Выбрать главу

Woher wußte der Fremde das?

Und was wußte er noch über Henry Black alias Heinrich Schwarz?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, spielte Black weiter. Und er verlor weiter.

Aber er konnte nicht aufhören. Der Krüppel machte es ihm mit seinen Andeutungen bewußt. Woher auch immer, er wußte so ziemlich alles über die dunklen Geschäfte, die Black zu seinem Reichtum und zum Golden Crown verholfen hatte.

Am Ende dieses Abends gehörte das große Haus im Zentrum von San Francisco dem Fremden, so hoch waren Blacks Schulden.

So kam es, daß Black fortan nur noch nominell der Inhaber des Golden Crown, in Wahrheit aber die Marionette des Mannes war, der als Hai von Frisco über die Grenzen der Stadt hinaus gefürchtet wurde. Der mit jedem Tag mächtiger und reicher wurde, weil mit jedem Tag mehr Männer für ihn arbeiteten, freiwillig oder - wie Black - gezwungenermaßen.

»Ich stelle die Frage zum letzten Mal«, sagte der Hai mit leiser, drohender Bestimmtheit. »Wo ist Jacob Adler? Warum ist nur die Frau mit dem Kind hier, Henry?«

»Es. es ist die Schuld von Louis Bremer«, stammelte der korpulente Mann. Auf seinem stets geröteten Cholerikergesicht tanzten hektische weiße Flecken. »Ich habe ihm gesagt, er soll alle drei herschaffen, den Mann, die Frau und das Kind.«

Der Hai legte die Ellbogen auf die mit Papieren übersäte Schreibtischplatte, preßte die Fingerspitzen beider Hände zusammen und stützte sein eingekerbtes Kinn darauf.

»Und warum ist der Mann nicht hier, Henry?«

»Bremer hat gehört, daß der Kapitän dieses Seelenverkäufers noch dringend Männer benötigt. Er hat Adler für zweihundert Dollar an ihn verkauft. Bremer glaubte, das wäre Ihnen egal, Sir. Hauptsache, der Kerl verschwindet aus Frisco.«

Blacks Wurstfinger nestelten, unbeholfen vor Panik, ein paar Geldscheine aus der Jackentasche.

»Hier ist das Geld, Chef. Ich habe Bremer alles abgenommen, auch seine Provision.«

Der Mann hinter dem Schreibtisch beachtete das Geld gar nicht, sondern fragte: »Was für ein Seelenverkäufer?«

»Ein alter Walfänger, die LUCIFER.«

Der Kopf des Hais ruckte vor und pendelte erregt hin und her. Der Mann wirkte wie eine Schlange, die sich darauf vorbereitet, ihr Opfer anzufallen.

»Wann will der Kahn Frisco verlassen?« schnappte die furchteinflößende Mischung aus Mensch, Hai und Schlange.

Black biß so fest auf seine Unterlippe, daß Blutstropfen austraten, bevor er antwortete: »Ich glaube, die LUCIFER verläßt den Hafen zur Stunde.«

Der Hai sagte nichts, jedenfalls nicht mit der Stimme. Eine winzige Handbewegung und die Sprache seiner Augen genügte.

Plötzlich bewegte sich der statuenhafte Neger mit der Schnelligkeit und Geschmeidigkeit einer Katze.

Und seine Schläge waren wie die Prankenhiebe eines Raubtiers. Obwohl es nur Ohrfeigen waren, die Blacks aufgeschwemmte Wangen trafen.

Henry Black hatte sich immer für einen standfesten Mann gehalten. Aber jetzt verlor er das Gleichgewicht und krachte mit lautem Poltern zu Boden. Sein Kopf krachte so schwer gegen einen Bücherschrank, daß die ledergebundenen Folianten wackelten.

»Ich habe gesagt, ich will Jacob Adler hier haben!« zischte der Hai. »Von einem Schiff war nie die Rede.«

»Es ist Bremers Schuld«, versuchte sich Black zu verteidigen. »Er hat.«

»Es ist Ihre Schuld, Henry«, zerschnitt die scharfe Stimme des Hais seine Rede. »Sie haben Bremer für die Mission ausgewählt, also müssen Sie auch dafür einstehen! Sehen Sie zu, daß Sie die LUCIFER noch erreichen, bevor sie Frisco verläßt. Wie immer Sie das auch anstellen, bringen Sie mir Jacob Adler!«

Black nickte nur schwach. Seine Stimme versagte ihm den Dienst.

Seine Beine waren weich wie Pudding. Er schaffte es einfach nicht aufzustehen.

Der Mann hinter dem Schreibtisch nickte kaum merklich, und der Neger half dem Korpulenten.

