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Es war ein beeindruckender Anblick. Brown war groß, nur einen halben Kopf kleiner als Jacob. Dafür aber um einiges massiger. Sein Kopf wirkte wie ein Urwald. Dichtes rotbraunes Haar stand nach allen Seiten vom Kopf ab und vermischte sich übergangslos mit einem gleichfarbenen Vollbart.

Brown, Jacob und die anderen Gefangenen lagen in einem großen Frachtraum zwischen zahlreichen Kisten und Fässern. Es waren rauhe, teilweise recht abgerissene Burschen. Jacob eingerechnet, waren es dreizehn Gefesselte.

Keine beruhigende Zahl.

»Willkommen an Bord der LUCIFER, Männer«, sagte mit unüberhörbarem Spott der Mann, der in den zum Kerker umfunktionierten Frachtraum getreten war. »Ich heiße Cyrus Stanford und bin der Erste Steuermann.«

Er war mittelgroß und schlank. Unter einer ehemals schwarzen, jetzt speckig glänzenden Seemannsmütze ringelten sich farblich an die Mütze angepaßte Haarsträhnen hervor. Der schwarze Schnurrbart, der an den Mundwinkeln tief nach unten gezogen war, verlieh dem hageren Gesicht einen dämonischen Zug.

Er hatte die schwere, dunkle Jacke zurückgeschlagen, so daß man die Waffen sehen konnte, die in seinem Gürtel steckten: eine Fischbeinpeitsche, ein langgriffiges Haifischmesser und ein mattbraunes Lederholster, aus dem der mit Fischbein verschalte Griff eines Revolvers ragte.

Hinter ihm standen zwei weitere Männer im Eingang, von denen einer eine große Öllaterne hielt. Jeder der beiden war mit einem beeindruckenden Holzknüppel bewaffnet. Ihre Gesichter blickten ebenso düster wie das des Ersten Steuermanns, dessen Leibwache sie offenbar bildeten.

»Ich rate euch, keinen Ärger zu machen«, fuhr Cyrus Stanford in einem drohenden Ton fort. »Käpten Raven und ich, wir halten nicht viel von Meuterern. Machen kurzen Prozeß mit solchen Kerlen. Also benehmt euch anständig!«

Er drehte den Kopf über die Schulter und schnarrte: »Frenchy, schneid ihnen die Fußfesseln durch!«

Der Mann ohne Laterne trat vor, klappte ein rostiges Messer auf und befolgte den Befehl.

»Aufstehen!« kommandierte Stanford, als sämtliche Gefangene ihre Füße endlich wieder frei bewegen konnten. »Hinauf an Bord mit euch. Der Käpten will euch sehen.«

Schwankend erhoben sich die Männer. Es war nicht ganz einfach, mit gefesselten Händen aufzustehen. Außerdem hatten die engen Fußfesseln ihnen das Blut abgeschnürt. Die Füße schmerzten stark und versuchten immer wieder, den Dienst zu versagen.

»Ein bißchen schneller, ihr lahmen Flundern!« krähte der Steuermann. »Käpten Raven wartet nicht gern.«

Einer nach dem anderen gingen die entführten Männer an ihm vorbei, um den Frachtraum zu verlassen.

Elihu Brown, der vor Jacob ging, blieb stehen, als er mit Stanford auf einer Höhe war. So abrupt, daß der junge Zimmermann gegen den Harpunier prallte.

Aber der bärtige Seemann achtete gar nicht auf den Schicksalsgefährten. Sein Kopf ruckte zur Seite und starrte unverwandt den Ersten Steuermann der LUCIFER an. Seine Augen wirkten wie glühende Kohlen in dem undurchdringlichen Bartgestrüpp.

»Geh weiter, Mann!« rief der kugelbäuchige Frenchy von hinten.

Elihu Brown beachtete ihn gar nicht. Seine Welt schien nur noch aus Cyrus Stanford und ihm selbst zu bestehen.

»Ich erkenne dich«, murmelte der Harpunier mit Lippen, deren Bewegung nur durch das Zittern der sie überwuchernden Barthaare verraten wurde. »Du bist der Kerl, der mich für die LUCIFER anheuern wollte. Der Lump, der mir irgendein Teufelszeug in meinen Rum geschüttet hat!«

Der Schiffsoffizier grinste unter seinem dünnen Bart und deutete eine Verbeugung an, Höflichkeit vortäuschend, aber in Wahrheit verächtlichen Spott ausdrückend.

