– O, sorge Dich nicht darum, wohin es auch sein mag! rief Jovita Foley mit einer vorwärts strebenden Bewegung, als hätte sie Flügel bekommen.
– Hoffen wir, Miß Wag, sagte der Gast, daß der zweite Wurf für Sie ebenso glücklich wie der erste ausfallen werde!«
Der brave Mann sprach hierauf von verschiedenen, unterwegs zu beobachtenden Vorsichtsmaßregeln, von der Nothwendigkeit, die Fahrpläne sorgsam zu studieren und mit peinlicher Sorgfalt die besten Züge der Bahnlinien auszuwählen, die das Gebiet der Union mit so engmaschigem Netze bedecken.
»Im übrigen, setzte er hinzu, ist es mir sehr angenehm zu wissen, Miß Wag, daß Sie nicht allein reisen.
– Nein, meine Freundin begleitet mich, oder richtiger, sie nimmt mich ins Schlepptau…
– Das ist recht von Ihnen, Miß Foley, meinte Weldon. Es ist allemal besser, zu Zweien zu reisen. Es ist auch angenehmer…
– Und klüger obendrein, wenn es darauf ankommt, keine Züge zu verfehlen, erklärte Jovita Foley.
– Ich rechne auch nicht wenig mit auf Sie, sagte der Besucher, Sie werden Ihr Möglichstes thun. damit Miß Wag gewinnt…
– Darauf können Sie sich verlassen. Herr Weldon!
– Ich begleite Sie mit den besten Wünschen, meine Damen, denn Ihr Erfolg sichert ja auch den meinigen!«
Der Besuch hatte gegen zwanzig Minuten gedauert, und nachdem er um die Erlaubniß gebeten hatte, Miß Wag und dann auch ihrer liebenswürdigen Freundin die Hand drücken zu dürfen, wurde Humphry Weldon wieder nach dem Aufzug geleitet, von dem aus er noch einen letzten Gruß heraufwinkte.
»Der arme Mann, sagte hierauf Lissy Wag, und wenn ich mir vorstelle, daß ich es sein soll, durch die er sein Geld verliert…
Die Frachtstücke lagerten auf den Quais. (S. 205.)
– Na ja… ist schon gut, fiel ihr Jovita ins Wort. Denk’ aber daran, was ich Dir sage, meine Liebe: Diese alten Herren haben meist eine richtige Ahnung… einen Spürsinn, der sie auf keine falsche Fährte leitet. Der wackere Mann, der eben bei uns war, ist für Dich ein Glücksbote im Spiele!«
Alle Vorbereitungen waren beendet – der Leser weiß ja, schon seit langer Zeit – die beiden hatten sich nur noch einmal für die Nacht schlafen zu legen und mit dem nächsten Morgenroth aufzustehen. Noch einmal erwarteten sie jedoch den Arzt, der am Abend wiederzukommen versprochen hatte. Doctor M. P. Pughe stellte sich auch richtig ein und konnte versichern, daß der Gesundheitszustand seiner Clientin nichts zu wünschen übrig lasse, daß jede Befürchtung ernster Complicationen nun hinfällig geworden sei.
Am nächsten Tage, dem 23. Mai, war die ungeduldigere der beiden Reisenden schon um fünf Uhr morgens auf den Füßen.
Die zuweilen unberechenbare Jovita Foley erdichtete sich jetzt in ihrer Erregtheit aber noch eine ganze Reihe von Verhinderungen und unglücklichen Zufällen.
Wenn nun der Wagen, der sie nach dem Bahnhofe bringen sollte, unterwegs umstürzte… wenn ein Verkehrshinderniß ihm den Weg versperrte… wenn vielleicht die Abgangszeit des Zuges verlegt worden wäre… wenn eine Entgleisung stattfände…
»O, beruhige Dich doch, Jovita, redete ihr Lissy Wag zu, ich bitte Dich, werde ruhiger!
– Ich kann’s nicht, mein Herz, ich kann’s einmal nicht!
– Wirst Du während der ganzen Reise in solcher Gemüthsverfassung sein?
– Die ganze Zeit über!.
– Dann bleib’ ich lieber hier.
– Der Wagen steht unten, Lissy! Schnell… vorwärts!«
In der That wartete vor dem Hause ein Wagen, der gut um eine Stunde zu zeitig bestellt war. Die beiden Freundinnen begaben sich hinab, begleitet von den Glückwünschen des ganzen Hauses, an dessen Fenstern sich trotz der frühen Morgenstunde einige hundert Köpfe zeigten.
Das Gefährt nahm den Weg durch die North Avenue nach der North Branch, bog dann nach dem rechten Ufer des Chicagoflusses ab, rollte über dessen Brücke am Ende der Van Burenstraße und setzte die Reisenden zehn Minuten nach sieben Uhr am Bahnhofe ab.
