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»Wessen klagt man mich an?«

»Ein Gerichtsbeamter, der alles Schlüpfrige zu sehr schätzt, läuft Gefahr, einen verwirrten Geist zu haben.«

»Du warst es, der mich zu diesem Haus des Bieres verleitet hat. Während du herumtändeltest, dachte ich an meine Fälle.«

»Wohl eher an deine Vielgeliebte, oder?« Der Fluß glitzerte. Schon verblaßte das Blut der Morgenröte und überließ dem Gold der ersten Stunde allen Raum.

»Wie viele Male bist du in dieses Gewölbe der verbotenen Freuden gegangen?«

»Du hast getrunken, Sethi.«

»Du bist Sababu nie begegnet?«

»Niemals.«

»Dennoch war sie bereit, jedem, der es hören wollte, anzuvertrauen, daß du zur Schar ihrer besten Kunden gehörtest.«

Paser wurde bleich. Doch er dachte dabei weniger an seinen auf immer getrübten Ruf als Richter denn an die Meinung Neferets. »Man hat sie gedungen.«

»Ganz genau!«

»Wer?«

»Wir haben uns so schön geliebt, daß sie Zuneigung zu mir gewonnen hat. Sie hat mir von dem Ränkespiel berichtet, in das sie verwickelt ist, jedoch nicht von ihrem stillen Auftraggeber. Allerdings ist er leicht zu erkennen, meiner Ansicht nach; das sind die üblichen Vorgehensweisen des Vorstehers der Ordnungskräfte, Monthmose.«

»Ich werde mich verteidigen.«

»Unnötig. Ich habe sie überredet zu schweigen.«

»Machen wir uns nichts vor, Sethi. Bei der ersten Gelegenheit wird sie uns hintergehen, dich und mich.«

»Davon bin ich nicht überzeugt. Dieses Mädchen hat sittliches Empfinden.«

»Erlaube mir, daran zu zweifeln.«

»In gewissen Augenblicken lügt eine Frau nicht.«

»Ich will mich trotzdem mit ihr unterhalten.«

Kurz vor Mittag stellte Richter Paser sich an der Tür vom Haus des Bieres in Begleitung von Kem und dem Babuin ein. Entsetzt verbarg sich eine junge Nubierin unter Kissen; eine weniger ängstliche Liebesdienerin wagte es, dem Amtmann entgegenzutreten. »Ich möchte die Eigentümerin sprechen.«

»Ich stehe hier nur in Dienst, und …«

»Wo befindet sich Dame Sababu? Lügt nicht. Eine falsche Aussage wird Euch ins Gefängnis bringen.«

»Wenn ich es Euch gestehe, wird sie mich schlagen.«

»Wenn Ihr schweigt, werde ich Euch wegen Behinderung des Rechtsgangs anklagen.«

»Ich habe nichts Böses getan!«

»Ihr seid noch nicht angeklagt; sagt mir die Wahrheit.«

»Sie ist nach Theben aufgebrochen.«

»Wohin genau?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wann wird sie zurückkehren?«

»Das ist mir nicht bekannt.«

Demnach hatte die Dirne es vorgezogen, zu fliehen und sich zu verbergen.

Von nun an würde der Richter beim geringsten falschen Schritt in Gefahr sein. Man ging im Dunkeln gegen ihn vor. Irgend jemand, wahrscheinlich Monthmose, hatte Sababu bezahlt, um ihn zu beschmutzen; falls sie sich der Drohung fügte, würde sie nicht zögern, ihn zu verunglimpfen. Der Richter verdankte sein vorläufiges Heil allein Sethis Betörungskünsten.

Bisweilen, fand Paser, war die Liederlichkeit nicht ganz und gar verdammenswert.

