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Lissy Wag selbst dachte gar nicht an derlei drohende Möglichkeiten. Sie beschäftigte sich nur mit der Gegenwart, nicht mit der Zukunft. Sie ging ganz in dem einzigen Gedanken auf, daß Max Real in ihrer Nähe sei… Freilich, nur noch wenige Tage, und beide sollten wieder von einander scheiden.

Endlich verstrichen auch die letzten Nachtstunden, und mit dem Erwachen am nächsten Morgen waren alle trüben Bilder verblaßt.

»Was beginnen wir nun heute? fragte Jovita Foley, als Lissy Wag und sie mit Max Real am Frühstücktische saßen. Wir haben, wie es scheint, einen herrlichen Tag zu erwarten. Etwas Wind und Sonnenglanz, das ladet zu einem Spaziergange ja geradezu ein. Sollten wir uns nicht ein wenig außerhalb der Stadt ergehen?… Indianopolis ist ja sehr regelmäßig angelegt, sehr schön und sehr sauber, man sagt aber, seine Umgebungen sollen ganz prächtig sein. Könnten wir nicht auf einer Bahnlinie ein Stück hinausfahren und auf einer anderen zurückkehren?«

Dieser Vorschlag verdiente wohl einige Beachtung. Max Real sah in einem Fahrplane nach, und die Sache ordnete sich zur allgemeinen Befriedigung.

Man einigte sich dahin, die Linie zu benutzen, die am White River nach der Station Spring Valley, eine Strecke von etwa zwanzig Meilen, hinführt, und beschloß, auf einer beliebigen anderen Linie zurückzufahren. Das heitere Klee-blatt brach also auf, ließ diesmal aber Tommy im Hôtel zurück.

Waren nun auch Max Real und Lissy Wag zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um auf irgend etwas anderes zu achten, so hätte doch Jovita Foley fünf Individuen bemerken müssen, die ihnen seit ihrem Weggange gefolgt waren. Diese Gestalten folgten den Dreien nicht nur bis zum Bahnhofe, sondern bestiegen auch mit ihnen denselben Zug, wenn nicht gar denselben Waggon, und als Max Real und die beiden Freundinnen diesen in Spring Valley verließen, stiegen jene ebenfalls aus.

Das alles erregte keine Aufmerksamkeit bei Jovita Foley, die durch die Waggonfenster hinaussah, wenn sie nicht gerade Max Real und Lissy Wag im Auge hatte. In der Besorgniß, beobachtet zu werden, hielten sich die Männer auch vorsichtig zurück und trennten sich beim Verlassen des Bahnhofes.

Max Real, Lissy Wag und Jovita Foley schlugen nun einen Weg ein, der sie nach dem Ufer des White River führen sollte und so leicht zu verfolgen schien, daß sie nicht zu befürchten brauchten, sich vielleicht zu verirren.

Eine Stunde lang wanderten sie durch das fruchtbare, von dem Creek bewässerte Land, das hier wohlgepflegte Felder, dort dichte Gehölze aufwies – diese die Reste der einstigen Urwälder, die von der Axt des Holzfällers noch verschont geblieben waren.

Bei der angenehmen Luftwärme war dieser Spaziergang ganz wunderschön. Freudig erregt lief Jovita Foley hin und her, war bald voraus, bald zurück und schalt auf das junge Paar, das sich gar nicht um sie kümmerte. Beanspruchte sie denn nicht mit Recht die einer Mutter, »ja sogar einer Großmutter«, gebührende Rücksicht, da sie gleichsam die Pflichten einer solchen auf sich genommen hatte?

Gegen drei Uhr ließen sie sich auf einem Prahm nach dem anderen Ufer des White River übersetzen. Hier schlängelte sich unter hohen Bäumen eine Straße nach der Station einer der zahlreichen, in Indianopolis zusammenlaufenden Bahnlinien hin. Max Real und seine Begleiterinnen nahmen sich vor, bis zum Vorabend des 28. noch mehrere ähnliche Ausflüge in die weitere Nachbarschaft der Stadt zu unternehmen. Am Abend des 27. würde dann Max Real, zum eigenen Leidwesen ebenso wie zu dem der beiden Freundinnen, den Zug besteigen, der ihn nach Philadelphia bringen sollte. Nachher… nein, daran dachte man am besten gar nicht.

