Diese Begegnung mit Cheops und dem Gold der Unsterblichkeit durchlebte der König jedes Jahr mit tieferer Eindringlichkeit. Über Ägypten zu herrschen, war eine zwar begeisternde, doch ebenso erdrückende Aufgabe; die Riten spendeten ihm dafür die unerläßliche Lebenskraft.
Ramses klomm langsam die Große Galerie empor und drang in die Sarkophagkammer; noch wußte er nicht, daß der Quell der Kraft des Landes sich in eine entseelte Hölle verwandelt hatte.
Im Hafen herrschte Festtagsstimmung; Blumen schmückten die Schiffe, das Bier floß in Strömen, die Seeleute tanzten mit recht zugänglichen Mädchen, fahrende Musikanten erfreuten die zahlreiche Menge. Nach einem kurzen Gang mit seinem Hund wollte sich Paser aus diesem Treiben entfernen, als eine bekannte Stimme ihn ansprach. »Richter Paser! Ihr geht schon?« Das plumpe und kantige, von einem zarten, weißen Bart gezierte Gesicht von Denes tauchte aus der Masse der Feiernden auf. Der Warenbeförderer stieß seine Nachbarn zur Seite und trat zu dem Gerichtsbeamten.
»Welch schöner Tag! Ein jeder zerstreut sich, die Sorgen sind vergessen.«
»Ich schätze den Lärm nicht.«
»Ihr seid zu ernst für Euer Alter.«
»Es ist schwierig, sein Wesen zu ändern.«
»Das Leben wird dies übernehmen.«
»Ihr wirkt recht fröhlich.«
»Die Geschäfte gehen gut, meine Waren eilen ohne Verspätung durchs Land, meine Bediensteten gehorchen mir auf Wort und Wink; worüber sollte ich mich beklagen?«
»Ihr tragt mir nichts nach, so scheint es.«
»Ihr habt nur Eure Pflicht getan, was sollte ich Euch vorhalten? Und außerdem ist da noch diese gute Neuigkeit.«
»Welche?«
»Aus Anlaß dieses Festes sind mehrere minderschwere Verurteilungen durch den Palast aufgehoben worden. Ein alter mehr oder weniger vergessener Memphiter Brauch. Ich habe das Glück gehabt, mich unter den hocherfreuten Begünstigten zu finden.« Paser erblaßte. Er bezähmte seinen Zorn nur schlecht. »Wie habt Ihr das angestellt?«
»Ich sagte es Euch bereits: das Fest, und nichts anderes als das Fest! In Eurer Anklageschrift habt Ihr versäumt hervorzuheben, daß mein Fall von dieser Gnade ausgeschlossen bleiben sollte. Tragt es mit Fassung: Ihr habt gewonnen, ich habe nicht verloren.« Zungenfertig versuchte Denes, ihn an seiner Heiterkeit teilnehmen zu lassen.
»Ich bin nicht Euer Feind, Richter Paser. Bei den Geschäften nimmt man bisweilen schlechte Gewohnheiten an. Meine Gemahlin und ich sind der Ansicht, daß Ihr recht daran getan habt, uns eine heilsame Lehre zu erteilen; wir werden sie berücksichtigen.«
»Seid Ihr aufrichtig?«
»Ich bin es. Verzeiht mir, aber man erwartet mich.« Paser war ungeduldig und eitel gewesen; er hatte es allzu eilig gehabt, Recht zu sprechen, ohne nach dessen Buchstaben zu handeln. Zerknirscht sah der Richter seine Schritte jäh von einem Aufzug der Streitkräfte aufgehalten, den Heerführer Ascher mit großer Genugtuung leitete.
