Mit einem Fußtritt entwaffnete er sie und warf sie auf die Erde. Blut floß seinen Arm herunter. »Ganz ruhig, oder ich fessele dich.« Sie schlug wie eine Rasende um sich. Er drehte sie um und betäubte sie mit einem Handkantenschlag in den Nacken. Sein Umgang mit Frauen als junger Held nahm wahrlich eine schlechte Wendung. Dann trug er sie ins Innere des alten Gemäuers mit gestampftem Lehmfußboden. Modrige Wände, armseliger Hausrat, eine mit Ruß überzogene Feuerstelle. Sethi legte seine arme Beute auf einer löchrigen Matte ab und band ihr die Handgelenke und die Fesseln mit einem Strick.
Unversehens übermannte ihn die Müdigkeit. Er setzte sich mit dem Rücken zur Feuerstelle, den Kopf zwischen die Schultern gezogen; er zitterte wahrhaftig bis ins Mark. Die Angst drang ihm aus allen Poren.
Der Dreck widerte ihn an. Hinter dem Haus war ein Brunnen. Er füllte einige Krüge, reinigte seine Verletzung und putzte den einzigen Raum. »Auch du hast eine Wäsche dringend nötig.« Er besprengte die junge Frau, die sogleich aufwachte und schrie. Der Inhalt eines zweiten Krugs erstickte ihre Schreie. Als er ihr das schmutzige Gewand abstreifte, wand sie sich wie eine Schlange. »Ich will dich nicht vergewaltigen, Närrin!«
Verstand sie seine Absichten? Jedenfalls fügte sie sich. Wie sie da so nackt dastand, schien sie den Wasserschauer zu genießen. Als er sie abtrocknete, deutete sie ein Lächeln an. Die Helligkeit ihrer Haare überraschte ihn.
»Du bist hübsch. Hat man dich schon geküßt?« An der Art, wie sie die Lippen öffnete und die Zunge bewegte, sah Sethi, daß er nicht der erste war. »Wenn du mir versprichst, lieb zu sein, binde ich dich los.«
Ihre Augen flehten. Er nahm den Strick ab, der ihre Füße fesselte, streichelte ihre Waden, ihre Schenkel und legte seinen Mund auf die goldenen Locken ihres Geschlechts. Sie spannte sich wie ein Bogen. Mit freien Händen dann umschlang sie ihn.
Sethi hatte zehn Stunden lang einen traumlosen Schlaf geschlummert. Da seine Wunde pochte, war er mit einem Sprung auf den Beinen und trat aus dem Gemäuer.
Sie hatte seine Waffen geraubt und die Zügel des Wagens zerschnitten. Die Pferde waren entflohen. Kein Bogen, kein Dolch, kein Schwert, keine Stiefel, kein Überwurf mehr. Der Streitwagen versank unnütz im Schlamm, unter einem strömenden Regen, der seit dem Morgen fiel. Dem Helden, in den Rang eines von einer Wilden geprellten Trottels befördert, blieb nur noch übrig, zu Fuß gen Norden zu wandern.
Wutentbrannt zertrümmerte er den Wagen mit Steinen, damit er nicht in die Hände des Feindes fiel. Mit einem einfachen Schurz bekleidet, schritt Sethi, wie ein Esel bepackt, unter den unablässigen Regengüssen vorwärts: in einem Beutel altbackenes Brot sowie ein Stück der Deichsel, das eine hieroglyphische Inschrift mit dem Namen des Offiziers trug; Krüge mit frischem Wasser und die löchrige Matte. Er überwand einen Paß, durchquerte einen Pinienwald und stürmte einen steilen Abhang hinunter, der in einem See endete, welchen er an der Böschung umrundete.
Das Gebirge wurde unwirtlich. Nach einer Nacht im Schutz eines Felsens, an dem sich der Wind brach, erklomm er einen rutschigen Pfad und wagte sich in ein dürres Gebiet vor. Seine Lebensmittelvorräte waren rasch erschöpft. Er begann, Durst zu leiden. Als er sich endlich erquicken konnte, indem er einige Schlucke aus einem Pfuhl brackigen Wassers trank, hörte Sethi plötzlich Äste knacken. Mehrere Menschen näherten sich. Er kroch hinter den Stamm einer riesigen Pinie, um sich zu verbergen. Fünf Männer stießen einen Gefangenen mit auf dem Rücken gefesselten Händen vor sich her. Ihr Anführer, von kleinem Wuchs, packte ihn an den Haaren und zwang ihn niederzuknien. Sethi war zu weit entfernt, um zu hören, was er sagte, doch die Schreie des Gemarterten brachen bald die Stille des Gebirges. Einer gegen fünf und dazu noch unbewaffnet … der junge Mann hatte keinerlei Aussicht, den Unglücklichen zu retten. Der Folterer versetzte ihm Schläge, befragte ihn, schlug ihn erneut, befahl schließlich seinen Helfershelfern, ihn zu einer Höhle zu schleifen. Am Ende eines letzten Verhörs schnitt er ihm die Kehle durch.
