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Was hatte der Mann, der von jenseits ihrer schwarzen Binde mit Irene sprach, mit ihm angestellt?

Sie öffnete die zitternden Lippen und erkundigte sich nach Jacob Adler.

»Eigentlich wollte ich Sie beide hier begrüßen. Leider ist etwas dazwischengekommen. Aber ich hoffe, Sie bald mit Herrn Adler vereinen zu können.« Er seufzte tief. »Wirklich, ich würde mich sehr darüber freuen!«

Die Art, wie er das sagte, überzeugte Irene, daß die Freude sehr einseitig ausfallen würde.

Trotzdem war sie über die Mitteilung erleichtert. Sie hatte schon das Schlimmste befürchtet. Nun wußte sie, daß Jacob lebte.

So sehr sie sich jetzt auch seine Nähe wünschte, viel mehr als die von Carl Dilger, so innig hoffte sie, ihr unheimlicher >Gastgeber< - Entführer war wohl der passendere Ausdruck -, möge ihn nicht in seine Hände bekommen.

Sie war erleichtert, als dieser sagte: »Ich habe noch zu arbeiten. Buster, bring Miß Sommer in ihr Quartier zurück!«

Jetzt hatte er englisch gesprochen.

Buster mußte der Name des riesigen Negers sein. Irene spürte seinen festen Griff wieder an ihrem Arm.

Gleichwohl fühlte sie sich erleichtert, als sie den Raum verließ.

Allein die körperliche Anwesenheit des Mannes, für den Buster arbeitete, hatte ihr Furcht bereitet. Seine feindselige, haßerfüllte Ausstrahlung hatte sich wie eine dicke Decke über sie gelegt und ihr fast die Luft zum Atmen genommen.

Da war es in ihrem >Quartier< schon angenehmer, auch wenn es nur der enge, ungemütliche, dunkle Raum von vorhin war.

Buster nahm ihr die Binde ab und verschloß die Tür. Irene konnte nicht sagen, ob er sich entfernte oder auf dem Gang verharrte. Seine katzenhafte Lautlosigkeit machte es unmöglich.

Jedenfalls waren sie allein in dem Raum.

Allein mit Jamie und ihren trüben, sorgenerfüllten Gedanken, die um Jacob kreisten.

Und allein mit der Dunkelheit.

*

Einen Tag später.

Jacob Adler war nicht allein in der Dunkelheit.

Immer mehr Stimmen meldeten sich. Stöhnend, schreiend oder zögerlich fragend. Andere antworteten, und Namen wurden ausgetauscht. Ungefähr zwölf Menschen mußten sich hier befinden, und alle waren Gefangene.

Aber neben den menschlichen gab es noch andere Wesen, die gerade in der Dunkelheit aktiv wurden.

Jacob selbst bemerkte es, als er erst ein Kribbeln an Hals und Kinn und dann ein Kratzen und Stechen an der Unterlippe spürte. Mehr erschrocken als verängstigt wischte er mit seiner Mundpartie an der Schulter entlang.

Dann erst kam er darauf, was es gewesen war: eine Kakerlake auf der Suche nach Speiseresten, die das widerliche Tier, wäre der Mann noch bewußtlos gewesen, vielleicht bis in seinen Mund geführt hätte.

Die Männer riefen ihre Namen in die Dunkelheit und immer wieder Fragen nach ihrem Schicksal.

»Wo sind wir?«

»Wer, zur Hölle, hat mich gefesselt?«

»Was sollen wir hier?«

Da antwortete eine tiefe Stimme ganz dicht bei Jacob: »Wir warten auf unsere Einteilung, schätze ich.«

Der Sprecher mußte rechts neben Jacob liegen. Der Deutsche drehte sich um und fragte: »Was denn für eine Einteilung?«

»Zum Dienst. Wenn mich nicht alles täuscht, liegen wir im Bauch eines Walfängers. Und ich habe noch niemals von 'nem verdammten Walfänger gehört, der Leute befördert, die nicht an Bord arbeiten müssen.«

Walfänger! schoß es durch Jacobs Kopf. Also liege ich doch auf einem Schiff!

