Am Heck verbarg eine große Plane an die dreißig tragbare Kornkästen. Paser rief Denes herbei. »Woher stammt dieses Getreide?«
»Aus den Speichern.«
»Wer hat es Euch geliefert?«
»Wendet Euch an den Bootsmann.« Hierzu befragt, zog der Mann nur ein amtliches Schriftstück hervor, das ein unentzifferbares Siegel trug. Weshalb hätte er dem besondere Aufmerksamkeit schenken sollen, entgegnete er, als der Richter sich angesichts solcher Sorglosigkeit wunderte, da derartige Ware doch überaus gewöhnlich war? Je nach den Bedürfnissen dieses oder jenes Gaus verfrachtete Denes das ganze Jahr über Korn. Die Getreidespeicher des Königs ließen keine Hungersnot zu.
»Wer hat dir die Beförderung aufgetragen?« Der Bootsmann wußte es nicht. Der Richter kehrte wieder zu dessen Herrn zurück, der ihn ohne Zögern zum Amtszimmer der Hafenverwaltung führte. »Ich habe nichts zu verbergen«, versicherte Denes aufgeregt. »Gewiß, ich habe danach getrachtet, Bel-ter-an eine Lehre zu erteilen, doch es handelte sich dabei um einen Scherz. Weshalb weckt meine Fracht Eure Neugierde?«
»Darüber darf ich Euch keine Auskunft geben.« Die Schriftenverwahrung war gut geführt. Fügsam sputete sich Denes, die betreffende Tontafel zutage zu fördern.
Der Beförderungsauftrag stammte von Hattusa, der hethitischen Prinzessin, Vorsteherin des Harems von Memphis, Ramses des Großen Gemahlin zum Wohle des Landes.
Dank Heerführer Ascher war wieder Ruhe in die Fürstenreiche Asiens eingekehrt. Einmal mehr hatte er seine vollendete Geländekenntnis unter Beweis gestellt. Inmitten des Sommers, zwei Monate nach seiner Rückkehr, während eine segensreiche Nilschwelle den fruchtbaren Schlamm auf beiden Ufern ausbrachte, wurde zu seinen Ehren ein überwältigendes Fest ausgerichtet, hatte er doch einen beachtlichen Tribut mitgebracht, der aus tausend Pferden, fünfhundert Gefangenen, zweitausend Schafen, achthundert Ziegen, vierhundert Rindern, vierzig feindlichen Streitwagen, Hunderten von Schwertern, Lanzen, Panzerhemden, Schilden und zweihunderttausend Sack Getreide bestand.
Vor dem königlichen Palast waren die besten Sonderverbände, PHARAOS Leibwache und die Ordnungskräfte der Wüste versammelt sowie Vertreter der vier Heerscharen des Amun, des Re, des Ptah und des Seth, welche Streitwagentruppen, Fußvolk und Bogenschützen umfaßten. Nicht ein Offizier blieb dem Aufruf fern. Die gewaltige ägyptische Streitmacht entfaltete ihre ganze Pracht und huldigte ihrem Heerführer mit den meisten Auszeichnungen. Ramses würde ihm fünf goldene Halsketten aushändigen und drei Festtage für das gesamte Land ausrufen. Ascher würde zu einem der bedeutendsten Männer im Reiche, zum rechten Waffenarm des Königs und Bollwerk wider feindliche Einfälle.
Auch Sethi fehlte nicht bei dem Fest. Der Heerführer hatte ihm einen neuen Streitwagen für die prunkvolle Heerschau zuerkannt, ohne ihm, wie den meisten Offizieren, die Kosten für die Deichsel und den Kasten aufzubürden; drei Soldaten würden sich um die zwei Pferde kümmern.
Vor dem Aufmarsch erhielt der Held des zurückliegenden Feldzuges die Belobigungen seines Anführers.
»Dient Eurem Lande weiter so, Sethi; und ich verspreche Euch eine blendende Zukunft.«
»Meine Seele ist gemartert, Heerführer.«
»Ihr erstaunt mich.«
»Solange wir Adafi nicht festgesetzt haben, werde ich nicht mehr schlafen.«
»Daran erkenne ich einen strahlenden und edelmütigen Helden.«
»Ich frage mich immerzu … wie ist er nur durch unser dichtes Netz entwischt?«
»Der Schuft ist gewitzt.«
»Könnte man nicht schwören, daß er unsere Pläne erahnt hat?«
Eine Falte grub sich in Aschers Stirn. »Ihr bringt mich auf einen anderen Gedanken … vielleicht befindet sich ein Spitzel in unseren Reihen.«
»Unwahrscheinlich.«
»So etwas hat sich schon ereignet. Aber seid unbesorgt: Mein Stab und ich selbst werden diese Frage ins Auge fassen. Seid gewiß, daß dieser niederträchtige Aufrührer nicht mehr lange in Freiheit bleiben wird.«
Ascher tätschelte noch Sethis Wange und wandte sich dann einem anderen Wackeren zu. Auch wenn sie mit Nachdruck vorgebracht worden waren, hatten ihn die Andeutungen nicht verwirrt. Einen Augenblick fragte sich Sethi, ob er sich nicht getäuscht hatte; doch das grauenvolle Schauspiel war noch immer in seinem Gedächtnis lebendig. Voller Einfalt hatte er gehofft, der Verräter verlöre seine Kaltblütigkeit.
