– Und?… Nein, siehst Du, in meinem Leben hab’ ich noch kein so großes Vergnügen gehabt!… Komm, Schatz, laß Dich umarmen! Ich wollte Dir eigentlich nicht davon erzählen, da Du keine Aufregung erfahren sollst. Nun, sei es… es überwältigt mich einmal!
– So sprich doch, Jovita!
– Stelle Dir nur vor, meine Liebe, er hat auch neun Augen erhalten, aber aus vier und fünf gebildet…
– Welcher er?…
– Nun, der Commodore Urrican…
– O, mir scheint dieser Wurf noch besser zu sein, als…
– Ja wohl, er verweist ihn mit einem Male nach dem dreiundfünfzigsten Felde… also viel weiter als alle übrigen; er ist aber auch herzlich schlecht.«
Jovita Foley überließ sich einem ebenso außergewöhnlichen wie unerklärlichen Jubilieren.
»Und warum ist er schlecht? fragte Lissy Wag.
– Weil der Commodore damit zum Teufel gejagt ist.
– Zum Teufel?…
– Ja freilich, bis zum äußersten Ende von Florida.«
Das war in der That das Ergebniß des heutigen Würfelfalles, und Meister Tornbrock. der gegen Hodge Urrican noch eine etwas gereizte Stimmung bewahrte, verkündete diesen Ausfall mit sichtbarer Befriedigung. Der Commodore freilich mochte ihn wohl mit aufbrausendem Ingrimm vernommen haben, vielleicht hatte er gleichzeitig Turk zurückhalten müssen, seiner Wuth die Zügel schießen zu lassen. Etwas Sicheres wußte Jovita darüber freilich nicht, da sie den Saal des Auditoriums nach der Verkündigung des Meister Tornbrock sofort verlassen hatte.
»Nach dem äußersten Ende von Florida, rief sie immer wieder. nach dem alleräußersten Ende von Florida… über zweitausend Meilen weit von hier!«
Diese Mittheilung erregte übrigens die Kranke beiweitem nicht in dem Grade, wie ihre Freundin es gefürchtet hatte. Ihr gutmüthiger Charakter ließ sie den Commodore sogar aufrichtig bedauern.
»Nun, und so gleichgiltig nimmst Du die Sache auf? rief ihre ungestüme Gefährtin.
– Ach ja… der arme Mann!« murmelte Lissy Wag.
Der Tag verlief nicht schlecht, wenn auch noch von keiner eigentlichen Genesung die Rede sein konnte. Immerhin waren ernste Complicationen, die ein kluger Arzt stets im Auge behält, nicht mehr zu fürchten.
Vom nächsten Tage, dem 12., an, konnte sich Lissy Wag schon aufrichten, um etwas Nahrung zu nehmen. Da es ihr noch nicht erlaubt war, das Bett zu verlassen, obwohl das Fieber ganz verschwunden war, wurden beiden, vorzüglich Jovita Foley, die Stunden recht lang. Jovita setzte sich also wieder ins Krankenzimmer, und hier sollte nun die Unterhaltung – wenn auch nicht in der Form eines Dialogs, so doch in der eines Monologs – nicht wieder versiegen.
Wovon hätte Jovita Foley aber plaudern sollen, wenn nicht von Wisconsin, ihrer Rede nach dem schönsten und merkwürdigsten Staate der Union. Ihr Guide-book vor Augen, fand sie gar kein Ende. Konnte Lissy Wag auch erst am letzten Tage abreisen und sich dort nur wenige Stunden aufhalten, so mußte sie Wisconsin ebenso gut kennen, als wenn sie mehrere Wochen daselbst verweilt hätte.
»Denke Dir nur, meine Liebe, sagte Jovita Foley in bewunderndem Tone, daß es früher nach einem Flusse gleichen Namens Mesconsin hieß und daß es nirgends ein Land giebt, das sich mit ihm vergleichen könnte! Im Norden sieht man noch die Reste jener alten Fichtenwaldungen, die einst sein ganzes Gebiet bedeckten. Daneben besitzt es Thermalquellen, die denen Virginiens überlegen sind, und ich bin überzeugt, wenn Deine Bronchitis…..
– Sehr schön; wir haben uns aber doch wohl nach Milwaukee zu begeben?
– Ganz recht… nach Milwaukee, der bedeutendsten Stadt des Staates, deren Namen in alter Indianersprache soviel wie »Schönes Land« bedeute – einer Stadt von zweimalhunderttausend Einwohnern, darunter viele Deutsche. Man nennt sie wohl auch das deutsch-amerikanische Athen. Ach, wenn wir schon dort wären, welch reizende Spaziergänge gäb’ es da an den hohen Ufern, wo sich längs des Milwaukeeflusses prächtige Häuserreihen erheben, vornehme und saubere Stadttheile… durchweg aus milchweißen Backsteinen erbaut, wonach die Stadt einen besondern Namen bekommen hat… nun… Du erräthst ihn nicht?
