Da er hierauf möglichst viel Zeit verwenden wollte und doch nur über die vierzehn Tage vom 15. bis zum 29. Mai zu verfügen hatte, beschloß er, die kleine Stadt am Fort Riley sofort zu verlassen.
In Cheyenne, der Hauptstadt von Wyoming, war es, wo Max Real die nächste, an seine Adresse abgesendete Depesche vorfinden sollte – vorausgesetzt, daß die Partie nicht schon vorher von einem anderen Betheiligten gewonnen war. Hodge Urrican fehlten ja nur noch zehn Augen, um das dreiundsechzigste und letzte Feld zu erreichen, da er gleich durch den ersten Wurf, seinen Mitbewerbern weit voraus, nach dem dreiundfünfzigsten Felde gekommen war.
»Ich glaube, er ist es im Stande, der schreckliche Mensch! hatte Max Real gesagt, als die Zeitungen jenes Resultat verkündigten. Dann ist es nichts mit der Erbschaft, und ich könnte Dich nicht kaufen, armer Tommy!… Na, mindestens hab’ ich dann die Gegend am Yellowstone besucht! Feiler Sclave, schnüre unser Bündel, und vorwärts nach dem Nationalparke!«
Sehr geschmeichelt ging der »feile Sclave« ohne Zögern daran, die letzten Vorbereitungen zur Abreise zu erledigen.
Hätte Max Real sich vom Fort Riley unmittelbar nach Cheyenne begeben wollen, so wäre es ihm möglich gewesen, die vierhundertfünfzig Meilen mittelst der beide Ortschaften verbindenden Eisenbahnen im Laufe eines einzigen Tages zurückzulegen. Da er aber beabsichtigte, bis zu dem nordwestlichen Theile Wyomings, wo der Nationalpark lag, hinauszugehen, betrug die von ihm zu überwindende Strecke mindestens das doppelte.
Selbstverständlich hatte der junge Mann sofort nach Empfang seiner Depesche sich beeilt, die Eisenbahnfahrpläne durchzusehen, um den kürzesten Weg herauszufinden. Dabei ergab sich übrigens, daß zwei Linien der Union Pacific ihm eine fast gleichmäßig schnelle Beförderung versprachen.
Die eine verläuft von Kansas aus nach Nebraska, erreicht über Marysville, Kearney City, North Platte, Ogallalla und Antelope die südöstliche Grenzecke von Wyoming und führt dann nach Cheyenne.
Die andere geht über Salina, Ellis, Oakley, Monument, Wallace und erst bis Monotony dicht an der Grenze von Colorado, wendet sich hierauf nach Denver, der Hauptstadt des Staates, berührt ferner Jersey, Brighton, La Salle und Dover, überschreitet hier die Grenze von Wyoming und endigt ebenfalls in Cheyenne.
Dem zweiten Wege gab die violette Flagge – wir wissen, daß das die Farbe des ersten Partners war – den Vorzug. In Cheyenne angelangt, gedachte sich Max Real die weitere Reiseroute zusammenzustellen, um in kürzester Zeit am Viereck des großen Nationalparkes einzutreffen.
Am Nachmittage des 16. reiste er, sein Malgeräth mit sich führend, schon ab; Tommy trug das übrige Gepäck, und so bestiegen beide den Zug. Unübersehbar, ohne jede Erhebung oder Senkung des Bodens, dehnen sich die westlichen Ebenen von Kansas aus, die der von den Weißen Bergen in Colorado kommende Arkansasfluß bewässert. Hier fand der Bahnbau keinerlei Schwierigkeiten. Je nach der fortschreitenden Befestigung von Schienen auf den Schwellen rückte die Locomotive nach, und dabei wuchs die im Bau begriffene Strecke täglich um mehrere (amerikanische) Meilen. Diese endlosen Steppen boten dem Auge des Künstlers freilich nichts sehenswerthes, dagegen sollte sich die Landschaft weiter hin zu ihrem Vortheil verändern und in den Berggegenden Colorados geradezu zu einer herrlichen werden.
In der Nacht überschritt der Zug die geometrische Grenze beider Staaten und traf noch am frühen Morgen in Denver ein.
Max Real fand auch nicht ein Stündchen Zeit, sich diese Stadt ein wenig anzusehen. Der Zug ging sofort nach Cheyenne weiter, und wer diesen nicht benutzte, hatte dann gleich vierundzwanzig Stunden zu warten. Die hundert Meilen (160 Kilometer) lange Strecke, die das prächtige, von den Gipfeln des Long Peak überragte Panorama der Snowy Ranges im Westen liegen ließ, wurde schnell zurückgelegt.
Was ist nun Cheyenne?… Es ist der Name eines Flusses und einer Stadt, doch auch der der Indianer, die früher in dieser Gegend siedelten, eigentlich aber »les Chiens« (die Hunde) hießen, woraus die Volkssprache allmählich Cheyennes gemacht hat.
