»Erlauben Sie eine Frage, mein Herr, begann jetzt ein in den reiferen Jahren stehender Geistlicher, der, den Klemmer auf der Nase, den Journalisten mit den Blicken fast verzehrte, sind Sie befriedigt von dem ersten Fallen der Würfel für Sie?
– Ja und nein, Hochehrwürden, antwortete Kymbale respectvoll. Ja… denn die vor mir abgereisten Partner haben das zweite, das achte und das elfte Feld noch nicht überschritten, während ich durch zwei und vier nach dem sechsten und damit gleichzeitig nach dem zwölften gewiesen bin. Nein… weil es der Staat New York ist, der als das sechste Feld gilt, ‘wo es eine Brücke giebt’, wird allgemein berichtet, und diese Brücke ist der Fußsteig des Niagara. Ach, und der ist ja schon mehr als zu viel bekannt; ich hab’ ihn mindestens schon zwanzigmal besucht! Der ist abgenutzt, sag’ ich Ihnen, ebenso wie der amerikanische und der canadische Fall, wie die Grotte der Winde und die Ziegeninsel! Außerdem ist es mir auch nicht weit genug von Chicago. Ich will vor allem das Land sehen, nach allen vier Ecken der Union verschlagen werden, will Tausende von Meilen durchmessen…
– Immer unter Rücksicht darauf, fiel der Geistliche ein, daß Sie zur rechten Stunde am rechten Platze sind…
– Wie es sich gebührt, Hochehrwürden; glauben Sie mir getrost, daß ich überall auf die Minute pünktlich eintreffen werde.
– Indeß scheint es mir, Herr Kymbale, nahm ein Conservenhändler das Wort, ein Mann, dessen frisches Aussehen für die Güte seiner Waaren zeugte, daß Sie sich beglückwünschen dürfen, den Fuß auf den Boden des Staates New York zu setzen, da Sie sich von da aus ja sofort nach dem von Neumexiko zu begeben haben und diese beiden Staaten grenzen doch nicht grade aneinander…
– Pah, rief der Reporter, ein paar hundert Meilen… mehr trennen sie doch nicht…
– Und wenn man, fügte der Yankee hinzu, nicht gerade nach dem Südende von Florida oder dem letzten Dorfe von Washington zu gehen hat…
– Das wäre gerade mein Fall, erklärte Harris T. Kymbale, so das Gebiet der Vereinigten Staaten von Nordwesten nach Südwesten zu durchfliegen..
– Verpflichtet Sie aber, fragte der Geistliche weiter, Ihre Sendung nach diesem sechsten Felde, wo sich die Brücke befindet, nicht zur Erlegung eines Einsatzes?
– Was ist dabei? Tausend Dollars… die werden die »Tribune« nicht zu Grunde richten! Von der Station der Niagarafälle werde ich der Zeitung ein Check-Telegramm zugehen lassen, und sie wird sich beeilen, es zu begleichen.
– Ja, ließ sich der Yankee vernehmen, und um so lieber, als dieses Match Hypperbone für sie ein Geschäft ist…
– Sogar ein ganz ausgezeichnetes, erklärte Harris T. Kymbale zuversichtlich.
– Das ist so gewiß, rief der Chicagoer Kaufmann, daß ich, wenn ich’s überhaupt thäte, nur auf Sie wetten würde…
– Und daran würden Sie gut thun!« versicherte der Reporter.
Aus allen Antworten erkennt man leicht, daß sein gutes Selbstvertrauen dem, das Jovita Foley zu ihrer Freundin Lissy Wag hegte, mindestens gleichkam.
»Haben Sie indeß, bemerkte der Geistliche, nicht noch einen Mitbewerber, der meiner Ansicht nach der gefährlichste sein dürfte?
– Welchen meinen Sie, Herr Pfarrer?
– Den siebenten, Herr Kymbale, den, der nur mit den Buchstaben X. K. Z. bezeichnet ist.
– Ah ihn, der als letzter auf die Reise gehen wird! rief der Journalist. O, warum denn? Man überschätzt ihn doch nur wegen des Geheimnisses, das ihn umgiebt. Er ist der Mann mit der Maske, in den alle, die ihn sehen, vernarrt sind… Sein Incognito wird schon noch aufgeklärt werden, und wäre es der Präsident der Vereinigten Staaten in eigener Person, so wär’ er deshalb doch keinen Pfifferling mehr zu fürchten als jeder andere von den Sieben!«
Uebrigens lag ja die Wahrscheinlichkeit nicht nahe, daß der Testator den Präsidenten der Vereinigten Staaten als siebenten Partner erkoren hätte, obwohl es in Amerika keinem Menschen aufgefallen wäre, wenn der erste Mann der Union sich mit anderen Bewerbern in den Wettstreit um sechzig Millionen Dollars eingelassen hätte.