PHARAO hielt eine lange Rede, deren wesentliche Punkte von seinen Boten und Ausrufern in jeder Stadt und in jedem Dorf wiederholt wurden. Als Oberster Befehlshaber der Streitkräfte gewährleiste er den Frieden und wache über die Grenzen. Die vier großen Heerscharen, die zwanzigtausend Krieger zählten, würden Ägypten vor jedem Einfallversuch beschützen. Streitwagentruppe und Fußvolk, bei denen sich etliche Nubier, Syrer und Libyer verpflichtet hatten, seien dem Glück der Beiden Länder treu verbunden und würden sie gegen jeden Angreifer, und seien es selbst ehemalige Landsleute, verteidigen. Der König dulde keine Verletzung von Vorschriften und Gehorsamspflicht, der Wesir würde seine Weisungen wortgetreu ausführen. Als Belohnung für seine guten und treuen Dienste wurde Heerführer Ascher zum Vorsteher der Ausbildung jener Offiziere ernannt, welche die zur Beobachtung nach Asien entsandten Truppen anführen würden. Seine Erfahrung würde ihnen wertvoll sein; der Heerführer, der bereits Bannerträger zur Rechten des Königs war, würde von nun an ständig zu Entscheidungen der Gefechts- und Kriegsführung zu Rate gezogen werden.
Paser nahm Einsicht in eine Unterlage, räumte sie wieder fort, ordnete bereits abgelegte Schriftstücke, gab seinem Gerichtsschreiber widersprüchliche Anweisungen und vergaß, seinen Hund auszuführen. Iarrot wagte nicht, ihm Fragen zu stellen, da der Richter ihm doch nur verworrene Antworten gab. Paser mußte tagtäglich Sethis Bestürmen erdulden, der zunehmend ungeduldiger wurde; Ascher in Freiheit zu sehen, war ihm unerträglich. Der Richter schloß jegliche Überstürzung aus, ohne irgend etwas Greifbares vorzuschlagen, und entrang seinem Freund das Versprechen, nicht ohne Sinn und Verstand einzuschreiten. Den Heerführer leichtfertig anzugreifen, würde in einem Mißerfolg münden.
Sethi bemerkte, daß Paser kaum geistigen Anteil an seinen Worten nahm; in schmerzlichen Gedanken verloren, erlosch er gleichsam nach und nach. Der Richter hatte geglaubt, die Arbeit würde ihn zerstreuen und ihn Neferet vergessen lassen. Doch das Gegenteil war der Fall; die Entfernung steigerte seine Verzweiflung noch.
Im Bewußtsein, daß die Zeit sie noch verschlimmern würde, beschloß er, zu einem Schatten zu werden. Nachdem er seinem Hund und seinem Esel Lebewohl gesagt hatte, verließ er Memphis in Richtung Westen, zur libyschen Wüste hin. Aus Feigheit hatte er sich Sethi nicht anvertraut, konnte er sich doch im voraus dessen Einwände denken. Der Liebe zu begegnen und sie nicht leben zu können, hatte sein Dasein in eine einzige Qual verwandelt. Paser schritt unter einer glühenden Sonne über sengenden Sand vorwärts. Er erklomm eine Anhöhe und setzte sich auf einen Stein, die Augen der Unendlichkeit zugewandt. Der Himmel und die Erde würden sich über ihm schließen, die Hitze ihn ausdörren, die Hyänen und die Geier seinen Balg vernichten. Indem er seine Grabstätte absichtlich vernachlässigte, würde er die Götter beleidigen und sich dazu verdammen, den zweiten Tod zu erleiden, der die Auferstehung ausschloß; doch wäre eine Ewigkeit ohne Neferet nicht die schlimmste aller Strafen? Sich selbst fern, dem Wind und dem Biß der Sandkörner gegenüber gleichgültig, versank Paser im Nichts. Leere Sonne, unbewegliches Licht … Es war nicht so einfach, zu verschwinden. Der Richter bewegte sich nicht mehr, in der festen Überzeugung, nun endlich in den letzten Schlaf zu gleiten. Als Branirs Hand sich auf seine Schulter legte, rührte er sich nicht.