Der Schiffer erwies sich als erprobter Seemann, und Turk sicherte, die Hand am Ruder, soviel wie möglich das Abtreiben der Goelette durch die seitlich heranrollenden Wogen.
Der Commodore half der Mannschaft, das Mars-und das Großsegel mehrmals zu reesen, und man ließ nur ein Klüversegel unverändert stehen. Trotzdem blieb es sehr schwierig, gegen Wind und Strömung, die nach dem Lande zu standen, einigermaßen aufzukommen.
Und in der That, am Morgen des 23. wurde die Küste, so niedrig sie auch war, durch die am Horizonte wogenden Dunstmassen sichtbar.
Huelcar und seine Leute erkannten sie nicht ohne eine gewisse Unruhe.
»Das ist die Bai von Whitewater,« sagten sie…
Diese tief ins Land einschneidende Bai ist von der Straße von Florida nur durch eine Landzunge getrennt, die ganz draußen auf dem Cap Sable das Fort Poinsett trägt.
Noch zehn Meilen in gleicher Richtung und die Goelette mußte daneben liegen.
»Ich fürchte, wir werden gezwungen sein, in der Bai vor Anker zu gehen, sagte der Schiffer Huelcar.
– Da zu ankern… um bei diesem Winde nicht wieder herauszukommen!« rief Turk.
Hodge Urrican schwieg.
»Wenn wir hier nicht Schutz suchen, fuhr der Schiffer fort, und wenn uns der Wind auf der Höhe des Cap Sable in die Meerenge treibt, dann werden wir nicht in Key West, sondern an den Bahamainseln im offenen Ocean ankommen!«
Der Commodore schwieg noch immer; vielleicht hätte er, da ihm die Kehle zugeschnürt zu sein schien und die Lippen sich krampfhaft auf einander preßten, auch kein Wort herausbringen können.
Der Schiffer wußte recht gut, daß die »Chicola«, wenn er jetzt in die Bai von Whitewater einlief, darin wenigstens drei Tage festgehalten werden würde. Schon war es aber der 23. Mai, und vor Ablauf von achtundvierzig Stunden mußten seine Passagiere in Key West eingetroffen sein.
Die Mannschaft überbot sich nun in Eifer und Geschicklichkeit, das kleine Fahrzeug gegen den Wogenschwall des Meeres im richtigen Curs zu halten, selbst auf die Gefahr hin, den Mast brechen zu sehen oder mit den letzten Segeln zu kentern. So versuchten sie, mit Hilfe eines Klüver-und eines Bugsegels in ihrer Fahrtrichtung zu bleiben. Trotzdem verlor die Goelette im Laufe des Tages und in der folgenden Nacht davon noch etwa zehn Meilen. Drehte der Wind nicht nach Norden oder Süden, so konnte sie nicht widerstehen und lag am nächsten Tage an der Küste.
Das wurde noch wahrscheinlicher, als sich in den Morgenstunden des 24. das von Felsen eingerahmte und von Rissen bekränzte Land kaum fünf Meilen von der gefährlichen Spitze am Cap Sable zeigte. Nur noch wenige Stunden, und die Goelette mußte in die Meerenge von Florida hineingetrieben sein.
Mit einiger Mühe und unter Benutzung der eingetretenen Fluth wäre es jetzt noch möglich gewesen, sich in die Bai von Whitewater zu flüchten.
»Es geht nicht anders… wir müssen… erklärte Huelcar.
– Nein! entgegnete Hodge Urrican.
– Ich habe keine Lust, mein Schiff einzubüßen und selbst mit zu Grunde zu gehen, wenn wir dabei beharren, noch weiter zu fahren!
– Dein Schiff?… Das kauf’ ich Dir ab…
– Es ist nicht verkäuflich!
– Ein Schiff ist stets zu verkaufen, wenn man es über seinen Werth bezahlt.
– Wieviel bieten Sie?
– Zweitausend Piaster.
– Top, es gilt, antwortete Huelcar, erfreut über einen so vortheilhaften Handel.
– Das ist das Doppelte seines Werthes, sagte der Commodore Urrican. Tausend sind dabei auf den Kasten gerechnet und tausend für Dich und Deine Leute.
– Zahlbar wann?…
– Ohne Aufschub, mit einem Check, den ich Dir in Key West ausstelle.
– Einverstanden, Herr Commodore.
– Und nun, Huelcar, hinaus ins Meer!«
Den ganzen Tag über kämpfte die »Chicola« sehr schwer. Wiederholt brachen Sturzseen über sie herein, ihre Schanzkleidung stand unter Wasser und oft war sie nahe daran zu kentern. Turk regierte sie aber mit starker Hand und die beiden Matrosen arbeiteten mit ebensoviel Muth wie Geschicklichkeit.
