Und als Hodge Urrican bei der letzten Gelegenheit, als er nach Florida geschickt wurde, den Notar verklagen wollte, als ob der Meister Tornbrock diesen Ausfall des Würfelns verschuldete, behauptete Turk mit lauter Stimme, daß der elende Actenwurm betrogen habe, und schwur darauf, daß er ihm beide Ohren abreißen und seinem Herrn daraus ein Sträußchen binden werde.
Solcher Art war also – geschickt genug, niemals sein Spiel durchschauen zu lassen – der originelle Kauz, der am heutigen Morgen den Commodore Urrican nach dem Centralbahnhofe von Chicago begleitete.
Der Abfahrt des sechsten Partners wohnte, wie bereits erwähnt, eine ansehnliche Menge bei, und wenn sich darunter auch keine Freunde des Reisenden befanden, so waren es doch Leute, die es wagten, ihr Geld auf seinen Kopf zu riskieren. Durften sie nicht hoffen, daß ein so gewaltthätiger Charakter nicht auch fähig wäre, die Glücksgöttin seinem Willen zu beugen?.
Fragte man nun nach dem Reisewege, den der Commodore gewählt hätte, so lautete die Antwort, daß das natürlich der kürzeste und der war, der am wenigsten Verzögerungen befürchten ließ.
»Jetzt höre, Turk, hatte er bei der Rückkehr in das Haus in der Randolph Street gesagt, höre und mach’ die Augen auf!
– Ich höre und sehe, Herr Urrican.
– Was ich Dir hier vorlege, ist die Karte der Vereinigten Staaten.
– Richtig… die Karte der Vereinigten Staaten.
»In einer Stunde sind wir auf offener See.« (S. 910.)
– Jawohl… hier ist Illinois mit Chicago darin… da ist Florida…
– O, ich weiß schon, antwortete Turk, der ein leises Knurren hören ließ. Seiner Zeit sind wir dort viel umhergefahren und haben dabei manchen Strauß bestanden, Herr Commodore!
– Du begreifst, Turk: Handelte es sich nur darum, nach Thallahassee, dem Regierungssitz Floridas, oder nach Pensacola, selbst nach Jacksonville zu gehen, so wäre das leicht und schnell auszuführen, wenn wir die richtigen aneinander anschließenden Bahnzüge wählten…
– Leicht genug und schnell auszuführen, wiederholte Turk.
– Wenn ich mir da vorstelle, fuhr der Commodore fort, daß Lissy Wag, das alberne Ding, nur von Chicago nach Milwaukee zu fahren brauchte…
– Die Elende! knurrte Turk.
– Und daß dieser Hypperbone…
– O, wenn der nicht todt wäre, Commodore! rief Turk, der mit der Faust umherfuchtelte, als wollte er dem unseligen Verstorbenen den Gnadenstoß versetzen.
– Beruhige Dich, Turk, er ist nun einmal todt! Warum ist er aber auf den verrückten Gedanken gekommen, von ganz Florida den entlegensten Punkt zu wählen, das Schwanzende der Halbinsel, die in den Mexikanischen Golf eintaucht?
– Ein Schwanzende, mit dem er bis aufs Blut geprügelt zu werden verdiente! erklärte Turk.
– Ja, wir müssen unseren Reisesack bis nach Key West, nach dem zu den Pine Islands gehörigen Eilande schleppen! Ein Eiland, sogar nur ein elender »Knochen«, wie die Spanier sagen, höchstens gut genug, einen Leuchtthurm zu tragen – und doch ist darauf eine Stadt entstanden…
– Schlechtes Fahrwasser dort, Herr Commodore, antwortete Turk, und was den Leuchtthurm angeht, so haben wir den oft genug gepeilt, ehe wir in die Straße von Florida einliefen.
– Nun also, fuhr Hodge Urrican fort, ich meine, es wird das Beste, das Kürzeste und auch das Sicherste sein, die erste Hälfte der Reise zu Lande und die zweite zur See zurückzulegen… das heißt, neunhundert Meilen (1448 Kilometer) bis Mobile und von da aus fünf-bis sechshundert (800 bis 960 Kilometer) bis Key West.«
Turk erhob keinen Einspruch, der auch bei diesem verständig entworfenen Plane nicht angebracht gewesen wäre. Binnen sechsunddreißig Stunden konnte Hodge Urrican mittelst Schnellzuges in Mobile sein, und dann blieben ihm noch reichlich zwölf Tage für die Ueberfahrt nach Key West übrig.
