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Schon gestern hatte es ihn nicht verwundert. Gewundert hatte er sich aber, als er abends auf sein Schiff zurückkehren durfte.

Andererseits - fliehen konnte er kaum. Ständig befand sich eine Wache von acht Soldaten unter dem Kommando eines Lieutenants an Bord der ALBANY.

Und wenn der Kapitän fliehen wollte, dann höchstens in die überfüllten Straßen der Stadt. Er hatte kaum noch genug Männer, um die Bark auf See zu bringen. Die verlockende Nähe der kalifornischen Goldfelder hatte mehr als zwei Drittel seiner Mannschaft von Bord geholt.

Als ein herausgeputzter Offizier, ein junger Lieutenant, an Bord des Seglers kam, trat Hansen ihm schon entgegen und fragte: »Verhör oder Verhaftung?«

»Erst einmal Verhör«, erwiderte der Yankee-Offizier in der blauglänzenden Uniform sachlich kühl. »Alles andere wird danach entschieden.«

»Alles andere?« echote der alte Seebär. »Was meinen Sie damit?«

»Ich weiß nichts Genaues. Besprechen Sie das mit Commodore Lewis.«

Commodore Morgan H. Lewis von der US-Navy war der Mann, der Piet Hansen schon am gestrigen Tag eingehend vernommen hatte. Ein schlanker, fast schmächtig wirkender Offizier, dessen Diensteifer trotz der Tatsache, daß er hoch in den Fünfzigern stand, nicht nachgelassen hatte und der ständig auf der Schwelle zur chronischen Nervosität stand.

So auch an diesem Morgen, als Piet Hansen sein geräumiges, aber etwas düsteres Büro in der Marinekommandantur betrat. Der grauhaarige Offizier zündete sich gerade eine Zigarre an, so ungeschickt, daß er sich die Finger verbrannte und fast noch seinen graubraunen buschigen Backenbart angekokelt hätte. Mit einem Seemannsfluch schleuderte er das fast gänzlich abgebrannte Zündholz in einen gläsernen Aschenbecher, der die grobe Form eines Ruderbootes hatte.

Diese äußere Ungeschicktheit täuschte, wie Hansen vom Vortag nur zu gut in Erinnerung hatte. Im Verhör hatte sich Lewis als scharfsinnig und gut informiert erwiesen. Hansen hatte sich zwar längst entschlossen, alles zuzugeben, aber er hätte auch nichts leugnen können.

Er hatte alles gestanden, die ganze Geschichte mit dem Schmuggel der Kanonen, die er auf der ALBANY von Hamburg an die mexikanische Küste transportieren sollte, von wo aus sie über Land zu den konföderierten Truppen in Texas gebracht werden sollten.

Der Commodore bot Hansen und einem jüngeren Offizier, einem Captain Driscoll, Zigarren aus einer mit feinen Schnitzereien verzierten Elfenbeinschatulle an. Driscoll griff zu, aber Hansen lehnte ab. Er rauchte gern und oft, aber jetzt war ihm nicht danach zumute.

Zwar wußte der Kapitän der ALBANY nicht genau, was dieses zweite Verhör zu bedeuten hatte, aber ihm war klar, daß er an der Schwelle des Todes stand. Auch wenn er Deutscher war, konnten die Nordstaatler ihn zum Tode verurteilen. Nach dem Gesetz war er wohl so etwas wie ein Saboteur oder Agent der Konföderierten.

Dabei waren den Yankees die wahren Südstaaten-Agenten nicht in die Hände gefallen. Mit Unbehagen dachte Hansen an die beiden Südstaatler, Vivian Marquand und Captain Alec McCord, die mit ihrem mexikanischen Komplizen Don Emiliano Maria Hidalgo de Tardonza und mit dem verbrecherischen Geschäftsmann Arnold Schelp nächtens mit einem Ruderboot von der ALBANY geflohen waren.

Wo mochten sie jetzt stecken?

Hatte das Meer sie verschluckt?

Hatten sie die Küste von Niederkalifornien erreicht?

Waren sie von einem Schiff aufgenommen worden?

Commodore Lewis riß Hansen aus den Gedanken, als er ein Stück Papier hochhielt und mit seiner leicht näselnden Offiziersstimme fragte: »Wissen Sie, was das ist, Kapitän Hansen?«

»Keine Ahnung, Sir. Aber Sie werden es mir sicher gleich sagen.«

Lewis' dünne Lippen wurden noch dünner, was wohl eine Art Lächeln oder Grinsen darstellen sollte.