»Willkommen auf der LUCIFER, Master Brown. Gute Harpuniere können wir hier gebrauchen. An Land wäre es dir nicht lange gut gegangen. Wäre ich nicht gewesen, hätte dich irgend 'ne dreckige Landratte übertölpelt. Kerle wie du, die mehr Muskeln als Hirn haben, sind für die See geschaffen.«

»Du dreckiger Bastard eines Klabautermanns und einer Nixe, dir werde ich meine Muskeln schon zeigen!«

Noch ehe Elihu Brown ganz ausgesprochen hatte, senkte er seinen Kopf und rannte wie ein wütender Stier auf den Steuermann los. So überraschend und schnell, daß Stanford seine Hand zwar noch zum Gürtel bewegen konnte, aber nicht mehr dazu kam, eine seiner Waffen zu ziehen. Browns haariger Schädel krachte gegen seine Brust und riß ihn von den Beinen.

Als der Angegriffene stürzte, rutschte seine speckige Mütze vom bereits recht kahlen Kopf. Das Haar wuchs nur noch an den Rändern üppig.

Der Harpunier stolperte über sein Opfer und verlor, da er den Schwung seiner Körpermasse wegen der gefesselten Hände nicht ausgleichen konnte, das Gleichgewicht. Mit lautem Poltern schlug er neben Stanford auf die Planken.

Das unerwartete Schauspiel erfüllte die Männer mit Begeisterung. Vergessen waren die Entführung, ihre mißliche Lage und die bevorstehende Begegnung mit Kapitän Raven. Sie dachten jetzt nur an den Zweikampf, dessen Ausgang ungewiß schien.

Elihu Brown hatte auf seiner Seite die größere Körperkraft und den gerechten Zorn. Aber die wichtigsten natürlichen Waffen eines Mannes, die Hände, konnte er nicht bewegen.

Cyrus Stanford hatte die Hände frei. Und er war bewaffnet.

Die Sache war so spannend, daß die sich um den Kampfplatz scharenden Männer eilige Wetten abschlossen. Sie setzten Geld, das sie vielleicht gar nicht hatten, Medaillons, Schuhe und einer sogar sein Glasauge.

Der Steuermann kam vor dem Harpunier auf die Füße. Die eingeengte Bewegungsfreiheit seiner gefesselten Hände behinderte den Bärtigen.

»Das sollst du büßen!« knurrte Stanford.

Seine Rechte umspannte den Fischbeingriff des Revolvers und zog ein ölglänzendes Navy-Modell von Remington Beals aus dem Holster. Noch in der Bewegung des Ziehens richtete er die Waffe auf den am Boden liegenden Gegner und spannte den Hahn mit dem Daumen.

Das Aufleuchten in Browns Augen zeigte, daß er die Gefahr erkannte. Und er reagierte mit derselben Schnelligkeit, die er schon bei seinem Angriff auf den Steuermann bewiesen hatte.

Seine von den Fesseln befreiten Beine schlossen sich um die Unterschenkel des Schiffsoffiziers. So fest, daß Stanford gequält aufstöhnte, als er zu Boden stürzte.

In das Stöhnen mischte sich das Krachen des Revolvers. Wegen des Sturzes hatte Stanford die Waffe verrissen. Die Kugel pfiff zwischen den erschrockenen Schaulustigen hindurch und klatschte, einen kleinen Splitterregen auslösend, in einen dicken Stützpfeiler.

»Ohne Waffe bist du Lump wohl wehrlos, wie?« grinste Brown verächtlich. »Kommst nicht mal gegen einen Mann an, dessen Hände gefesselt sind!«

Stanford, der ganz in seiner Nähe am Boden lag, schüttelte die Benommenheit von sich ab und wollte erneut auf den Harpunier anlegen.

Da warf sich Brown auch schon mit seinem ganzen Gewicht auf den Offizier. Es sah aus, als wolle der Harpunier den anderen einfach unter sich zerquetschen.

Browns linke Schulter drückte hart auf das Gelenk von Stanfords rechter Hand. Mit einem Aufschrei ließ der Steuermann den Navy-Revolver los.

»Schon besser!« quetschte der Bärtige zwischen vor Anstrengung zusammengepreßten Zähnen hervor. »Wollen mal sehen, wie du ohne Kanone klarkommst, Mr. Steuermann!«

Stanford, der rücklings unter dem Gegner lag, atmete schwer. Das Gewicht des Harpuniers preßte die Luft zum Atmen aus seinen Lungen. Die Augen in dem hageren Gesicht des Steuermanns traten bereits aus ihren tiefen Höhlen hervor.

Der Offizier bekam die Linke frei und verkrallte sie in Browns üppigem Haar. Mit aller Gewalt zog Stanford an der rotbraunen Mähne.

Zoll um Zoll zerrte er den Kopf des Harpurniers zur Seite.

Auch Stanford mußte ein starker Mann sein.

Oder in ihm war die Flamme der Verzweiflung entbrannt und setzte die ungeahnten Kräfte frei, über die Menschen nur in Augenblicken höchster Not verfügen.