Nach reiflicher Überlegung hatte der Vorsteher der Ordnungskräfte eine folgenschwere Entscheidung getroffen: nämlich den Wesir Bagi um einen Empfang zu bitten. Fahrig hatte er seine Erklärung mehrere Male vor dem Kupferspiegel wiederholt, um den angemessenen Gesichtsausdruck zu finden. Wie jedermann wußte er um die Unerbittlichkeit des Ersten Pharaonischen Rates von Ägypten. Mit Worten geizend, verabscheute es Bagi, seine Zeit zu verlieren. Sein Amt nötigte ihn, jede Klage, woher sie auch kommen mochte, entgegenzunehmen, sofern sie nur begründet war; aufdringliche Störenfriede, Betrüger und Lügner bereuten ihren Schritt bitterlich. Dem Wesir gegenüber zählte jedes Wort, jede Geste. Monthmose begab sich gegen Ende des Morgens zum Palast. Um sieben Uhr hatte Bagi mit dem König eine Unterredung gehabt; dann hatte er seinen wichtigsten Untergebenen Anweisungen erteilt und Einsicht in die aus den Gauen kommenden Berichte genommen. Anschließend hatte er seine tägliche Anhörung eröffnet, in deren Verlauf die mannigfachen Vorgänge verhandelt worden waren, über die die anderen Gerichte nicht hatten entscheiden können. Vor einem schlichten Mittagsmahl bewilligte der Wesir meist einige Einzelunterredungen, soweit ihre Dringlichkeit dies rechtfertigte. Er empfing den Vorsteher der Ordnungskräfte in einem strengen Arbeitsraum, dessen nüchterner Zierat keinerlei Vorstellung von der Größe seines Amtes erweckte: Stuhl mit Rückenlehne, Aufbewahrungstruhen und Papyruskästchen. Man hätte sich einem schlichten Schreiber gegenüber gewähnt, wäre Bagi selbst nicht mit einem langen Gewand aus dickem Gewebe bekleidet gewesen, das allein die Schultern frei ließ. Seinen Hals zierte eine Kette, an der ein riesiges kupfernes Herz hing, das seine unerschöpfliche Fähigkeit beschwor, Klagen und Beschwerden anzunehmen.

Groß, gebeugt, ein längliches Gesicht, das von einer vorspringenden Nase beherrscht wurde, gelocktes Haar, blaue Augen: Wesir Bagi, ein Mann von sechzig Jahren mit steifem Körper, der sich keinerlei Leibesertüchtigung unterzog und dessen Haut die Sonne fürchtete. Seine feinen und vornehmen Hände verfügten über die Gabe des Zeichnens; in seiner Jugend war er Handwerker gewesen, später dann Lehrer im Schreibsaal und schließlich sachverständiger Landvermesser geworden. In dieser Eigenschaft hatte er eine Genauigkeit ohnegleichen an den Tag gelegt und die Aufmerksamkeit des Palastes auf sich gezogen, so daß er nacheinander zum Obersten Richter des Gaues Memphis, Ältesten der Vorhalle und schließlich zum Wesir ernannt worden war. Etliche Höflinge hatten – vergebens – versucht, ihn bei einem Fehler zu ertappen; gefürchtet und geachtet schrieb Bagi sich in die Reihe der großen Wesire ein, die, seit Imhotep, Ägypten auf dem rechten Wege führten. Wenn man ihm bisweilen auch die Strenge seiner Urteile und deren unnachgiebige Anwendung vorhielt, bestritt doch niemand deren Unanfechtbarkeit.

Bisher hatte Monthmose sich damit begnügt, den Befehlen des Wesirs zu gehorchen und ihm nicht zu mißfallen. Diese Begegnung jetzt bereitete ihm Unbehagen.

Der ermüdete Wesir schien zu schlummern. »Ich höre Euch zu, Monthmose. Faßt Euch kurz.«

»Das ist nicht so einfach …«

»Vereinfacht.«

»Mehrere Altgediente sind bei einem Unfall, nämlich durch einen Sturz vom Großen Sphinx, ums Leben gekommen.«

»Und die behördliche Untersuchung?«

»Die hat das Heer durchgeführt.«

»Ungewöhnlichkeiten?«

»Dem scheint nicht so. Ich habe die amtlichen Schriftstücke nicht eingesehen, jedoch …«

»Jedoch haben Eure Beziehungen Euch ermöglicht, deren Inhalt zu erfahren. Das ist nicht sehr rechtmäßig, Monthmose.«

Der Vorsteher der Ordnungskräfte hatte diesen Angriff befürchtet. »Es sind alte Gewohnheiten.«

»Ihr werdet sie ändern müssen. Wenn es keine Ungewöhnlichkeiten gibt, welches ist dann der Grund Eures Besuchs?«

»Richter Paser.«

»Ein unwürdiger Gerichtsbeamter?« Monthmoses Stimme wurde näselnder. »Diese Anschuldigung möchte ich nicht äußern. Es ist vielmehr sein Betragen, das mir Sorgen macht.«

»Achtet er das Gesetz nicht?«

»Er ist davon überzeugt, daß das Verschwinden des Oberaufsehers, eines Altgedienten von ausgezeichnetem Ansehen, sich unter ungewöhnlichen Umständen zugetragen habe.«