Hier klebte an der Wand des Eckhauses ein Placat mit großer Schrift.
»Er kommt!… Er kommt!!… Er kommt!!!… Er ist schon da!!!!« war darauf zu lesen. Wahrlich, das überschritt alle Grenzen! In Cincinnati wußte man also bereits von der Anwesenheit Tom Crabbe’s!… Man war sich darüber klar, daß bezüglich des dem Champion der Neuen Welt vorgeschriebenen Termins nichts zu befürchten sei!… Das erklärte also die freudige Stimmung, die in der Stadt herrschte, und die Befriedigung, die der Charcutier Dick Wolgod zu erkennen gegeben hatte?…
Ja, ja, es ist entschieden schwierig – sagen wir unmöglich – für einen berühmten Mann, den Unannehmlichkeiten der Berühmtheit zu entgehen, und es erschien nutzlos, Tom Crabbe in Zukunft mit dem Schleier des Incognitos zu verhüllen.
Andere, ausführlichere Maueranschläge beschränkten sich nicht auf die Mittheilung, daß er eingetroffen sei, sondern meldeten auch, daß er direct von Texas komme und auf der Ausstellung von Spring Grove zu sehen sein werde.
»Nein, das ist gar zu arg! rief John Milner. Man kennt hier meine Absicht, Tom Crabbe dahin zu bringen. Und ich… ich habe doch keinem Menschen ein Sterbenswörtchen davon gesagt! Doch, ich werde es vor Crabbe erwähnt haben, und Crabbe, der sonst nie den Mund aufthut, wird unterwegs davon gesprochen haben. Anders ist die Sache gar nicht denkbar!«
John Milner schlug hiermit schon den Weg nach dem Vorort Covington wieder ein, kehrte zum zweiten Frühstück in das Hôtel zurück, erwähnte aber gegen Tom Crabbe nichts über die von diesem unzweifelhaft begangene Indiscretion, sondern blieb nur, entschlossen, ihn jetzt noch nicht zu zeigen, den ganzen Tag bei ihm.
Am nächsten Morgen um acht Uhr begaben sich beide nach dem Strome, den sie auf der Hängebrücke überschritten, und betraten dann die Straßen der Stadt.
Die große nationale Thierschau sollte im Nordwesten davon auf dem umplankten, als Spring Grove bekannten Platze stattfinden. Schon wälzte sich eine große Menschenmenge dahin, verrieth aber – John Milner mußte sich davon sofort überzeugen – keine Spur von besonderer Unruhe. Von allen Seiten drängten sich Scharen frohgestimmter, lärmender Leute heran, deren Neugier bald darauf gestillt werden sollte.
John Milner sagte sich vielleicht, Tom Crabbe werde vor dem Eintreffen in Spring Grove erkannt werden, erkannt an seiner Gestalt, seiner Haltung, seinem Gesicht, an seiner ganzen Persönlichkeit, die Abertausende von Photographien bis zu den kleinsten Ortschaften der Union populär gemacht hatten. Doch nein, kein Mensch kümmerte sich um ihn, keiner drehte sich um, wenn er vorüber kam, keiner schien eine Ahnung zu haben, daß dieser Koloß, der seinen Schritt ganz dem John Milner’s anpaßte, der berühmte Faustkämpfer und obendrein ein Partner im Match Hypperbone sei, er, den der doppelt zu rechnende Wurf von zwölf Augen nach dem fünfunddreißigsten Felde, nach Cincinnati im Staate Ohio gewiesen hatte.
Die beiden Männer erreichten Spring Grove Schlag neun Uhr. Schon war der Ausstellungsplatz voller Besucher. Neben dem Geräusche von der Menschenmenge erschallte ringsum das Brüllen, Blöken und Grunzen der Thiere, von denen die besten die Ehre haben sollten, mit Preisen ausgezeichnet zu werden.
Hier fanden sich vorzüglich Vertreter der Rinder-, Schaf-und Schweinerassen, eine Menge Lämmer, Zuchtschweine und Eber der schönsten Sorten, neben Milchkühen und Ochsen, von denen Amerika jährlich viermalhunderttausend Stück allein nach England liefert. Hier paradierten mit diesen Königen der Thierzucht auch die »Cattlekings« selbst, die sich unter den Bürgern der Vereinigten Staaten der größten Achtung erfreuen. Im Mittelpunkte erhob sich eine erhöhte Plattform, worauf die Preisträger einzeln aufgestellt werden sollten.
Jetzt kam John Milner der Gedanke, sich durch die Leute nach jener Plattform zu drängen und seinen Gefährten hinaufzubugsieren.
