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Sobald Piet Hansen das Büro verlassen hatte und die schwere Nußbaumholztür ins Schloß gefallen war, ließ Lewis das Papier achtlos fallen. Es rutschte vom Schreibtisch und segelte zu Boden, fast vor Driscolls Füße.

Der Captain bückte sich, hob es auf und reichte es seinem Vorgesetzten.

»Bitte, Sir, das Dokument.«

»Dokument?« Wieder lag das dünnen Lächeln auf Lewis' Lippen, als er das Papier entgegennahm. »Es ist nur die Einkaufsliste, die ich gestern abend mit meiner Frau erarbeitet habe, wissen Sie, für mein Geburtstagsessen am nächsten Wochenende. Ich kaufe die Zutaten aus alter Tradition persönlich ein.«

Der Commodore faltete das Papier zusammen und steckte es in eine Tasche seines blauen Uniformrocks.

»Sie scheinen sich sehr sicher gewesen zu sein, daß Hansen Ihr Angebot annimmt, Commodore«, sagte ein verblüffter Captain Driscoll.

»Er hatte keine Wahl. Außerdem glaube ich ihm. Er ist kein Rebellen-Agent aus Leidenschaft oder auch nur aus Überzeugung. Hansen ist durch unglückliche Umstände in diese Sache reingerutscht und jetzt mehr als froh, wenn er wieder herauskommt. Geben wir ihm diese Gelegenheit!«

»Ich weiß nicht recht, Sir«, erwiderte der breitschultrige junge Captain mit dem breiten, stets etwas verbissen wirkenden Gesicht zögernd. »Ich würde diesem Deutschen nicht so bedingungslos vertrauen wie Sie, mit Verlaub.«

»Das tue ich doch gar nicht, Captain. Sonst würde ich Sie nicht mit auf die Reise schicken.«

»Warum übernehme ich nicht gleich das Kommando über die ALBANY, Sir? Sie könnten das Schiff so problemlos konfiszieren wie die Ladung.«

»Wir wollen den Lockvogel nicht zu offensichtlich machen. Es reicht, wenn Sie bei der Rekrutierung der Mannschaft in der ganzen Stadt verbreiten lassen, daß es sich um einen Waffentransport der Union handelt. Halten Sie sich derweil im Hintergrund. Im Notfall können Sie immer noch das Kommando auf dem Segler übernehmen.«

»Jawohl, Sir.« Driscolls Züge verhärteten sich. »Ich hoffe, diesmal schnappen wir diese verfluchten Rebellen!«

»Haß ist ein unfehlbarer Antrieb, aber nicht alles, Captain!« sagte Commodore Lewis mit düsterem Gesicht.

»Wie meinen Sie das, Sir?«

»Ich weiß, daß Ihr Bruder im Kampf gefallen ist. Er war auf der CARONDOLET, nicht wahr?«

»Ja«, antwortete Driscoll leise. »Mein Bruder Stephen war dort Zweiter Offizier. Außerdem diente noch mein Schwager als Fähnrich auf der CARONDOLET. Auch er ist gefallen.«

Levander Driscolls Gedanken wanderten zurück zu dem Tag im Juli 1863, als die Trauerfeier für seinen kleinen Bruder Stephen und für seinen Schwager abgehalten wurde. Er sah wieder die versteinerten Gesichter seiner Familie vor sich, besonders das seiner Mutter, deren Lieblingskind Stephen immer gewesen war.

Die Mutter folgte ihrem Sohn keinen Monat später ins Grab. Für Levander Driscoll stand fest, daß sie an gebrochenem Herzen starb.

Er diente zu dieser Zeit noch als Kapitän in der Handelsmarine. Aber nach der Beerdigung seiner Mutter hielt ihn nichts mehr zurück. Er bewarb sich um einen Posten bei der Kriegsmarine, wurde akzeptiert - und ausgerechnet nach San Francisco versetzt, wo der Krieg manchmal so weit entfernt schien wie die Feldzüge von Julius Caesar.

In letzter Zeit hatte sich das geändert. Levander Driscoll hoffte, bald Gelegenheit für seine Rache zu haben!

»Vergessen Sie über Ihre persönliche Rache nicht Ihre Pflichten gegenüber dem Land, dessen Uniform Sie tragen, Levander!« ermahnte ihn der Commodore; es war selten, daß er seine Untergebenen mit dem Vornamen ansprach. »Es reicht schon, wenn unser ziviler Verbündeter von seiner ganz persönlichen Rache getrieben wird.«

Driscoll nickte. Er wußte, wen der Commodore meinte.

Wenig später trat Captain Driscoll ins Vorzimmer, wo Piet Hansen ihm eine eilends erstellte Liste der benötigten Männer und des aufzufrischenden Proviants überreichte.