»Woher willste das wissen?« fragte eine heisere Stimme. »Wer biste überhaupt?«

»Ich heiße Elihu Brown und bin die meiste Zeit meines Lebens als Harpunier auf Walfängern gefahren«, brummte der Mann mit der tiefen Stimme. »Vorgestern abend habe ich die Auszahlung des letzten Gewinnanteils in Whiskey und Rum umgesetzt. Ich erinnere mich noch, daß ich in einer Spelunke in Sidney Town mit einer süßen Braut gebechert habe, als da ein Steuermann von der LUCIFER reinkam und mich unbedingt für seinen Seelenverkäufer anheuern wollte. Ich wollte das nicht. Sieht aber ganz so aus, als sei es dem Hund trotzdem gelungen. Muß mir was in den Rum geschüttet haben, der Bastard!«

»Sieht ganz so aus«, kicherte der Heisere. »Ich heiß übrigens Jock Moulder und hatte auch eine Begegnung mit ein paar Jungs von der LUCIFER. Mit mir ham'se nich' so viele Umstände gemacht. Als ich deren ihr freundliches Angebot abgelehnt hab, ham'se mir einfach 'nen Knüppel übern Kopp gezogen, die zehnmal verwünschten Satansbrüder!«

»Yeah, ausgerechnet die LUCIFER!« knurrte Elihu Brown unwillig in die Dunkelheit. »Jedes andere Schiff wäre mir lieber.«

»Warum?« fragte Jacob.

»Wer bist du denn?« wollte der baßstimmige Harpunier wissen.

Der Deutsche nannte seinen Namen.

»Bist wohl kein Seemann, wie?« fragte Brown.

»Nein, Zimmermann.«

»Na, als dämliche Landratte kannste natürlich nicht wissen, daß die LUCIFER nicht den besten Ruf weghat. Was, Leute?«

Er erntete zustimmendes Gelächter. Es schien eine Art Galgenhumor zu sein.

»Schon der Name dieses Kahns ist nicht gerade angetan, einem den Pott sympathisch zu machen«, fuhr der Harpunier fort. »Aber auch sonst erzählt man sich wenig Gutes über ihn. Deshalb muß Raven sich seine Leute shanghaien.«

»Wer ist Raven?« hakte Jacob nach.

»John Raven ist der verdammte Käpten dieses verdammten Seelenverkäufers, Junge. Man sagt, in seinem Kopf ist es nicht mehr ganz in Ordnung, seit letztes Jahr die CORA SUE in die Luft geflogen ist. War das Schiff seines Bruders, und Raven war Erster Steuermann. Ein Wal griff die CORA SUE an, dabei entzündete sich das ausgekochte Öl - und wumm!«

»Wumm!« krähte Jock Moulder bestätigend und brach in heiseres Gelächter aus.

»Und dann?« erkundigte sich Jacob, der offenbar von allen Männern hier am wenigsten über die LUCIFER und ihren Kapitän wußte.

»Die Versicherung hat gezahlt«, erklärte Brown. »Da Ravens Bruder und dessen Frau mit der CORA SUE untergegangen sind, bekam John Raven die ganze Summe. Dafür kaufte er sich dieses Schiff. Früher hörte es auf den friedlichen Namen SEAGULL. Weiß der Teufel, warum Raven es in LUCIFER umbenannte.«

»Raven wird es wissen«, meinte Jacob.

»Sicher«, bestätigte der Harpunier. »Schließlich halten ihn nicht wenige für vom Teufel besessen. Ist vielleicht die Erklärung für die seltsame Umtaufe, was?«

Wieder erfüllte zustimmendes Gekicher aus mehreren unsichtbaren Kehlen den dunklen Raum.

»Nun ja«, machte Brown. »Jedenfalls weiß keiner so recht, was Raven jetzt umtreibt. Er kreuzt ständig vor der Küste von Kalifornien, bringt aber nie einen einzigen Wal mit nach Hause.« Die tiefe Stimme schwang sich zu einem schrillen Lachen auf. »Wo kein Gewinn ist, da ist auch keine Gewinnbeteiligung. Kein Wunder, daß niemand drauf versessen ist, unter Raven zu segeln.«

»Aber wozu kreuzt er vor der Küste, wenn er keine Wale fängt?« stellte Jacob die angesichts dieser seltsamen Geschichte natürliche Frage.

»Das fragen sich noch mehr Leute als du, Landratte. Einige sagen, er sucht den Wal, der die CORA SUE versenkt hat.

Wenn das stimmt, muß Raven wirklich meschugge sein. Der Wal kann sonstwo stecken oder längst von einem anderen Pott gefangen und zu Öl verkocht worden sein.«

»Still!« zischte Jock Moulder. »Da kommt wer!«

Angestrengt lauschten die gefesselten Männer. Viele von ihnen hielten den Atem an.

Schritte näherten sich und verhielten, als sie ziemlich laut waren. Sie hörten Stimmen, die etwas Unverständliches sagten. Das Kratzen eines herumgedrehten Schlüssels und das Klirren von Ketten folgten. Quietschend schwang die Tür auf, und Laternenschein stach in die Dunkelheit.

Wegen des blendenden Lichts wandte Jacob, trotz seiner großen Neugier, den Kopf ab. So sah er als erstes den Harpunier Elihu Brown.