»Ich habe Euch herbestellt, Richter Paser, um Euch Neues von meiner Untersuchung mitzuteilen.« Monthmose war sich seiner sehr sicher. »Die Mumie ist die eines Jungkriegers, der bei einer Plänkelei in Asien fiel; von einem Pfeil getroffen, war der Soldat auf der Stelle tot gewesen. Wegen einer fast völligen Namensgleichheit sind seine Unterlagen mit denen des Oberaufsehers des Sphinx verwechselt worden. Die verantwortlichen Schreiber erklären sich für nicht schuldig; in Wahrheit hat niemand Euch in die Irre zu führen gesucht. Wir haben uns eine Verschwörung ausgemalt, wo es lediglich ein Versehen der Verwaltung gab. Noch mißtrauisch? Ihr tut unrecht. Ich habe jeden Punkt nachgeprüft.«
»Ich ziehe Euer Wort nicht in Zweifel.«
»Das freut mich.«
»Gleichwohl bleibt der Oberaufseher unauffindbar.«
»Befremdlich, das gestehe ich Euch zu; wenn er sich jedoch versteckte, um sich der Aufsicht des Heeres zu entziehen?«
»Zwei ehemals unter seinem Befehl stehende Altgediente sind bei einem Unfall gestorben.« Paser hatte diesen Begriff nachdrücklich betont; Monthmose kratzte sich am Kopf. »Was ist verdächtig daran?«
»Beim Heer müßte es irgendeinen Hinweis dafür geben, und Ihr wärt davon unterrichtet worden.«
»Gewiß nicht. Derartige Vorkommnisse betreffen mich nicht.«
Der Richter versuchte, den Vorsteher der Ordnungskräfte in die Enge zu treiben. Kem zufolge war er imstande, derlei Umtriebe anzuzetteln, um eine umfassende Säuberung in seiner eigenen Verwaltung vorzunehmen, in der manche Beamte seine Vorgehensweisen allmählich zu tadeln begannen. »Bauschen wir die Lage nicht etwas auf? Diese Angelegenheit ist eine Aufeinanderfolge unglücklicher Umstände.«
»Zwei Altgediente und die Frau des ehemaligen Oberaufsehers des Sphinx verstorben, er selbst verschwunden, so liegen die Dinge. Könntet Ihr die Obrigkeiten der Streitkräfte nicht ersuchen, Euch ihren Bericht über diesen … Unfall zukommen zu lassen?« Monthmose starrte auf die Spitze seines Binsenpinsels.
»Dieser Schritt würde als unziemlich angesehen werden. Das Heer mag die Ordnungskräfte nicht sonderlich, und …«
»Ich werde mich selbst darum bemühen.« Die beiden Männer verabschiedeten sich eisig.
»Heerführer Ascher ist gerade mit einem Auftrag in die Fremde aufgebrochen«, deutete der Schreiber des Heeres dem Richter Paser an. »Wann wird er zurückkommen?«
»Dienstgeheimnis.«
»An wen muß ich mich in seiner Abwesenheit wenden, um einen Bericht über den Unfall zu erhalten, der sich kürzlich nahe des Großen Sphinx zugetragen hat?«
»Ich kann Euch zweifellos helfen. Ach, das hätte ich fast vergessen! Heerführer Ascher hat mir ein Schriftstück anvertraut, das ich Euch in Kürze zustellen sollte. Da Ihr nun hier seid, übergebe ich es Euch eigenhändig. Ihr braucht es nur im Ausgangsverzeichnis abzuzeichnen.«
Paser löste die Leinenschnur, die den Papyrus zusammengerollt hielt.
Der Bericht schilderte ausführlich die bedauerlichen Umstände, die den Tod des Oberaufsehers des Sphinx von Gizeh und seiner vier Untergebenen in der Folge einer gewöhnlichen Begehung herbeigeführt hatten. Die fünf Altgedienten hätten den Kopf der riesigen Statue erklommen, um sich des guten Zustands des Gesteins zu versichern und mögliche, durch den Sandwind verursachte Beschädigungen zu melden. Einer von ihnen wäre ungeschickt abgerutscht und hätte seine Gefährten unseligerweise im Sturz mitgerissen. Die Altgedienten wären in ihren Geburtsorten, zwei im Delta, zwei im Süden, bestattet worden. Was die sterbliche Hülle des Oberaufsehers anbelangte, so wäre sie wegen der Würde seines Ehrenamtes in einer Nische des Heeres aufgebahrt und würde einer langen und sorgfältigen Balsamierung teilhaftig. Nach seiner Rückkehr aus Asien würde Heerführer Ascher höchstselbst die Begräbnisfeiern leiten.
Paser unterschrieb im Verzeichnis, um zu bestätigen, daß er das Schriftstück tatsächlich erhalten hatte. »Sind noch weitere Dinge in die Wege zu leiten?« fragte der Schreiber. »Nein, das wird nicht nötig sein.«
Paser bedauerte, Sethis Einladung angenommen zu haben. Bevor er sich bei den Streitkräften verpflichtete, wollte sein Freund dieses Ereignis in Memphis’ berühmtestem Haus des Bieres feiern. Der Richter dachte unablässig an Neferet, an dieses Sonnenantlitz, das seine Träume erleuchtete. Inmitten all der Zecher, die der Ort verzückte, fühlte Paser sich verloren und hatte kein Auge für die Nackttänzerinnen, junge Nubierinnen von schlankem Wuchs. Die Kundschaft saß auf weichen Kissen; vor sich Krüge mit Wein und Bier.