»Und wenn wir da nicht ankämen, erklärte der Commodore, müßten die Schiffe überhaupt nicht mehr auf dem Wasser schwimmen…
– Oder das Meer müßte kein Wasser mehr haben!« antwortete Turk mit einem für den Mexikanischen Meerbusen höchst bedrohlichen Tone.
Natürlich waren diese beiden Möglichkeiten kaum zu befürchten.
Von der Frage, in Mobile ein zur Abfahrt nach Florida segelfertiges Schiff anzutreffen, war gar nicht die Rede. Im dortigen Hafen herrscht ein reger Verkehr durch viele ein-und auslaufende Schiffe, und andererseits ist Key West, dank seiner Lage zwischen dem Golf von Mexiko und dem Atlantischen Ocean, gleichsam eine Station für alle jene Fahrzeuge.
Dieser Reiseweg fiel zum Theile mit dem Tom Crabbe’s zusammen. War der Champion der Neuen Welt im Becken des Mississippi bis New Orleans im Staate Louisiana hinunter gefahren, so sollte der Commodore diesem bis Mobile im Staate Alabama folgen. In dem betreffenden Hafen angelangt, war dann der erstere in westlicher Richtung nach der Küste von Texas gesegelt, während der letztere sich in östlicher Richtung nach der Küste von Florida zu begeben hatte.
Mit einem sehr großen Koffer belastet, hatten sich Hodge Urrican und Turk also um neun Uhr morgens nach dem Bahnhofe begeben. Ihre Reisekleidung – Matrosenkittel, Gürtel, Schuhe und Mütze – verrieth noch die ehemaligen Seeleute. Außerdem war jeder mit einem sechsschüssigen Derringer-Revolver ausgerüstet, der in einer besondern Beinkleidtasche des echten Amerikaners niemals fehlt.
Uebrigens vollzog sich ihre Abfahrt in üblicher Weise unter den Hurrahrufen der Anwesenden, nur gestört durch einen lebhaften Wortwechsel zwischen dem Bahnhofsvorsteher und dem Commodore, der sich wegen einer Verzögerung des Zugsabgangs um dreiundeinehalbe Minute bitter beklagte.
Dann flog die Waggonschlange mit Windeseile dahin und führte die Passagiere schnell durch den südlichen Theil von Illinois. Von Kairo, fast an der Grenze von Tennessee, aus hatte Tom Crabbe dann die nach New Orleans führende Linie benutzt, während der sechste Partner und sein Begleiter auf die übergingen, die der Grenze von Mississippi und Alabama folgt und in Mobile endigt. Die bedeutendste Stadt, die sie dabei berührten, war Jackson in Tennessee, das nicht mit den gleichnamigen Städten in den Staaten Mississippi, Ohio, Californien und Michigan zu verwechseln ist. Jenseits der Station State Line überschritt hierauf der Zug am Nachmittag des 12. die Grenze von Alabama, etwa hundert Meilen (160 Kilometer) von seinem Endziele.
Der Leser kann sich ja denken, daß der Commodore Urrican nicht reiste, um zu reisen, sondern um in kürzester Frist und wenigstens zum bestimmten Zeitpunkte an dem ihm vorgeschriebenen Platze einzutreffen. Jede Anwandlung, die einen Touristen unterwegs aufhält, war ihm also fremd. Die Merkwürdigkeiten des Landes, die sich bietenden Aussichten, die Dörfer, Städte und alles dergleichen, hatten für einen alten Seebären auch wirklich keinen Reiz – und mit Turk lag das nicht anders.
Um zehn Uhr abends hielt der Zug im Bahnhof von Mobile; er hatte die lange Strecke ohne den geringsten Unfall zurückgelegt. Es verdient hier hervorgehoben zu werden, daß Hodge Urrican auch nicht ein einzigesmal Gelegenheit gefunden hatte, auf die Maschinenführer, die Heizer, die Conducteure oder sonstige Bahnbeamte, ja nicht einmal auf seine Reisegenossen zu schelten.
Uebrigens verheimlichte er gar nicht, wer er wäre, und der ganze Zug wußte, daß er in der aufbrausenden Persönlichkeit den sechsten Partner des Match Hypperbone beförderte.
Der Commodore ließ sich nach einem nahe dem Hafen gelegenen Hôtel führen. Heute war es zu spät, nach einem Schiffe Umschau zu halten. Morgen wollten Hodge Urrican mit Tagesanbruch sein Zimmer und Turk das seinige verlassen, und wenn sich ein Schiff fand, das zur Abfahrt nach der Straße von Florida fertig war, wollten sie noch am nämlichen Tage weiterreisen.
Beim Sonnenaufgang am nächsten Tage trotteten beide zusammen schon über die Quais von Mobile..