Man sieht, daß die Schätzungen weit auseinander gingen – im ganzen jedenfalls nicht zur besonderen Genugthuung John Milner’s, der am Tage vorher in Cincinnati mit dem zweiten Partner, Tom Crabbe, eingetroffen war, welchen die Entscheidung der Würfel aus der Hauptstadt von Texas nach der von Ohio verwiesen hatte.
In Austin hatte John Milner ja zu Mittag am 17. Mai die telegraphische Mittheilung über die die indigoblaue Flagge – den berühmten Faustkämpfer aus Chicago – betreffende Auswürfelung erhalten.
Entschieden konnte Tom Crabbe von sich behaupten, daß er im Glück sitze, und selbst mit mehr Berechtigung als Max Real, obwohl dieser, dank der zu verdoppelnden Augenzahl, einen großen Schritt vorwärts gethan hatte. Für ihn hatte Meister Tornbrock zwölf Augen geworfen, die höchste Zahl, die mit zwei Würfeln zu erzielen ist. Da diese Zahl den Partner aber ebenfalls nach einem der Felder von Illinois brachte, hatte auch er sie doppelt zu nehmen, und Tom Crabbe machte damit also einen Sprung vom elften nach dem fünfunddreißigsten Felde.
Hierdurch wurde er nach den volkreichsten Landestheilen des Innern der Vereinigten Staaten gewiesen, wo es an schnellen und bequemen Verkehrsmitteln nicht mangelt, das Reisen also ganz anders erleichtert ist, als in den Grenzländern des Bundesgebietes.
John Milner wurde darum auch vor der Abfahrt von Austin vielfach beglückwünscht. Gleichzeitig erhöhten sich die Wetten, Tom Crabbe stieg im Curs, und zwar nicht allein in Texas, sondern auch in manchen anderen Bundesstaaten, vor allen auf den Weltmärkten in Illinois, wo die Agenten ihn mit eins gegen fünf, also weit höher »placieren« konnten, als Harris T. Kymbale, den bisherigen Favoriten.
»Und schonen Sie ihn… schonen Sie ihn ja recht sorgsam! empfahlen die Leute dem John Milner. Vernachlässigen Sie nichts in der Voraussetzung, daß er eine meteoreisenfeste Gesundheit und eine Musculatur von Chromstahl habe!… Er muß ohne Havarie am Ziele anlangen!
– Verlassen Sie sich auf mich, erklärte darauf der Traineur. In der Haut Tom Crabbe’s steckt jetzt nicht dieser, sondern John Milner.
– Und ferner, fügten die Warner hinzu, keine Seefahrt mehr, mag sie kurz oder lang sein, da die Seekrankheit geeignet erscheint, ihn leiblich und geistig aufzulösen.
– O, das Uebel ist ja nicht von Dauer gewesen, erwiderte John Milner. Doch fürchten Sie nichts… zwischen Galveston und New Orleans gehen wir jetzt nicht zu Schiffe. Wir benutzen bis Ohio nur die Eisenbahn und legen wie Lustreisende täglich nur kurze Strecken zurück… wir haben ja vierzehn Tage vor uns, nach Cincinnati zu kommen.«
Diese Stadt war es bekanntlich, die nach der Bestimmung des Testators auf dessen Karte das fünfunddreißigste Feld bildete, und Tom Crabbe überholte damit, mit Ausnahme des Commodore Urrican, alle übrigen Mitspieler.
Ermuthigt. gehätschelt und geliebkost von seinen Parteigängern. wurde Tom Crabbe am genannten Tage nach dem Bahnhofe begleitet, in einen Wagen gehißt und, mit Rücksicht auf den Temperaturunterschied zwischen Texas und Ohio, sorgfältig in Decken gehüllt. Dann setzte sich der Zug in Bewegung und brauste geraden Weges der Grenze von Louisiana zu.
Vierundzwanzig Stunden ruhten die Reisenden in New Orleans aus. wo sie noch wärmer als das erstemal empfangen wurden – eine Folge davon, daß sich die Cursnotiz des berühmten Boxers immer in aufsteigender Linie bewegte. Tom Crabbe war in allen Agenturen »gesucht« und »stieg« in allen Städten der Union. Ein Fieber war es. eine wirkliche Tollheit! Auf mindestens fünfzehnhunderttausend Dollars schätzten die Zeitungen die Summen, die auf den Kopf des zweiten Partners schon bei seiner Fahrt von der Hauptstadt von Texas nach der Metropole von Ohio gesetzt waren.
»Welcher Erfolg! sagte John Milner für sich. und welch ein Empfang wartet unser in Cincinnati!… Ein wahrer Triumphzug muß es werden… ich habe darüber so meine Gedanken.«
Auch Barnum berühmten Andenkens würde gewiß den Plan John Milner’s getheilt haben, durch den dieser die Neugier des Publicums anreizen und auf Tom Crabbe lenken wollte.