»Sie haben es erfaßt, Kapitän. Sie sind ein kluger Mann, aber nicht klug genug. Denn sonst hätten Sie sich niemals mit den Rebellen eingelassen.«

Er streckte die schmale, ein wenig damenhaft wirkende Hand mit dem beschriebenen Papier über den Schreibtisch und fuhr fort: »Das hier, Kapitän Hansen, ist meine Empfehlung an die Militärstaatsanwaltschaft, Anklage gegen Sie zu erheben. Ersparen Sie mir das Aufzählen der einzelnen Delikte; wir haben das gestern bereits ausführlich erörtert. Nur soviel, daß ich hinsichtlich zweier Umstände keinerlei Zweifel hege: Erstens wird die Staatsanwaltschaft meiner Empfehlung folgen, und zweitens wird für Sie, wie immer Sie sich verteidigen mögen, am Ende das Todesurteil stehen!«

Es war seltsam, fand Hansen. Hätte ihm bei dieser Mitteilung nicht ein eisiger Schauer über den Rücken laufen müssen? Doch er nahm es relativ gefaßt hin, vielleicht deshalb, weil er mit so etwas schon gerechnet hatte. Er war mehr verwundert als erschrocken. Verwundert über die Art und Weise, wie ihm Commodore Lewis seine Entscheidung mitteilte. Erst die formelle Vorladung mit Eskorte, dann die angebotene Zigarre!

»Sie müssen über viel Zeit verfügen, Commodore«, sagte der deutsche Seemann.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Statt mich einfach arrestieren zu lassen, holen Sie mich in Ihr Büro, um mir das Todesurteil zu verkünden.«

»Es ist nicht das Todesurteil.«

»Aber doch so gut wie, wenn ich Ihre Worte richtig verstanden habe.«

Lewis nickte.

»Ja, Kapitän, sobald ich meinen Namen unter dieses Stück Papier gesetzt habe. Die Tinte, die aus meiner Feder fließt, wird sich dann in das Blei verwandeln, das Sie tötet.«

»Nett formuliert. Warum haben Sie es noch nicht unterschrieben?«

»Weil ich erst Ihre Entscheidung abwarten wollte, Kapitän.«

»Meine Entscheidung?« fragte Hansen verständnislos.

Wieder nickte der hohe Marineoffizier.

»Ganz recht, Sie halten Ihr Leben in Ihrer eigenen Hand. Sie können entweder vor dem Erschießungskommando sterben oder mit uns zusammenarbeiten.«

»Ich verstehe Sie nicht, Sir«, meinte der Deutsche kopfschüttelnd. »In welcher Form soll ich mit Ihnen zusammenarbeiten?«

»Sie sollen für uns das tun, was Sie schon für die Konföderierten tun wollten. Die Kanonen an Bord Ihres Schiffes sind von der Union beschlagnahmt. Bringen Sie die Fracht für uns ums Kap Horn in den Osten. Dort werden Waffen immer benötigt.«

»Wenn ich das tue, lassen Sie die Anklage fallen?«

Ein drittes Nicken des Commodore leitete die Antwort ein.

»Wie ich schon sagte, Sie sind ein kluger Mann, Kapitän.«

»Ich würde es gern tun, sofort«, sagte Hansen, und sein eben noch aufblühendes Gesicht verfinsterte sich wieder. »Aber es geht nicht. Ich habe nicht genug Leute an Bord. Die meisten sind gestern zu den Goldfeldern abgehauen.«

»Kein Problem«, kam es zwischen den dünnen Lippen hervor. »Wir beschaffen Ihnen die nötige Mannschaft. Geben Sie Captain Driscoll eine Liste, welche Leute Sie benötigen. Wann können Sie auslaufen?«

»Das kommt drauf an, wann ich die Männer habe.«

»Hm, sagen wir, morgen vormittag.«

»Sobald die Mannschaft vollzählig ist, mache ich die ALBANY klar zum Auslaufen. Wohin soll es eigentlich gehen?«

»Das genaue Ziel werden Sie unterwegs von Captain Driscoll erfahren. Er begleitet Sie als, äh, Beobachter.«

Jetzt grinste Piet Hansen. Es fiel ihm leichter, da der eben noch sichere Tod in weite Ferne gerückt schien.

»Ist nicht vielleicht Aufpasser der passendere Ausdruck, Commodore?«

»Beides paßt.«

»Ja«, brummte Hansen. »Ich dachte mir schon, daß Ihr Vertrauen nicht so weit geht, mich ohne Eskorte lossegeln zu lassen.«

»Natürlich nicht«, erwiderte Lewis fast entrüstet. »Für wie leichtsinnig halten Sie mich?«

Die Frage war nur rhetorisch. Ohne auf eine Antwort zu warten, fügte der Commodore an: »Warten Sie doch im Vorzimmer auf Captain Driscoll, Mr. Hansen. Ich habe noch etwas mit ihm zu besprechen.«