Nach kurzer Wanderung auf der mit Bäumen eingefaßten und jetzt, zur Zeit, wo die Feldarbeiten drängten, sehr verödeten Straße, schlug die von ihren Kreuz-und Querwegen etwas ermüdete Jovita Foley eine Rast von wenigen Minuten vor. Zeit hatten sie ja genug, wenn sie nur zur Stunde der Hauptmahlzeit nach dem Sherman Hotel zurückgekehrt waren. Ein tiefer Schatten und eine angenehme Kühle lud zum Ausruhen an dieser Stelle, wo der Weg eine Biegung machte, ganz besonders ein.

Da sprangen fünf Männer aus dem Gehölz hervor, dieselben, die an der Station Spring Valley mit den Dreien ausgestiegen waren.

Was wollten diese Individuen?… Sehr einfach – Räuber und Mörder von Beruf waren sie ja nicht – sie wollten sich nur Lissy Wag’s bemächtigen, diese nach einem geheim gehaltenen Orte führen und sie so lange gefangen halten, daß sie sich am 4. Juli beim Eintreffen der Depesche auf dem Postamte von Indianopolis nicht einstellen konnte. Infolgedessen wäre sie, die jetzt den sechs anderen Partnern voraus und so nahe daran war, das Ziel zu erreichen, dann von der Partie ausgeschlossen.

So weit verblendete die Leidenschaft diese Spieler, die Leute, die am Match Hypperbone mit Wetten über sehr große Summen, über Hunderttausende von Dollars, interessiert waren!… Die Verbrecher – anders konnte man sie doch kaum nennen – schreckten selbst vor roher Gewaltthat nicht mehr zurück!

Drei von den fünf Männern stürzten sich auf Max Real, um diesen an der Vertheidigung seiner Begleiterinnen zu hindern. Der vierte packte Jovita Foley, während der fünfte sich bemühte, Lissy Wag ins Gehölz zu schleppen, wo die Auffindung ihrer Spuren so gut wie unmöglich sein mußte.

Max Real wehrte sich tüchtig, ergriff den Revolver, den ein Amerikaner ja stets bei sich führt, und gab Feuer.

Nur verwundet, taumelte der eine der Angreifer zurück.

Jovita Foley und Lissy Wag riefen um Hilfe, freilich ohne viele Hoffnung, daß sie jemand hören könnte. Das war aber doch der Fall; schon erhoben sich hinter einem Dickicht zur Linken verschiedene Stimmen.

Etwa ein Dutzend Farmer aus der Umgebung befanden sich auf der Jagd im Walde, und ein glücklicher Zufall führte sie gerade nach dem Schauplatze der Frevelthat.

Da versuchten die fünf Männer noch eine letzte Anstrengung. Ein zweitesmal feuerte jetzt Max Real auf den, der Lissy Wag nach der rechten Seite der Straße hin zu entführen sich bemühte und der das junge Mädchen jetzt loslassen mußte. Gleichzeitig erhielt der Maler aber einen Messerstich in die Brust – er stieß noch einen Schrei aus und sank wie leblos zu Boden.

Jetzt tauchten die Jäger ganz in der Nähe auf, und die Angreifer, von denen zwei verwundet waren, begriffen, daß ihr Anschlag mißlungen war und entflohen eiligst in den Wald.

Jetzt hatte man Besseres zu thun, als sie zu verfolgen, galt es doch, Max Real nach der nächsten Station zu schaffen, einen Arzt zu rufen und den Verwundeten, wenn es sein Zustand erlaubte, nach Indianopolis zurückzubefördern.

Ganz außer sich und in Thränen zerfließend, lag Lissy Wag neben dem jungen Manne auf den Knien.

Max Real athmete noch, seine Lider öffneten sich wieder.

»Lissy… liebste Lissy… stammelte er schwach, es wird nichts zu bedeuten haben… gewiß nichts. Doch Sie… Sie?…«

Aufs neue fielen ihm die Augen zu; doch er lebte wenigstens… hatte das junge Mädchen erkannt… auf sie gesprochen…

Eine halbe Stunde später hatten die Jäger ihn an der Station bequem gelagert, und hier war zum Glück auch ein Arzt gleich bei der Hand. Nach Untersuchung der Wunde erklärte dieser, daß sie keine tödtliche sei; er legte dem Verletzten den ersten Verband an und versicherte, daß dieser ohne Besorgniß nach Indianopolis zurückbefördert werden könne.

Max Real wurde darauf in einem Waggon des Zuges niedergelegt, der die Station halb sechs Uhr passirte. Lissy Wag und Jovita Foley nahmen an seiner Seite Platz. Er hatte weder das Bewußtsein verloren, noch fühlte er sich ernstlich angegriffen, und um sechs Uhr ruhte er schon in seinem Zimmer im Sherman Hotel.