– Nein, Jovita.
– Cream City, meine Liebe, die Sahnestadt!… Da könnte man sein Weißbrod hübsch eintauchen! Ach, warum muß diese verwünschte Bronchitis uns hindern, sofort dahin zu gehen!«
Wisconsin hat übrigens noch manche andere Städte, die zu besuchen Beide Zeit gehabt hätten, wenn sie gleich am 9. hätten abreisen können, z. B. Madison, das auf einer Landenge, fast einer Brücke, zwischen dem Mendota und dem Mononasee, die miteinander in Verbindung stehen, erbaut ist; ferner andere Orte mit auffallenden Namen, wie Fond du Lac am Southern Foxflusse, dessen Umgebung von artesischen Brunnen so durchlöchert ist, daß sie einen wahren Schaumlöffel bildet. Dann eine hübsche Ortschaft, Eau Claire, mit einem silberhellen Bergflusse, der ihren Namen rechtfertigt. Endlich den Winnebagosee, die Green Bay, den Ankerplatz der Zwölf Apostel vor der Ashlandbai, und den Teufelssee, eine der natürlichen Schönheiten dieses wunderbaren Wisconsin.
Mit lauter Stimme las Jovita Foley die Seiten aus ihrem Reiseführer ab und berichtete dabei über die verschiedenen Entwickelungsperioden des Landes, das früher einmal der Wohnsitz von Indianerstämmen war, dann von Franco-Canadiern, zur Zeit als es noch Badger State (Dachsland) hieß, sozusagen neu entdeckt und colonisiert wurde.
Am frühen Morgen des 13. war die Neugier der großen Menge in Chicago so gut wie verdoppelt. Die Tageszeitungen hatten die Gemüther bis zum höchsten Grade in Spannung versetzt. Im Saale des Auditoriums wimmelte es von Neugierigen ebenso wie an jenem Tage, wo das Testament William I. Hypperbone’s öffentlich verlesen wurde. Um acht Uhr früh sollte ja zum siebentenmale gewürfelt werden, und zwar für die geheimnißvolle und räthselhafte Persönlichkeit, die man nur unter den Buchstaben X. K. Z. kannte.
Lissy Wag und Jovita Foley lehnten im Fenster… (S. 190.)
Vergeblich hatten sich viele bemüht, das Incognito dieses Partners zu entschleiern. Die gewandtesten Berichterstatter, die schärfsten Spürnasen der Localchronik waren daran gescheitert. Mehrmals glaubten sie schon, eine Fährte entdeckt zu haben, doch immer erwies sich diese als falsch. Anfangs glaubte man allgemein, der Entseelte habe mittelst des dem Testamente angefügten Codicills einen seiner Collegen aus dem Excentric Club als Siebenten an dem großartigen Match betheiligen wollen. Man nannte wohl auch den Namen Georges B. Higginbotham, der Betreffende widersprach aber mit Bestimmtheit jener schon weitverbreiteten Vermuthung.
Wurde hierüber eine Frage an Meister Tornbrock gerichtet, so erklärte dieser, daß auch er nichts weiteres wisse und keinen anderen Auftrag habe als den, an die Postämter der Orte, wo sich der »Mann mit der Maske« – wie man zu sagen pflegte – aufzuhalten verpflichtet sei, das Ergebniß des Würfelns zu telegraphieren.
Inzwischen erwartete man, und vielleicht nicht ohne Grund, daß der Herr X. K. Z. an diesem Morgen auf den Aufruf derselben Buchstaben antworten werde. Das hatte die Massenansammlung veranlaßt, von der nur ein kleiner Theil ein Plätzchen vor der Bühne erlangen konnte, worauf der Notar und die Mitglieder des Excentric Club erschienen. Zu Tausenden drängten sich die Leute noch in den benachbarten Straßen und in den schattigen Gängen des Lake-Park.
Die Neugier erfuhr eine vollkommene Enttäuschung. Maskiert oder nicht – jedenfalls tauchte kein Individuum auf, als Meister Tornbrock, nachdem die Würfel über die Karte gerollt waren, die Zahl ihrer Augen verkündigte.
»Neun, durch sechs und drei, rief er, sechsundzwanzigstes Feld, Staat Wisconsin!«
Merkwürdig – das war dieselbe Zahl, die für Lissy Wag, und zwar ebenfalls durch sechs und drei, beim Würfeln gefallen war. Von ernstester Bedeutung für die junge Dame war aber der Umstand, daß sie nach den von dem Verstorbenen aufgestellten Vorschriften, wenn sie sich noch an dem Tage in Milwaukee befand, wo dieser X. K. Z. dort eintraf, ihm ihren Platz räumen und wieder zurückgehen mußte, was also mit einem Wiederanfangen der Partie gleichbedeutend war. Und nun nicht abreisen zu können, an Chicago gebannt zu sein!