Dabei handelte es sich nicht, wie man vielleicht zu glauben versucht wäre, etwa darum, die Ankunft des Champions der Neuen Welt laut und mit großem Aufwand von Reclame anzukündigen, die besten Boxer von Cincinnati zu einem Zweikampf herauszufordern, aus dem Tom Crabbe voraussichtlich als Sieger hervorging, und dann seine Wanderfahrt fortzusetzen – obgleich John Milner nicht abgeneigt war, auch eine solche Vorstellung zu veranstalten, wenn sich dazu eine passende Gelegenheit darböte.
Er wollte sich in Cincinnati vielmehr in strengstes Incognito hüllen, wollte die große Menge der Spieler bis zum letzten Tage ohne Nachricht über ihren Favoriten lassen und womöglich den Glauben erwecken, daß dieser verschwunden sei und am entscheidenden 31. jedenfalls nicht an der bestimmten Stelle erscheinen werde. Dann wollte er ihn in einer Weise wieder auftauchen lassen, daß man sein Erscheinen begrüßen müßte wie das des Elias, wenn der Prophet jemals wieder vom Himmel herabsteigen sollte, um seinen Mantel von der Erde zu holen.
John Milner hatte nämlich durch die Zeitungen erfahren, daß am 30. des laufenden Monats in Cincinnati eine große Thierschau stattfinden sollte, eine Ausstellung, wo gehörnte und andere Vierfüßler durch Preise ausgezeichnet werden sollten, auf die diese einen großen Werth zu legen scheinen. Das war eine prächtige Gelegenheit, Tom Crabbe in Spring Grove auf der Thierschau auszustellen, wenn alle bereits verzweifelten, ihn je zu sehen, und noch dazu am Tage vorher, wo er sich im Postamte der Metropole zu melden hatte.
Natürlich fiel es John Milner gar nicht ein, mit seinem Gefährten über dieses Vorhaben zu sprechen. So fuhren denn beide, ohne jemand davon benachrichtigt zu haben, und aus Vorsicht erst von der nächsten Bahnstation außerhalb Orleans, wohin sie sich zu Wagen begeben hatten, nach Eintritt der Dunkelheit ab, so daß sich am andern Morgen die ganze Stadt verwundert fragte, was wohl aus ihnen geworden sein möge.
John Milner schlug auch nicht denselben Weg ein, den er früher eingehalten hatte, um sich von Illinois nach Louisiana zu begeben. Das Schienennetz ist übrigens im mittleren und östlichen Theile der Vereinigten Staaten so engmaschig, daß es die Eisenbahnkarten wie mit einem Spinnengewebe bedeckt. So durchmaßen denn, ohne sich zu übereilen, ohne daß die Anwesenheit Tom Crabbe’s irgendwo geahnt wurde, in der Nacht fahrend und am Tage ausruhend und immer besorgt, keinerlei Aufmerksamkeit zu erregen, die indigoblaue Flagge und ihr Traineur die Staaten Mississippi, Tennessee und Kentucky und trafen am 20. mit Tagesanbruch in einem bescheidenen Hôtel des Vorortes Covington ein. Von hier aus hatten sie nur noch den Ohio zu überschreiten, um auf dem Boden Cincinnatis zu stehen.
Bis hierher war der Plan John Milner’s also glücklich in Erfüllung gegangen und Tom Crabbe unerkannt vor den Thoren der Metropole angelangt. Selbst die bestunterrichteten Tageszeitungen wußten nicht, was aus ihm geworden war – von New Orleans aus hatte man seine Spur verloren. – Der Leser dürfte sich wohl auch fragen, was die im Vorhergehenden wiedergegebenen Gespräche zu bedeuten hätten und was John Milner, wenn er sie mit anhören konnte, wohl gedacht haben möchte.
Ohne Zweifel hielt er sich für berechtigt, eine überraschende Wirkung zu erwarten – ebenso bei der ganzen Bevölkerung Cincinnatis, die ja an seinem Erscheinen im Postamte am 31. Mai verzweifeln mußte, wie vorzüglich unter den Wettenden, die beträchtliche Summen auf ihn gesetzt hatten, wenn Tom Crabbe am Vortage des Datums, wo er sich im Postamte vorzustellen hatte und nachdem alle Echos der Vereinigten Staaten vergeblich um Nachricht über ihn befragt worden waren, inmitten der zahlreichen Besucher der Thierschau von Spring Grove auftauchte.
Wer weiß indeß, ob John Milner nicht besser gethan hätte, die beiden Wochen, über die er bei der Abreise aus Texas verfügte, zu einer Vorstellungsrundfahrt seines berühmten Schülers durch Ohio zu verwenden. Dieser Staat mit seinen drei Millionen siebenmalhunderttausend Einwohnern nimmt in der nordamerikanischen Republik ja die vierte Stelle ein. Er hätte also doch ein Interesse daran haben müssen, seinen Schüler ebenso als Theilnehmer am Match Hypperbone, wie als »Licht« in der Welt der Boxer von Stadt zu Stadt, von Flecken zu Flecken zu führen und ihn in den bedeutenderen Städten Ohios auszustellen. Deren giebt es viele, die auch recht wohlhabend sind, und Tom Crabbe hätte da den besten Empfang gefunden.