Der Goelette war es, dank einer leichten Veränderung des mehr nach Norden umgelaufenen Windes, gelungen, etwas von der Küste abzukommen. Als die Nacht aber hereinbrach, fing der Wind an schwächer zu werden und die Luft füllte sich mit undurchsichtigen Dünsten.
Das machte die Lage noch unheimlicher. Am Tage war keine Ortsbestimmung möglich gewesen. Befand sich die Goelette nun auf der Höhe des Cap Sable oder war sie schon über das Gewirr von Klippen, die sich vom Ende der Landzunge bis nach den Markesas-und den Tortugasinseln hinziehen, glücklich hinausgekommen?
Der Schätzung des Schiffers Huelcar nach mußte die »Chicola« sehr nahe dieser Kette von Eilanden sein, hinter der sich die überaus schnelle Strömung der Straße oder Meerenge von Florida mit dem warmen Wasser des Golfstromes vermischt.
»Ohne die abscheulichen Dünste, sagte er, sähen wir bestimmt schon den Leuchtthurm von Key West, und nun heißt es, vorsichtig sein, um nicht auf die Felsen zu gerathen. Meiner Ansicht nach wäre es besser, den Tag abzuwarten, und wenn sich dann der Nebel zerstreut…
– Ich kann und werde nicht warten!« erklärte der Commodore.
Das war ja auch richtig; er konnte nicht warten, wenn er morgen Vormittag in Key West sein wollte.
Die »Chicola« setzte also ihre Fahrt nach Süden fort und segelte auf dem fast ruhig gewordenen Meere durch den Nebel weiter, als gegen fünf Uhr morgens ein harter Stoß und gleich darauf ein zweiter erfolgte.
Die Goelette hatte eine Unterwasserklippe angefahren.
Noch ein drittesmal von der unwiderstehlichen Dünung emporgehoben und iedergeschleudert, wurde sie halb zerstört, und mit eingedrücktem Vordertheil sank sie nach Backbord auf die Seite.
Da erscholl ein lauter Aufschrei.
Turk erkannte die Stimme des Commodore.
Er rief ihn an, erhielt aber keine Antwort.
Der Nebel war jetzt so dicht, daß man die Felsen rings um die Goelette nicht sehen konnte.
Dem Schiffer und seinen Leuten war es gelungen, auf der Klippe Fuß zu fassen.
Vereint mit ihnen suchte und rief Turk in voller Verzweiflung nach seinem Herrn.
Vergeblich das Rufen, vergeblich das Suchen.
Vielleicht zerstreute sich aber der Nebel und vielleicht fand Turk seinen Herrn doch noch lebend wieder?… Er wagte es kaum zu hoffen. Dicke Thränen rollten ihm über die gebräunten Wangen.
Gegen sieben Uhr begann der Nebel in den unteren Lagen sich aufzulösen und das Meer war nun auf einige Kabellängen zu übersehen.
Da zeigte sich ein Haufen weißlicher Felsen, gegen die die »Chicola« angelaufen und woran sie geborsten war. Ihr fast ganz zertrümmertes Boot war völlig unbrauchbar geworden. Etwa eine Viertelmeile weit dehnte sich von Westen nach Osten die von Wasserarmen unterbrochene Felsenbank aus, an der die Brandung wüthend aufschäumte.
Sofort wurden die Nachsuchungen wieder aufgenommen, und einem der Matrosen glückte es, den zwischen zwei Riffspitzen eingeklemmten Körper des Commodore Urrican zu entdecken.
Turk eilte herbei, warf sich auf seinen Herrn, schlang die Arme um ihn und hob ihn empor. Er sprach auf den Commodore ein, erhielt aber keine Antwort.
Ein leichter Hauch entfloh aber noch den Lippen Hodge Urrican’s und sein Herzschlag war deutlich fühlbar.
»Er lebt!… Er lebt!« jubelte Turk.
Hodge Urrican erschien freilich übel zugerichtet. Beim Fallen war er mit dem Kopfe auf eine Steinkante aufgeschlagen. Blut lief aus der Wunde aber nicht mehr. Sie hatte sich schon von selbst fast geschlossen und wurde nun mit etwas Leinwand verbunden, nachdem man sie sorgfältig mit aus der Goelette geholtem Süßwasser ausgewaschen hatte. Dann wurde der noch immer bewußtlose Commodore nach einem höheren Theile des Eilands getragen, den keine Fluth und keine Welle erreichen konnte.
Der Himmel war jetzt ganz klar geworden, so daß man mehrere Meilen weit deutlich sehen konnte.