb eine Waffe?« Er warf den Stein fort und verbarg das Fläschchen wieder unter seinem Gürtel. Seine Bewegungen waren sehr sorgfältig.

»Es ist das Wasser des Lebens, Satai«, erklärte er, sehr ernst. »Wasser aus dem Goldenen Brunnen. Du würdest nie verstehen, wie wertvoll es für unser Volk ist.«

Skar versuchte es auch gar nicht. Er sah den Quorrl nur fragend an, und wie er erwartet hatte, fuhr Titch nach einer kurzen Pause fort, und fast mehr an sich selbst als an ihn gewandt: »Mein Volk würde hundert Mal vierzigtausend Krieger aussenden, um dieses Wasser zurückzubekommen, Skar. Der Goldene Brunnen ist das Wertvollste, was wir besitzen. Unser größtes Heiligtum.«

»Wertvoller als das Leben deiner Männer?«

»Du verstehst nicht«, sagte Titch. »Es ist Leben. Ohne dieses Wasser würde unser Volk sterben, wie eine Pflanze, der man die Sonne stiehlt.« Er schwieg eine geraume Weile, dann deutete er auf die tote Errish. »Ich weiß nicht, wie es ihr gelungen ist, es zu stehlen. Aber du hattest recht mit deiner Vermutung: Sie kommt nicht aus Elay. Dieser Vogel muß die ganze Strecke vom Goldenen Tempel bis hierher geflogen sein.«

»Um uns das Wasser zu bringen«, vervollständigte Skar. »Titch, begreifst du denn nicht, was sie getan hat? Dieses Wasser tötet das Netz. Es ist eine Waffe gegen dieses fürchterliche Ungeheuer.«

»Es tötet alles Leben«, antwortete Titch geheimnisvoll. »Denn nur der Tod gebiert Leben.«

»Aber sie hätte Elay damit befreien können!« fuhr Skar fort. »Versteh doch! Diese Frau hat... hat ihr eigenes Volk geopfert, um uns zu retten!«

»Vielleicht«, gab Titch zu. »Vielleicht aber auch nicht. Du weißt nicht, was sie wirklich gewollt hat. Niemand weiß es. Niemand kann sie jetzt noch fragen. Und es spielt keine Rolle. Das Wasser des Lebens muß zurück an den Ort, an den es gehört. Das ist alles, was zählt.«

»Auch, wenn wir dadurch den Krieg verlieren?« fragte Skar. »Auch dann«, bestätigte Titch ungerührt. »Welchen Sinn hat es, die Welt zu opfern, um sie zu retten?«