Black war heilfroh, als er die Krone, das Reich des Hais, verlassen konnte. Erst auf der Treppe spürte er die Schmerzen: das Brennen auf seinen Wangen und das Hämmern in seinem Kopf.

*

Das Hämmern in seinem Kopf weckte Jacob Adler. Der Schmerz riß den jungen Deutschen aus der Bewußtlosigkeit.

Der große, breitschultrige Mann, der rücklings auf hartem Holzboden lag, bedauerte es. Der gnädige Schlaf hatte sich wie ein Polster lindernder Kräuter über die Schmerzen gelegt.

Ihm war schlecht.

Und er wußte nicht, wo er war.

Er riß die Augen auf, aber um ihn herum war nichts als Dunkelheit.

Er zwang seinen brummenden Kopf zum Denken. Allmählich kehrte die Erinnerung zurück.

Erst hatte er angenommen, auf der ALBANY zu sein. Er und Irene hatten sich in der Stadt Fogerty an der Küste von Oregon bei Piet Hansen eingeschifft, um nach San Francisco zu gelangen.

Zwei Umstände veranlaßten ihn, an die ALBANY zu denken. Das sanfte Schlingern des Bodens und das leise Geräusch irgendwo zwischen Rauschen und Plätschern. Es fühlte und hörte sich an wie ein Schiffsrumpf, der die Wellen des Ozeans durchschnitt.

Aber dann erinnerte er sich daran, daß Irene und er die ALBANY im Hafen von San Francisco verlassen hatten. Sie hofften, dort eine Spur von Carl Dilger zu finden.

Dilger war der Vater von Irenes Sohn Jamie. Der Mann, den Irene heiraten wollte. Den sie auf den kalifornischen Goldfeldern vermuteten.

Carl Dilger!

Als Jacob an diesen Namen dachte, stand alles wieder vor ihm.

Er hatte Plakate drucken lassen mit der Hilfe eines Journalisten, der sich Mark Twain nannte. Plakate, die jeden, der etwas über Dilger wußten, aufforderten, sich bei Jacob zu melden.

Und tatsächlich war früh am Morgen ein kleiner, rattengesichtiger Mann namens Louis Bremer in dem Boarding-House erschienen, in dem Jacob und Irene untergekommen waren. Er wollte sie zu Dilger bringen, der sich aus mysteriösen Gründen in San Francisco versteckte.

Angeblich!

In Wahrheit war es eine Falle gewesen. Ein Schlägertrupp überfiel die Auswanderer. Jacob streckte zwei der brutalen Kerle nieder, dann traf es ihn selbst.

Es war ein harter Stiefeltritt gewesen. Er erwischte Jacobs Kopf an der Stelle, wo er kurz zuvor durch Vivian Marquands Derringer-Geschoß verwundet worden war. Die frühere Wunde war noch nicht ganz verheilt. Deshalb der überstarke Schmerz und die überwältigende Ohnmacht.

Was war dann geschehen?

Er wollte, mußte es herausfinden!

Doch Jacobs Versuch aufzustehen, scheiterte kläglich. Jetzt erst bemerkte er, daß er an Händen und Füßen gefesselt war. So stark, daß ihm die Stricke durch die Kleidung ins Fleisch schnitten.

Er war hilflos.

Ein hilfloser Gefangener.

Noch stärker betrübte ihn der Gedanke, daß er nichts über das Schicksal von Irene und dem kleinen Jamie wußte.

Er sah die junge Mutter noch am Ende der Sackgasse stehen, mit dem Rücken gegen eine Wand gelehnt, ohne Aussicht auf Rettung oder Flucht, das Kind eng gegen ihren vermeintlich schützenden Körper gepreßt.

Und jetzt?

Wo steckten Irene Sommer und ihr Sohn?

Was war mit ihnen geschehen?

*

Zur selben Zeit wie Jacob waren auch Irene und Jamie in völliger Dunkelheit gefangen. Nur mit dem Unterschied, daß sie nicht gebunden waren. Sonst schien ihre Lage ebenso düster und hoffnungslos wie die des jungen Zimmermanns.

Irene hatte gesehen, wie Jacob zusammenbrach. Wie der Stiefel ihn am Kopf traf und in den Schmutz der engen, noch in morgendlicher Dämmerung liegenden Sackgasse schleuderte.

Dann kamen die Schläger über sie, und sie befürchtete schon das Schlimmste. Doch Louis Bremer warnte Irene nur, sich nicht zu wehren, wenn es nicht zum Schaden ihres kleinen Jungen sein sollte.

Nur deshalb ließ sie es zu, daß man sie von Jacob trennte. Einer der kräftigen Kerle verband ihre Augen mit einem speckigen, nach Schweiß riechenden Tuch.