Nachdem die Mordgesellen sich entfernt hatten, blieb Sethi mehr als eine Stunde reglos hocken. Er dachte an Paser, an dessen Liebe für Gerechtigkeit und äußerste Vollkommenheit, wie hätte er sich angesichts dieser Barbarei verhalten? Ihm war fremd, daß es so nahe an Ägypten eine Welt ohne Gesetz gab, in der ein Menschenleben nicht den geringsten Wert besaß.
Sethi zwang sich, bis zur Höhle hinunterzuklettern. Seine Beine zitterten, die Schreie des Sterbenden hallten noch in seinen Ohren wider. Der Gemarterte hatte seine Seele ausgehaucht. Nach seinem Schurz und seinem Aussehen zu urteilen, war der Mann Ägypter, zweifelsohne ein Mann von Aschers Heer, der in die Gewalt der Aufrührer geraten war. Mit bloßen Händen hob Sethi ihm ein Grab im Innern der Höhle aus.
Voller Entsetzen und restlos erschöpft, setzte er seinen Weg fort und überließ sich dem Schicksal. Dem Feind gegenüber würde er keine Kraft mehr haben, sich zu verteidigen.
Als zwei behelmte Krieger ihn anriefen, sank er auf die feuchte Erde.
Ein Zelt.
Eine Bettstatt, ein Kissen unter dem Kopf, eine Decke. Sethi richtete sich auf. Die Spitze eines Messers nötigte ihn, sich wieder hinzulegen. »Wer bist du?«
Der Mann, der ihn verhörte, war ein ägyptischer Offizier mit einem Gesicht wie gemeißelt. »Sethi, Bogenschütze der Streitwagentruppe.«
»Woher kommst du?« Er berichtete von seinen Großtaten. »Kannst du deine Behauptungen beweisen?«
»In meinem Beutel ist ein Stück des Wagens mit dem Namen meines Anführers.«
»Was ist aus ihm geworden?«
»Die Beduinen haben ihn getötet.«
»Und du, du hast dich davongemacht.«
»Selbstverständlich nicht! Mit meinen Pfeilen habe ich an die fünfzehn getroffen.«
»Wann wurdest du verpflichtet?«
»Zu Beginn des Monats.«
»Kaum fünfzehn Tage, und du sollst bereits ein Meister des Bogens sein!«
»Eine Gabe.«
»Ich glaube nur an Ertüchtigung. Wie wäre es, wenn du nun endlich die Wahrheit sagtest?« Sethi warf die Decke zurück. »Das ist die Wahrheit.«
»Könntest du nicht deinen Anführer beseitigt haben?«
»Ihr redet wirr!«
»Ein verlängerter Aufenthalt in einem Verlies wird dir die Gedanken wieder zurechtrücken.« Sethi stürzte nach draußen. Zwei Soldaten hielten ihn an den Armen fest, ein dritter hieb ihm in den Magen und betäubte ihn mit einem Faustschlag in den Nacken.
»Wir haben recht daran getan, diesen Spitzel gesund zu pflegen. Er wird gar nicht mehr aufhören zu plaudern.«
22. Kapitel
In einem der meistbesuchten Wirtshäuser Thebens zu Tisch sitzend, lenkte Paser die Unterhaltung auf Hattusa, eine der zum Landeswohl angenommenen Gemahlinnen von Ramses dem Großen. Beim Abschluß des Friedens- und Bündnisvertrages mit den Hethitern hatte PHARAO eine der Töchter des asiatischen Herrschers als Unterpfand der Aufrichtigkeit zur Gattin erhalten. An die Spitze des Harems von Theben gesetzt, verlebte sie dort ein Dasein in verschwenderischem Prunk. Hattusa, die Unnahbare, Unsichtbare, war nicht beliebt. Böse Zungen griffen sie an; betrieb sie nicht die Schwarze Kunst, verbündete sie sich nicht mit den Geistern der Nacht, weigerte sie sich denn nicht, bei den Großen Festen zu erscheinen?