Die Stadt ist aus dem Lagerplatze hervorgegangen, auf dem sich einst die ersten Goldsucher tummelten. Auf deren Zelte folgten Hütten und auf die Hütten wirkliche Häuser, die nun bald Straßen und Plätze begrenzten. Dann schlang sich das Bahngeleis um den Ort herum, und heute zählt Cheyenne nahezu zwölftausend Einwohner. Erbaut in der Höhenlage von tausend Toisen (1950 Meter) bildet es jetzt eine wichtige Station der Pacificeisenbahn.
Der Staat Wyoming hat keine natürlichen Grenzen; ihn umschließen nur solche, die geodätisch aufgestellt sind, d. h. gerade Linien, die im vorliegenden Falle ein verlängertes Viereck bilden. Das Land ist von mächtigen, durch tiefe Thäler getrennten Bergen erfüllt, aus denen der Colorado, die Columbia und der Missouri entspringen. Und wenn ein Land diese drei Wasserläufe geboren hat, die in der amerikanischen Hydrographie eine so wichtige Rolle spielen, ist es auch würdig, einen Stern den andern hinzuzufügen, die in der Flagge der Vereinigten Staaten glänzen.
Seiner Gewohnheit gemäß beobachtete Max Real das strengste Incognito. Cheyenne wußte nicht, daß es an diesem Tage einen der Mitspieler im Match Hypperbone beherbergte. Man erwartete diesen hier nicht so zeitig und tröstete sich damit, ihn am 29. Mai auf seinem Posten zu finden. Der junge Mann entging dadurch allen Empfangsfeierlichkeiten, den Magen schädigenden Banketten und lästigen Ehrenbezeugungen, die ihm von der leicht erregbaren Bevölkerung gewiß nicht erspart worden wären und wobei sich die Frauen, die in dem glücklichen Staate Wyoming sogar Stimmrecht haben, jedenfalls am meisten hervorgethan hätten.
Am Morgen des 16. Mai angekommen, traf Max Real sofort die nöthigen Anstalten, sich nach dem Nationalpark zu begeben. Mit etwas mehr Zeit zur Verfügung, hätte er die Reise zu Wagen, mit der Post, ausführen, nach Belieben da oder dort verweilen und das Gebiet der Laramie Ranges durchstreifen können. Diese Ranges sind Hochebenen, deren Thonboden vor Zeiten der eines ausgedehnten Sees war und der noch zahllose, leicht zu überschreitende Creeks zeigt, die nach launischen Windungen in den North Forth und den La Platte River münden; er hätte die wunderbaren, Kreise bildenden Höhen dieses orographischen Systems, die herrlichen Thäler und dichten Waldungen, sowie das vielarmige Netz der Zuflüsse des Columbiastromes besuchen können und daneben noch die weitere Umgebung mit dem über zweitausend Toisen aufragenden Union Peak, dem Haydn und dem Fremont Peak, sowie den wild zerklüfteten Ouragansbergen oder Wide Water Mountains, von denen vielleicht der Name Oregon herrührt, durch die oft Windstöße und Stürme hereinbrausen, so daß sie mit dem nicht weniger wilden Commodore Urrican wetteifern könnten.
Ja, sich in dieser Weise, im Wagen, zu Pferde, zu Fuße, in voller Freiheit fortzubewegen, nach Belieben an den schönsten Stellen dieses Gebietes Halt zu machen, sein Zelt hier oder da aufzuschlagen, ohne von der Zeit gedrängt zu sein – etwas verlockenderes hätte es für einen Maler ja nicht geben können, und Max Real hätte seine Reise mit Begeisterung unter solchen Verhältnissen durchgeführt. Leider mußte er aber daran denken »daß er nicht nur Künstler, sondern auch Partner, daß er nicht sein eigener Herr, sondern ein Spielball des Zufalls war, daß er von dem Fallen zweier Würfel abhing und dem Zwange unterlag, stets bestimmte Termine einzuhalten und sich wie ein Bauer auf dem Schachbrett hin und her schieben zu lassen. Im Grunde fühlte er sich dadurch wirklich erniedrigt.
»Ein Bauer, den das Schicksal in seiner Weise von einem Felde zum anderen schiebt, sprach er für sich, ja, ich bin jetzt wahrlich nicht viel anderes!… Das ist ein Aufgeben jeder Menschenwürde für die schwache Aussicht, unter Sieben die Erbtehaft des excentrischen Verstorbenen einzustecken! Ich werde über und über roth, wenn dieser schwarzbraune Tommy mich nur ansieht!… Ich hätte den Meister Tornbrock zum Teufel lagen, nicht an dieser albernen Partie theilnehmen sollen, von der es klug und weise wäre, sich zur großen Genugthuung eines Titbury, Crabbe, Kymbale und Urrican zurückzuziehen. Ich spreche nicht von der sanften, bescheidenen Lissy Wag, denn dieses junge Mädchen sah mir gar nicht besonders erfreut aus, zu der Gruppe der Sieben zu gehören. Ja… zum Kuckuck… das thät’ ich auf der Stelle und bliebe in Wyoming, so lange es mir gefiele, wenn nicht mein braves Mütterchen wäre, die es mir nicht verzeihen könnte, die Flinte ins Korn geworfen zu haben!… Da ich nun aber einmal in dem unvergleichlichen Yellowstonelande bin, will ich auch alles sehen, was in zehn Tagen zu sehen irgend möglich ist!«