»Hier steht er, Tom Crabbe, der Boxerchampion der Neuen Welt, der zweite Partner im Match Hypperbone!« wollte er den Zuschauern verkünden.
Welch eine Wirkung mußte diese unerwartete Erklärung ausüben, wenn sich die Leute plötzlich dem alle Köpfe erhitzenden Helden des Tages gegenübersahen!
So stieß er denn Tom Crabbe vor sich her, und wie geschleppt von einem kräftigen Zugdampfer theilte er die Wogen der Menschenfluth und wollte schon die Plattform erklimmen…
Der Platz war schon eingenommen… und von wem? Von einem Eber, einem ungeheueren männlichen Schweine, dem Abkömmling aus einer Kreuzung zweier amerikanischer Rassen, der Polant China-und Red Jerseyschweine – einem Eber, der in seinem dritten Jahre, wo er schon dreizehnhundert (amerikanische) Pfund wog, für zweihundertfünfzig Dollars verkauft worden war – einem phänomenalen Schweine von fast acht Fuß Länge und vier Fuß Höhe, mit einem Halsumfange von sechs, einem Körperumfange von siebeneinhalb Fuß und zur Zeit einem Gewicht von neunzehnhundertvierundfünfzig Pfund!
Dieses Musterexemplar der Ringelschwanzfamilie war es, das von Texas hierher gebracht worden war; ihm galten die Placate, die sein Eintreffen in Cincinnati meldeten! Der Eber war es, der am Vortage die öffentliche Aufmerksamkeit ausschließlich in Anspruch nahm – er, den sein glücklicher Besitzer unter dem frenetischen Jubel der Zuschauer ausstellte!
Vor diesem neuen Gestirn war das Tom Crabbe’s jämmerlich erbleicht! Ein Riesenschwein, das auf der Thierschau von Spring Grove den ersten Preis erhalten sollte!
John Milner schwankte wie vor den Kopf geschlagen zurück. Dann gab er Tom Crabbe ein Zeichen, ihm zu folgen, schlug auf Umwegen die Richtung nach dem Hôtel ein und fühlte sich so enttäuscht, so herabgewürdigt, daß er sich hier in sein Zimmer einschloß, das er sich wieder zu verlassen weigerte.
Wenn sich für Cincinnati jemals Gelegenheit bot, den Beinamen Porcopolis, den ihm Chicago entrissen hatte, zurückzuerobern, so war das an jenem 30. Mai 1897 der Fall gewesen.
Drittes Capitel.
Im Schneckenschritt.
»Erhalten von Herrn Hermann Titbury die Summe von dreihundert Dollars Strafgelder, wozu er durch den Entscheid vom 14. dieses Monats wegen Uebertretung der Alkoholgesetze verurtheilt worden war.
Calais, Maine, am 19. Mai 1897.
Der Gerichtsschreiber
Walter Hoek.«
Hermann Titbury hatte sich also, nicht ohne langes, bis zum 19. Mai anhaltendes Widerstreben zur Zahlung dieser Summe entschließen müssen. Als dann die Identität des dritten Partners zweifellos festgestellt und nachgewiesen war, daß es Herr und Frau Titbury waren, die unter dem Namen Herr und Frau Field reisten, hatte der Richter R. T. Ordak dem Verurtheilten nach dreitägiger Hast die weitere Strafe erlassen.
Es war auch die höchste Zeit.
An diesem Tage, dem 19., hatte der Notar Tornbrock zum sechstenmale gewürfelt und dem betreffenden Spieler telegraphisch nach Calais darüber Nachricht gegeben.
Beleidigt, daß sich einer der Theilnehmer am Match Hypperbone in ihrer Stadt unter falschem Namen verborgen hatte, zeigten sich die Bewohner des Ortes jenem wenig entgegenkommend und lächelten sogar über sein Mißgeschick. Waren sie zuerst hoch erfreut gewesen, daß in Maine vom seligen Hypperbone Calais als entscheidender Punkt ausgewählt worden war, so konnten sie es letzt der blauen Flagge nicht verzeihen, sie von ihrem Eintreffen nicht benachrichtigt zu haben. Die Folge davon war denn auch, daß der richtige Name des Partners, als er nun bekannt geworden war, keinerlei Aufsehen verursachte. Sobald der Gefängnißwärter ihn in Freiheit gesetzt hatte, schlug Hermann Titbury den Weg nach seinem Gasthause ein. Doch kein Mensch gab ihm das Geleit, keiner wendete bei seinem Vorüberkommen nach ihm den Kopf um. Das würdige Ehepaar liebte auch das Zujubeln der Menge, worüber Harris T. Kymbale sich so sehr freute, ganz und gar nicht und hatte nur den einen Wunsch, Calais so bald wie möglich zu verlassen.