Ungefähr siebenhundert Meilen (1120 Kilometer) trennen Chicago von New York, und Harris T. Kymbale brauchte hiervon nur zwei Drittel zurückzulegen, um nach dem Niagara zu kommen, ohne daß er die große amerikanische Metropole berührte. Er hatte auch keine Lust, diese zu besuchen, einfach aus dem Grunde, weil er sie mindestens ebensogut kannte, wie die berühmten Fälle, nach denen er sich zu begeben hatte.
Von Chicago aus führte ihn der Bahnzug um den unteren Busen des Michigansees zunächst in dem an Illinois grenzenden Indiana nach der Station Ainsworth und von da nach Michigan City. Trotz ihres Namens gehört die Stadt aber nicht zu diesem Staate, sie bildet vielmehr einen der Häfen von Indiana.
Wenn der vertrauensselige Reporter unter dem Bahnnetze der Gegend gerade diesen Weg gewählt hatte, wobei er über New Buffalo kam, und sich dann in Jackson, einem wichtigen Industriecentrum mit über zwanzigtausend Seelen, einige Stunden aufhielt, wenn er dann in nordöstlicher Richtung weiter fuhr, so geschah das, weil er Detroit besuchen wollte, wo er in der Nacht vom 7. zum 8. Mai ankam.
Am nächsten Morgen wurde er nach kurzem Schlummer in dem schön ausgestatteten Zimmer eines Hôtels, von dem aus sein Name sich schnellstens in der ganzen Stadt verbreitet hatte, schon frühzeitig von Hunderten neugieriger Leute begrüßt – doch nein, weniger von neugierigen als von theilnahmsvollen Personen, die sich vorgenommen zu haben schienen, ihm den ganzen Tag nicht von den Fersen zu weichen. Vielleicht bedauerte er, sich jetzt nicht hinter dem Schleier eines Incognitos verbergen zu können, da es ihm ja nur darauf ankam, die Stadt flüchtig zu durchstreifen. Versuch’ es aber nur einer, sich der Berühmtheit und ihren Unbequemlichkeiten zu entziehen, wenn er Hauptberichterstatter der »Tribune« und einer der »Sieben« vom Match Hypperbone ist!
Unter zahlreicher und lärmender Begleitung besuchte er also die wichtigste Stadt von Michigan, dessen Regierungssitz das bescheidene Lansing ist. Diese blühende Stadt, die aus einer 1670 von Franzosen angelegten und befestigten Handelsniederlassung entstanden ist, leitet ihren Namen von dem Worte detroit (Meerenge) her, da hier der Strom, durch den der Huronsee seine Fluthen in den Eriesee ergießt, nur vierhundert Toisen (780 Meter) breit ist. Ihr gegenüber erhebt sich, gleichsam als Vorort, die canadische Stadt Windsor, in die den Fuß zu setzen der vierte Partner sich weislich hütete. Er hatte übrigens gerade nur Zeit zu einem Besuche der Hauptstadt mit ihren zweihunderttausend Einwohnern, die ihn mit Begeisterung empfingen und ihm die besten Wünsche für Erfolg entgegenbrachten, was sie jedem andern Partner gegenüber wohl ganz ebenso gethan hätten.
Harris T. Kymbale reiste schon am Abend weiter. Wäre es ihm gestattet gewesen, die canadischen Eisenbahnen zu benutzen und durch den südlichen Theil der Provinz Ontario zu fahren, so hätte er, durch den langen Tunnel unter dem Saint-Claireflusse, nahe bei dessen Ausmündung in den Huronsee, auf geraderem Wege nach Buffalo und den Niagarafällen gelangen können. Das Gebiet der Dominion zu berühren, war ihm aber verboten. Er mußte sich nach dem Staate Ohio wenden und hier bis Toledo hinuntergehen, jener rasch zunehmenden Stadt, die am Südende des Eriesees erbaut ist. Von hier aus verlief sein Weg schräg nach Sandusky zu, durch die reichsten Weingelände von Amerika, und weiter, längs des östlichen Seeufers, nach Cleveland. Das ist eine prächtige Stadt mit zweihundertzweiundsechzigtausend Seelen; ihre Straßen sind von Ahornbäumen beschattet, ihre Avenue des Euklid bildet die Elysäischen Felder Amerikas, und ihre Vorstädte ziehen sich an herrlichen Hügeln hinan. Dazu führen die Petroleumquellen der Umgebung der Stadt die reichsten Schätze zu, auf die selbst Cincinnati neidisch sein könnte. Weiter berührte Kymbale Erie City in Pennsylvanien und verließ diesen Staat wieder an der Station Northville, von wo aus er in den Staat New York kam; dann eilte er an Dunkirk vorbei, das mit Gas aus natürlichen Quellen beleuchtet ist, und erreichte am Abend des 10. Mai Buffalo, die zweite Stadt des Staates, wo er hundert Jahre früher Tausende von Bisons, statt jetzt Hunderttausende von Einwohnern gefunden hätte.