Der Captain überflog sie, nickte dann und sagte: »Geht in Ordnung, Mr. Hansen. Die Eskorte wird Sie jetzt zu Ihrem Schiff zurückbringen, damit Sie alles für das Auslaufen der ALBANY vorbereiten können.«

»Die Eskorte?« Hansen legte den Kopf schief und blickte den Soldaten mit gerunzelter Stirn an. »Vertrauen Sie mir nicht, Captain Driscoll?«

»Nein!«

Vergebens hoffte Piet Hansen, bei seiner Rückkehr zur ALBANY eine Nachricht von seinen beiden jungen Freunden, Jacob Adler und Irene Sommer, vorzufinden. Wenn er morgen tatsächlich schon San Francisco verließ, würde er sie wohl aus den Augen verlieren.

Die Aussicht betrübte ihn. Sie waren für den alten Seebären eine Art Ersatz für die Familie geworden, die er niemals gehabt hatte. Schon damals, als sie mit der ALBANY von Hamburg nach New York gefahren waren.

Er konnte nicht wissen, in welche Schwierigkeiten die deutschen Auswanderer an diesem Morgen geraten waren.

Und auch nicht, unter welch dramatischen Umständen er Jacob Adler wiedersehen sollte.

*

Am Portsmouth Square, im obersten Stockwerk des Vergnügungspalastes Golden Crown, etwa zur selben Zeit.

»Wo steckt Jacob Adler?« Die Stimme war nur ein Flüstern. Aber dieses Flüstern war bedrohlicher, erschreckender, als es jeder laute Gefühlsausbruch hätte sein können.

Henry Black, der offizielle Inhaber des Golden Crown, schwitzte aus jeder Pore. Das teure französische Rüschenhemd und die graublau gestreifte Seidenhose klebten an seinem korpulenten Körper wie eine zweite Haut. Er verschränkte die

Hände hinter seinem breiten Rücken, damit der Mann hinter dem Schreibtisch das Zittern nicht bemerkte.

Natürlich war das eine Illusion. Der Hai von Frisco bemerkte alles. Er sah und hörte, was in der ganzen großen Stadt vor sich ging, obwohl er das oberste Stockwerk seines Hauptquartiers, die >Krone< des Golden Crown, so gut wie niemals verließ, seitdem er sich hier eingenistet hatte.

Henry Black erinnerte sich noch gut an den Abend, als er den Hai zum ersten Mal gesehen hatte. Schon damals war er in Begleitung des stummen Schwarzen namens Buster gewesen, der auch jetzt mit unbeweglicher Miene, aber um so beweglicheren Augen neben der Tür stand. Ohne die Hilfe des hünenhaften Negers wäre der Mann, der jetzt halb Frisco beherrschte, ziemlich verloren gewesen - jedenfalls körperlich.

Ja, der gefürchtete Hai von Frisco war ein Krüppel! Äußerlich ein gutaussehender Mann, aber einer, der auf Krücken ging, und auch das nur mühsam.

Damals hatte Black den Fehler begangen, aus der körperlichen Behinderung des Fremden darauf zu schließen, daß er auch sonst nicht viel hermachte. Als der Fremde den Inhaber des Golden Crown aufforderte, mit ihm Monte zu spielen, hätte Black fast abgelehnt. Aber irgend etwas hatte im Blick des Krüppels gelegen, das den in jeder Hinsicht gewichtigen Geschäftsmann an den Spieltisch zwang. Wie eine hypnotische Kraft.

Anfangs waren die Einsätze gering und die Gewinne und Verluste ausgeglichen.

Die Einsätze schaukelten sich hoch, und der Krüppel, der seinen Namen nicht nannte, gewann immer öfter.

Mehrmals ließ Black neue Karten bringen.

Der Krüppel gewann.

Vergebens suchte Black nach einer Betrugsmöglichkeit.

Der Krüppel gewann.

Schließlich wollte Black trotz des Widerspruchs seines Gegenübers aufhören, da zischte dieser leise: »Spielen Sie weiter, Herr Schwarz!«

Es hatte genauso eindringlich und gefährlich geklungen wie die Frage nach diesem Jacob Adler eben.

Erst nach einigen Sekunden wurde Black bewußt, daß der andere auf deutsch zu ihm gesprochen hatte - in seiner Muttersprache. Und wie es sich anhörte, war es auch die Muttersprache des Fremden.

Viel mehr traf den Geschäftsmann aber, daß der Krüppel seinen wahren Namen kannte: Heinrich Schwarz, vormals Hufschmied in einem kleinen Ort nahe Ingolstadt.