Jovita Foley empfand wohl eine gewisse Enttäuschung, als sie bemerkte, daß die Abfahrt der fünften Partnerin keine große Ansammlung von Neugierigen veranlaßt hatte. Offenbar war Lissy Wag im Match Hypperbone nicht der Günstling der Menge. Das bescheidene junge Mädchen selbst beklagte sich darüber jedoch nicht, sie zog es beiweitem vor, Chicago ohne Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit zu verlassen.
»Sogar der zuvorkommende Herr Weldon ist nicht zur Stelle!« konnte Jovita zu bemerken nicht unterlassen.
In der That hatte es der Besucher von gestern nicht für nöthig erachtet, die Partnerin, an der er doch ein sehr großes Interesse hatte, im Waggon unterzubringen.
»Da siehst Du es ja, meinte Lissy Wag, auch er giebt mich auf!«
Endlich setzte sich der Zug in Bewegung, ohne daß sich jemand um die Anwesenheit Lissy Wag’s gekümmert hätte. Da hörte man keine Hurrahs, keine Hipps, höchstens brachte Jovita Foley solche im stillen für ihre Freundin aus.
Die Bahnlinie folgt dem Ufer des Michigansees. Lake View, Evanston, Glenoke und andere Stationen wurden im Fluge durcheilt. Das Wetter war herrlich. Bis weit hinaus glitzerte das von Dampfern und Segelschiffen belebte Wasser… das Wasser, das sich von See zu See, vom Obern durch den Huron-, Michigan-, Erie-und Ontariosee in das breite Bett des St. Lorenzostromes und endlich in den Atlantischen Ocean ergießt. Nachdem der Zug Vankegan, eine bedeutendere Stadt am Seeufer, verlassen hatte, überschritt er an der Station der State Line die Grenze von Illinois und gelangte damit auf den Boden von Wisconsin. Etwas weiter im Norden hielt er in Racine, einer mächtig aufblühenden Fabriksstadt, und es war noch nicht zehn Uhr, als er in den Bahnhof von Milwaukee einlief.
»Wir sind da… sind an Ort und Stelle! jubelte Jovita Foley mit einem solchen Seufzer der Befriedigung, daß sich ihr Schleier wie ein Segel vor dem Winde aufblähte.
– Und noch gut zwei Stunden vor der letzten Frist, bemerkte Lissy Wag, die nach ihrer Uhr gesehen hatte.
– Nein, vierzehn Tage zu spät!« entgegnete Jovita, als sie auf den Bahnsteig hinaussprang.
Sofort beeilte sie sich, ihren Koffer in der Unmasse von Gepäckstücken zu erspähen.
Der Koffer hatte sich nicht verirrt, ja man weiß eigentlich nicht, warum Jovita Foley diese Befürchtung hegte. Jetzt fuhr ein Miethwagen vor. Die beiden jungen Mädchen stiegen ein und ließen sich nach einem guten Hôtel fahren, das im Guide-book besonders empfohlen war. Auf die Frage, ob sie sich in Milwaukee längere Zeit aufzuhalten gedächten, antwortete Jovita Foley. daß sie das nach ihrer Zurückkunft vom Postamte sagen werde, daß sie aber wahrscheinlich noch am heutigen Tage weiterreisen würden.
Dann wendete sie sich an Lissy Wag.
»Verspürst Du denn keinen Hunger?
– O, ich frühstückte gern ein wenig, Jovita.
– Nun gut, so wollen wir erst etwas genießen und machen danach unseren Gang ab.
– Du weißt aber, zu Mittag…
– Ja freilich, ich weiß es, meine Liebe!«
Da sie sich noch nicht ins Fremdenbuch eingetragen hatten und das auch erst nach der Rückkehr vom Postamte thun wollten, konnte Milwaukee nicht ahnen, daß sich die fünfte Partnerin vom Match Hypperbone in seinen Mauern befand.
Dreiviertel zwölf Uhr betraten die beiden reisenden Damen das Postamt und Jovita Foley fragte den Schalterbeamten, ob eine Depesche für Miß Lissy Wag eingetroffen sei.
Bei Nennung dieses Namens erhob der Beamte den Kopf, und seine Augen drückten die größte Befriedigung aus.
»Für Miß Lissy Wag? wiederholte er.
– Ja… aus Chicago, antwortete Jovita Foley.
– Die Depesche ist hier, sagte der Beamte, indem er das Telegramm der Adressatin einhändigte.
– Bitte… gieb es mir! rief Jovita Foley. Du brauchtest zu lange Zeit, es zu öffnen, und ich könnte wieder einem nervösen Anfalle unterliegen!«